Lenau, Nikolaus: Gedichte. Stuttgart, 1832.Erinnerung. Erinn'rungsvoller Baum, du stehst in Trauer; Dein Laub ist welk, mein Leben ist es auch. Mein Herz durchziehen bange Wehmuthschauer, Wie dein Gezweig des Herbstes kühler Hauch. Hier saßen wir in abendlicher Stille, Sanft bebte über uns dein flüsternd Grün, Auf jenen Höh'n, die nun in Nebelhülle, Verweilte noch der Sonne leztes Glüh'n. Wie selig hielt das Mädchen ich umfangen, Und horchte ihrem leisen Liebesschwur; Und holder lachten uns die Blüthenwangen Der auferwachten göttlichen Natur. Doch hatte kaum der Lenz die sanfte Seele
Verhaucht, und seine Blüthen hingestreut, Kaum war verstummt im Hain die süße Kehle: War auch dahin der Liebe Seligkeit. Erinnerung. Erinn'rungsvoller Baum, du ſtehſt in Trauer; Dein Laub iſt welk, mein Leben iſt es auch. Mein Herz durchziehen bange Wehmuthſchauer, Wie dein Gezweig des Herbſtes kuͤhler Hauch. Hier ſaßen wir in abendlicher Stille, Sanft bebte uͤber uns dein fluͤſternd Gruͤn, Auf jenen Hoͤh'n, die nun in Nebelhuͤlle, Verweilte noch der Sonne leztes Gluͤh'n. Wie ſelig hielt das Maͤdchen ich umfangen, Und horchte ihrem leiſen Liebesſchwur; Und holder lachten uns die Bluͤthenwangen Der auferwachten goͤttlichen Natur. Doch hatte kaum der Lenz die ſanfte Seele
Verhaucht, und ſeine Bluͤthen hingeſtreut, Kaum war verſtummt im Hain die ſuͤße Kehle: War auch dahin der Liebe Seligkeit. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0103" n="89"/> </div> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b #g">Erinnerung</hi> <hi rendition="#b">.</hi><lb/> </head> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l><hi rendition="#in">E</hi>rinn'rungsvoller Baum, du ſtehſt in Trauer;</l><lb/> <l>Dein Laub iſt welk, mein Leben iſt es auch.</l><lb/> <l>Mein Herz durchziehen bange Wehmuthſchauer,</l><lb/> <l>Wie dein Gezweig des Herbſtes kuͤhler Hauch.</l><lb/> </lg> <lg n="2"> <l>Hier ſaßen wir in abendlicher Stille,</l><lb/> <l>Sanft bebte uͤber uns dein fluͤſternd Gruͤn,</l><lb/> <l>Auf jenen Hoͤh'n, die nun in Nebelhuͤlle,</l><lb/> <l>Verweilte noch der Sonne leztes Gluͤh'n.</l><lb/> </lg> <lg n="3"> <l>Wie ſelig hielt das Maͤdchen ich umfangen,</l><lb/> <l>Und horchte ihrem leiſen Liebesſchwur;</l><lb/> <l>Und holder lachten uns die Bluͤthenwangen</l><lb/> <l>Der auferwachten goͤttlichen Natur.</l><lb/> </lg> <lg n="4"> <l>Doch hatte kaum der Lenz die ſanfte Seele</l><lb/> <l>Verhaucht, und ſeine Bluͤthen hingeſtreut,</l><lb/> <l>Kaum war verſtummt im Hain die ſuͤße Kehle:</l><lb/> <l>War auch dahin der Liebe Seligkeit.</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [89/0103]
Erinnerung.
Erinn'rungsvoller Baum, du ſtehſt in Trauer;
Dein Laub iſt welk, mein Leben iſt es auch.
Mein Herz durchziehen bange Wehmuthſchauer,
Wie dein Gezweig des Herbſtes kuͤhler Hauch.
Hier ſaßen wir in abendlicher Stille,
Sanft bebte uͤber uns dein fluͤſternd Gruͤn,
Auf jenen Hoͤh'n, die nun in Nebelhuͤlle,
Verweilte noch der Sonne leztes Gluͤh'n.
Wie ſelig hielt das Maͤdchen ich umfangen,
Und horchte ihrem leiſen Liebesſchwur;
Und holder lachten uns die Bluͤthenwangen
Der auferwachten goͤttlichen Natur.
Doch hatte kaum der Lenz die ſanfte Seele
Verhaucht, und ſeine Bluͤthen hingeſtreut,
Kaum war verſtummt im Hain die ſuͤße Kehle:
War auch dahin der Liebe Seligkeit.
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