Uebeln das kleinste zu wählen; entweder Ver- stand und Nachdruck der Versifikation, oder diese jenen aufzuopfern. Dem Houdar de la Motte war seine Meinung zu vergeben; er hatte eine Sprache in Gedanken, in der das Metri- sche der Poesie nur Kitzelung der Ohren ist, und zur Verstärkung des Ausdrucks nichts beytra- gen kann; in der unsrigen hingegen ist es etwas mehr, und wir können der griechischen ungleich näher kommen, die durch den bloßen Rhytmus ihrer Versarten die Leidenschaften, die darinn ausgedrückt werden, anzudeuten vermag. Die französischen Verse haben nichts als den Werth der überstandenen Schwierigkeit für sich; und freylich ist dieses nur ein sehr elender Werth.
Die Rolle des Polidors hat Herr Borchers ungemein wohl gespielt; mit aller der Besonnen- heit und Heiterkeit, die einem Bösewichte von großem Verstande so natürlich zu seyn scheinen. Kein mißlungener Anschlag wird ihn in Verle- genheit setzen; er ist an immer neuen Ränken unerschöpflich; er besinnt sich kaum, und der unerwarteste Streich, der ihn in seiner Blöße darzustellen drohte, empfängt eine Wendung, die ihm die Larve nur noch fester aufdrückt. Diesen Charakter nicht zu verderben, ist von Seiten des Schauspielers das getreueste Ge- dächtniß, die fertigste Stimme, die freyeste,
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Uebeln das kleinſte zu waͤhlen; entweder Ver- ſtand und Nachdruck der Verſifikation, oder dieſe jenen aufzuopfern. Dem Houdar de la Motte war ſeine Meinung zu vergeben; er hatte eine Sprache in Gedanken, in der das Metri- ſche der Poeſie nur Kitzelung der Ohren iſt, und zur Verſtaͤrkung des Ausdrucks nichts beytra- gen kann; in der unſrigen hingegen iſt es etwas mehr, und wir koͤnnen der griechiſchen ungleich naͤher kommen, die durch den bloßen Rhytmus ihrer Versarten die Leidenſchaften, die darinn ausgedruͤckt werden, anzudeuten vermag. Die franzoͤſiſchen Verſe haben nichts als den Werth der uͤberſtandenen Schwierigkeit fuͤr ſich; und freylich iſt dieſes nur ein ſehr elender Werth.
Die Rolle des Polidors hat Herr Borchers ungemein wohl geſpielt; mit aller der Beſonnen- heit und Heiterkeit, die einem Boͤſewichte von großem Verſtande ſo natuͤrlich zu ſeyn ſcheinen. Kein mißlungener Anſchlag wird ihn in Verle- genheit ſetzen; er iſt an immer neuen Raͤnken unerſchoͤpflich; er beſinnt ſich kaum, und der unerwarteſte Streich, der ihn in ſeiner Bloͤße darzuſtellen drohte, empfaͤngt eine Wendung, die ihm die Larve nur noch feſter aufdruͤckt. Dieſen Charakter nicht zu verderben, iſt von Seiten des Schauſpielers das getreueſte Ge- daͤchtniß, die fertigſte Stimme, die freyeſte,
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Uebeln das kleinſte zu waͤhlen; entweder Ver-
ſtand und Nachdruck der Verſifikation, oder
dieſe jenen aufzuopfern. Dem Houdar de la
Motte war ſeine Meinung zu vergeben; er hatte
eine Sprache in Gedanken, in der das Metri-
ſche der Poeſie nur Kitzelung der Ohren iſt, und
zur Verſtaͤrkung des Ausdrucks nichts beytra-
gen kann; in der unſrigen hingegen iſt es etwas
mehr, und wir koͤnnen der griechiſchen ungleich
naͤher kommen, die durch den bloßen Rhytmus
ihrer Versarten die Leidenſchaften, die darinn
ausgedruͤckt werden, anzudeuten vermag. Die
franzoͤſiſchen Verſe haben nichts als den Werth
der uͤberſtandenen Schwierigkeit fuͤr ſich; und
freylich iſt dieſes nur ein ſehr elender Werth.
Die Rolle des Polidors hat Herr Borchers
ungemein wohl geſpielt; mit aller der Beſonnen-
heit und Heiterkeit, die einem Boͤſewichte von
großem Verſtande ſo natuͤrlich zu ſeyn ſcheinen.
Kein mißlungener Anſchlag wird ihn in Verle-
genheit ſetzen; er iſt an immer neuen Raͤnken
unerſchoͤpflich; er beſinnt ſich kaum, und der
unerwarteſte Streich, der ihn in ſeiner Bloͤße
darzuſtellen drohte, empfaͤngt eine Wendung,
die ihm die Larve nur noch feſter aufdruͤckt.
Dieſen Charakter nicht zu verderben, iſt von
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daͤchtniß, die fertigſte Stimme, die freyeſte,
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/165>, abgerufen am 24.11.2024.
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