Lenz, Jakob Michael Reinhold: Die Soldaten. Leipzig, 1776.Sie sollen vorsichtiger machen. Schön- heit ist niemals ein Mittel, eine gute Heu- rath zu stiften, und niemand hat mehr Ursache zu zittern, als ein schön Gesicht. Tausend Gefahren mit Blumen überstreut, tausend Anbeter und keinen Freund, tau- send unbarmherzige Verräther. Marie. Ach, gnädige Frau, ich weis wohl, daß ich häßlich bin. Gräfin. Keine falsche Bescheidenheit. Sie sind schön, der Himmel hat Sie damit gestraft. Es fanden sich Leute über Jh- ren Stand, die Jhnen Versprechungen thaten. Sie sahen gar keine Schwürig- keit, eine Stufe höher zu rücken, Sie ver- achteten Jhre Gespielinnen, Sie glaubten nicht nöthig zu haben, sich andre liebens- würdige Eigenschaften zu erwerben, Sie scheuten die Arbeit, Sie begegneten jun- gen Mannsleuten Jhres Standes verächt- lich, Sie wurden gehaßt. Armes Kind! wie glücklich hätten Sie einen rechtschaffe- nen Bürger machen können, wenn Sie diese fürtreffliche Gesichtszüge, dieses ein- nehmende bezaubernde Wesen, mit einem demü-
Sie ſollen vorſichtiger machen. Schoͤn- heit iſt niemals ein Mittel, eine gute Heu- rath zu ſtiften, und niemand hat mehr Urſache zu zittern, als ein ſchoͤn Geſicht. Tauſend Gefahren mit Blumen uͤberſtreut, tauſend Anbeter und keinen Freund, tau- ſend unbarmherzige Verraͤther. Marie. Ach, gnaͤdige Frau, ich weis wohl, daß ich haͤßlich bin. Graͤfin. Keine falſche Beſcheidenheit. Sie ſind ſchoͤn, der Himmel hat Sie damit geſtraft. Es fanden ſich Leute uͤber Jh- ren Stand, die Jhnen Verſprechungen thaten. Sie ſahen gar keine Schwuͤrig- keit, eine Stufe hoͤher zu ruͤcken, Sie ver- achteten Jhre Geſpielinnen, Sie glaubten nicht noͤthig zu haben, ſich andre liebens- wuͤrdige Eigenſchaften zu erwerben, Sie ſcheuten die Arbeit, Sie begegneten jun- gen Mannsleuten Jhres Standes veraͤcht- lich, Sie wurden gehaßt. Armes Kind! wie gluͤcklich haͤtten Sie einen rechtſchaffe- nen Buͤrger machen koͤnnen, wenn Sie dieſe fuͤrtreffliche Geſichtszuͤge, dieſes ein- nehmende bezaubernde Weſen, mit einem demuͤ-
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heit iſt niemals ein Mittel, eine gute Heu-
rath zu ſtiften, und niemand hat mehr
Urſache zu zittern, als ein ſchoͤn Geſicht.
Tauſend Gefahren mit Blumen uͤberſtreut,
tauſend Anbeter und keinen Freund, tau-
ſend unbarmherzige Verraͤther.
Marie. Ach, gnaͤdige Frau, ich weis
wohl, daß ich haͤßlich bin.
Graͤfin. Keine falſche Beſcheidenheit.
Sie ſind ſchoͤn, der Himmel hat Sie damit
geſtraft. Es fanden ſich Leute uͤber Jh-
ren Stand, die Jhnen Verſprechungen
thaten. Sie ſahen gar keine Schwuͤrig-
keit, eine Stufe hoͤher zu ruͤcken, Sie ver-
achteten Jhre Geſpielinnen, Sie glaubten
nicht noͤthig zu haben, ſich andre liebens-
wuͤrdige Eigenſchaften zu erwerben, Sie
ſcheuten die Arbeit, Sie begegneten jun-
gen Mannsleuten Jhres Standes veraͤcht-
lich, Sie wurden gehaßt. Armes Kind!
wie gluͤcklich haͤtten Sie einen rechtſchaffe-
nen Buͤrger machen koͤnnen, wenn Sie
dieſe fuͤrtreffliche Geſichtszuͤge, dieſes ein-
nehmende bezaubernde Weſen, mit einem
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