Wer noch Magen hat und ich kann ihm mit einem bisher unübersetzten -- Volksstück -- Komödie von Shakespearn aufwarten. -- -- Seine Sprache ist die Sprache des kühnsten Genius, der Erd und Himmel aufwühlt, Aus- druck zu den ihm zuströmenden Gedanken zu finden. Mensch, in jedem Verhältniß gleich bewandert, gleich stark, schlug er ein Theater fürs ganze menschliche Geschlecht auf, wo jeder stehn, staunen, sich freuen, sich wiederfinden konnte, vom obersten bis zum untersten. Sei- ne Könige und Königinnen schämen sich so we- nig als der niedrigste Pöbel, warmes Blut im schlagenden Herzen zu fühlen, oder kützelnder Galle in schalkhaftem Scherzen Luft zu machen, denn sie sind Menschen, auch unterm Reifrock, kennen keine Vapeurs, sterben nicht vor un- sern Augen in müßiggehenden Formularen da- hin, kennen den tödtenden Wohlstand nicht. Sie werden also hier nicht ein Stück sehen, daß den und den, der durch Augengläser bald so, bald so, verschoben drauf loßguckt, allein in- tereßirt, sondern wer Lust und Belieben trägt, jedermann, bringt er nur Augen mit und ei- nen gesunden Magen, der ein gutes spasmati- sches Gelächter -- -- doch ich vergesse hier, daß ich nicht das Original, sondern -- eheu discrimina rerum -- meine Uebersetzung an- kündige -- mag er immerhin auftreten, mein Herkules, wär's auch im Hemd der Dejani- ra -- --
AMOR
Wer noch Magen hat und ich kann ihm mit einem bisher unuͤberſetzten — Volksſtuͤck — Komoͤdie von Shakeſpearn aufwarten. — — Seine Sprache iſt die Sprache des kuͤhnſten Genius, der Erd und Himmel aufwuͤhlt, Aus- druck zu den ihm zuſtroͤmenden Gedanken zu finden. Menſch, in jedem Verhaͤltniß gleich bewandert, gleich ſtark, ſchlug er ein Theater fuͤrs ganze menſchliche Geſchlecht auf, wo jeder ſtehn, ſtaunen, ſich freuen, ſich wiederfinden konnte, vom oberſten bis zum unterſten. Sei- ne Koͤnige und Koͤniginnen ſchaͤmen ſich ſo we- nig als der niedrigſte Poͤbel, warmes Blut im ſchlagenden Herzen zu fuͤhlen, oder kuͤtzelnder Galle in ſchalkhaftem Scherzen Luft zu machen, denn ſie ſind Menſchen, auch unterm Reifrock, kennen keine Vapeurs, ſterben nicht vor un- ſern Augen in muͤßiggehenden Formularen da- hin, kennen den toͤdtenden Wohlſtand nicht. Sie werden alſo hier nicht ein Stuͤck ſehen, daß den und den, der durch Augenglaͤſer bald ſo, bald ſo, verſchoben drauf loßguckt, allein in- tereßirt, ſondern wer Luſt und Belieben traͤgt, jedermann, bringt er nur Augen mit und ei- nen geſunden Magen, der ein gutes ſpasmati- ſches Gelaͤchter — — doch ich vergeſſe hier, daß ich nicht das Original, ſondern — eheu diſcrimina rerum — meine Ueberſetzung an- kuͤndige — mag er immerhin auftreten, mein Herkules, waͤr’s auch im Hemd der Dejani- ra — —
AMOR
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Wer noch Magen hat und ich kann ihm mit
einem bisher unuͤberſetzten — Volksſtuͤck —
Komoͤdie von Shakeſpearn aufwarten. — —
Seine Sprache iſt die Sprache des kuͤhnſten
Genius, der Erd und Himmel aufwuͤhlt, Aus-
druck zu den ihm zuſtroͤmenden Gedanken zu
finden. Menſch, in jedem Verhaͤltniß gleich
bewandert, gleich ſtark, ſchlug er ein Theater
fuͤrs ganze menſchliche Geſchlecht auf, wo jeder
ſtehn, ſtaunen, ſich freuen, ſich wiederfinden
konnte, vom oberſten bis zum unterſten. Sei-
ne Koͤnige und Koͤniginnen ſchaͤmen ſich ſo we-
nig als der niedrigſte Poͤbel, warmes Blut im
ſchlagenden Herzen zu fuͤhlen, oder kuͤtzelnder
Galle in ſchalkhaftem Scherzen Luft zu machen,
denn ſie ſind Menſchen, auch unterm Reifrock,
kennen keine Vapeurs, ſterben nicht vor un-
ſern Augen in muͤßiggehenden Formularen da-
hin, kennen den toͤdtenden Wohlſtand nicht.
Sie werden alſo hier nicht ein Stuͤck ſehen, daß
den und den, der durch Augenglaͤſer bald ſo,
bald ſo, verſchoben drauf loßguckt, allein in-
tereßirt, ſondern wer Luſt und Belieben traͤgt,
jedermann, bringt er nur Augen mit und ei-
nen geſunden Magen, der ein gutes ſpasmati-
ſches Gelaͤchter — — doch ich vergeſſe hier,
daß ich nicht das Original, ſondern — eheu
diſcrimina rerum — meine Ueberſetzung an-
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Lenz, Jakob Michael Reinhold: Anmerkungen übers Theater, nebst angehängten übersetzten Stück Shakespears. Leipzig, 1774, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lenz_anmerkungen_1774/62>, abgerufen am 20.07.2024.
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