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Leisewitz, Johann Anton: Julius von Tarent. Leipzig, 1776.

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nicht gestehen will, daß man sich nicht mehr liebt,
den verabscheu' ich; -- da machen sie denn ohne
den Geist der Vertraulichkeit noch immer ihre Ge-
bräuche, und begegnen den Körper der verstorbe-
nen Freundschaft, als wenn sie noch lebte, führen
ihn zu Tisch und zu Bett. Wahrhaftig diese
Freunde sind ein liebliches Bild, oben die Augen
voll Groll, und unten den Mund in einer so na-
türlich freundlichen Miene, als wenn hölzerne
Muskeln am Drat gezogen würden.
Julius. Laß uns davon aufhören.
Guido. Da trifst Du einen neuen Charakter.
-- Sie fürchten immer im Gespräch zusammen
auf den streitigen Punkt zu kommen, gehen immer
hundert Meilen um ihn herum, reden eher von
ostindischen Wunderthieren, als von sich. Aber
ich will lieber einen frischen Schnitt durch das
Geschwür, als daß es unter sich eitere.
Julius. Wenn nun aber kein Geschwür da
wäre.
Guido. Du willst mir antworten, Bruder.
Gut, so laß mich erst reden. Du weisst meine
Rechte auf Blanka; -- das vermindert sie nicht,
daß mich mein Vater wegen unsers Streites über
sie vor fünf Monathen in den kandischen Krieg,
und sie ins Kloster schikte. Jch gebe meine


nicht geſtehen will, daß man ſich nicht mehr liebt,
den verabſcheu’ ich; — da machen ſie denn ohne
den Geiſt der Vertraulichkeit noch immer ihre Ge-
braͤuche, und begegnen den Koͤrper der verſtorbe-
nen Freundſchaft, als wenn ſie noch lebte, fuͤhren
ihn zu Tiſch und zu Bett. Wahrhaftig dieſe
Freunde ſind ein liebliches Bild, oben die Augen
voll Groll, und unten den Mund in einer ſo na-
tuͤrlich freundlichen Miene, als wenn hoͤlzerne
Muſkeln am Drat gezogen wuͤrden.
Julius. Laß uns davon aufhoͤren.
Guido. Da trifſt Du einen neuen Charakter.
— Sie fuͤrchten immer im Geſpraͤch zuſammen
auf den ſtreitigen Punkt zu kommen, gehen immer
hundert Meilen um ihn herum, reden eher von
oſtindiſchen Wunderthieren, als von ſich. Aber
ich will lieber einen friſchen Schnitt durch das
Geſchwuͤr, als daß es unter ſich eitere.
Julius. Wenn nun aber kein Geſchwuͤr da
waͤre.
Guido. Du willſt mir antworten, Bruder.
Gut, ſo laß mich erſt reden. Du weiſſt meine
Rechte auf Blanka; — das vermindert ſie nicht,
daß mich mein Vater wegen unſers Streites uͤber
ſie vor fuͤnf Monathen in den kandiſchen Krieg,
und ſie ins Kloſter ſchikte. Jch gebe meine
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[12/0016] nicht geſtehen will, daß man ſich nicht mehr liebt, den verabſcheu’ ich; — da machen ſie denn ohne den Geiſt der Vertraulichkeit noch immer ihre Ge- braͤuche, und begegnen den Koͤrper der verſtorbe- nen Freundſchaft, als wenn ſie noch lebte, fuͤhren ihn zu Tiſch und zu Bett. Wahrhaftig dieſe Freunde ſind ein liebliches Bild, oben die Augen voll Groll, und unten den Mund in einer ſo na- tuͤrlich freundlichen Miene, als wenn hoͤlzerne Muſkeln am Drat gezogen wuͤrden. Julius. Laß uns davon aufhoͤren. Guido. Da trifſt Du einen neuen Charakter. — Sie fuͤrchten immer im Geſpraͤch zuſammen auf den ſtreitigen Punkt zu kommen, gehen immer hundert Meilen um ihn herum, reden eher von oſtindiſchen Wunderthieren, als von ſich. Aber ich will lieber einen friſchen Schnitt durch das Geſchwuͤr, als daß es unter ſich eitere. Julius. Wenn nun aber kein Geſchwuͤr da waͤre. Guido. Du willſt mir antworten, Bruder. Gut, ſo laß mich erſt reden. Du weiſſt meine Rechte auf Blanka; — das vermindert ſie nicht, daß mich mein Vater wegen unſers Streites uͤber ſie vor fuͤnf Monathen in den kandiſchen Krieg, und ſie ins Kloſter ſchikte. Jch gebe meine

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Zitationshilfe: Leisewitz, Johann Anton: Julius von Tarent. Leipzig, 1776, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/leisewitz_julius_1776/16>, abgerufen am 26.04.2024.