Lenz, Jakob Michael Reinhold: Anmerkungen übers Theater, nebst angehängten übersetzten Stück Shakespears. Leipzig, 1774.hen, daß einer willkührlich zusammengesetz- ten Fabel, die nur in den Wünschen des Dichters (oft in seiner Gebährerinangst und Autorsucht) nicht in den Charakteren den Grund hat, das Reizende und Anziehende fehle, das uns auch nach befriedigter Neu- gierde beym zweyten Anblick unterhalten und nähren kann, er sucht also dieses wie eine geschickte Kokette durch äussern Putz zu erhalten. Die Diktion, die Symmetrie und Harmonie des Verses, der Reim selbst, für den er fast zum Märtyrer wird. Pradon und Racine hatten eine Phädra geschrieben. La conduite de ces deux ouvrages, sagt er, est a peu pres la meme. Il y - a plus. Les personnages des deux pieces se trouvant dans les memes situations, disent presque les me- mes choses; mais c'est la qu'on distingue le grand homme et le mauvais poete, c'est lors- que Racine et Pradon pensent de meme, qu'ils sont les plus differens. Merken Sie wohl, Racine et Pradon. Hier steht also nur Racine auf der Bühne und dort nur Pradon. Aber haben wir denn die beyden Herren hervor- gerufen? Sie hätten immer warten können, bis das Stück zu Ende war. Zugegeben, daß bey einer mäßigen Por- doch
hen, daß einer willkuͤhrlich zuſammengeſetz- ten Fabel, die nur in den Wuͤnſchen des Dichters (oft in ſeiner Gebaͤhrerinangſt und Autorſucht) nicht in den Charakteren den Grund hat, das Reizende und Anziehende fehle, das uns auch nach befriedigter Neu- gierde beym zweyten Anblick unterhalten und naͤhren kann, er ſucht alſo dieſes wie eine geſchickte Kokette durch aͤuſſern Putz zu erhalten. Die Diktion, die Symmetrie und Harmonie des Verſes, der Reim ſelbſt, fuͤr den er faſt zum Maͤrtyrer wird. Pradon und Racine hatten eine Phaͤdra geſchrieben. La conduite de ces deux ouvrages, ſagt er, eſt a peu près la même. Il y - a pluſ. Les perſonnages des deux pieces ſe trouvant dans les mêmes ſituations, diſent preſque les mê- mes choſes; mais c’eſt là qu’on diſtingue le grand homme et le mauvais poëte, c’eſt lors- que Racine et Pradon penſent de même, qu’ils ſont les plus differens. Merken Sie wohl, Racine et Pradon. Hier ſteht alſo nur Racine auf der Buͤhne und dort nur Pradon. Aber haben wir denn die beyden Herren hervor- gerufen? Sie haͤtten immer warten koͤnnen, bis das Stuͤck zu Ende war. Zugegeben, daß bey einer maͤßigen Por- doch
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ten Fabel, die nur in den Wuͤnſchen des
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Autorſucht) nicht in den Charakteren den
Grund hat, das Reizende und Anziehende
fehle, das uns auch nach befriedigter Neu-
gierde beym zweyten Anblick unterhalten
und naͤhren kann, er ſucht alſo dieſes wie
eine geſchickte Kokette durch aͤuſſern Putz zu
erhalten. Die Diktion, die Symmetrie und
Harmonie des Verſes, der Reim ſelbſt, fuͤr
den er faſt zum Maͤrtyrer wird. Pradon
und Racine hatten eine Phaͤdra geſchrieben.
La conduite de ces deux ouvrages, ſagt er,
eſt a peu près la même. Il y - a pluſ. Les
perſonnages des deux pieces ſe trouvant dans
les mêmes ſituations, diſent preſque les mê-
mes choſes; mais c’eſt là qu’on diſtingue le
grand homme et le mauvais poëte, c’eſt lors-
que Racine et Pradon penſent de même, qu’ils
ſont les plus differens. Merken Sie wohl,
Racine et Pradon. Hier ſteht alſo nur Racine
auf der Buͤhne und dort nur Pradon. Aber
haben wir denn die beyden Herren hervor-
gerufen? Sie haͤtten immer warten koͤnnen,
bis das Stuͤck zu Ende war.
Zugegeben, daß bey einer maͤßigen Por-
tion allgemeiner Kenntniß des menſchlichen
Herzens dieſe Zunft auch Leidenſchaften, et-
was mehr als Neugier zu erregen wuͤſte, da
doch
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