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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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Die australischen Gewässer.
stellungen in Sydney und Melbourne darauf aufmerksam gemacht, dass
es sich dort doch schon der Mühe lohnen müsse, derartige Ausstel-
lungen zu veranstalten. Sonst aber berührt das Leben von Australien,
welches sich scheinbar so still und ereignisslos abwickelt, kaum
unsere Kreise. Und doch verdient gerade dieses Land ein erhöhtes
Interesse, weil man dabei lernen kann, was menschliche Thatkraft
und menschlicher Fleiss in kurzer Zeit auf einem empfänglichen Boden
leisten können. Und dabei darf man nicht vergessen, dass die austra-
lischen Colonieen mit einer ganz enormen Schwierigkeit zu kämpfen
hatten. Ihre Anfänge waren die einer Deportationsstätte, die erste
Besiedelung geschah durch Sträflinge, ein guter Theil der Bevöl-
kerung stammt von Sträflingen ab. Als freie Einwanderer zu-
gezogen, da hatten sie es mit Deportirten, in der Heimat dem
Verbrechen verfallenen Leuten zu thun. Und trotzdem vollzog sich
doch der Entwicklungsprocess ungestört, und geschah die Reinigung
des Landes von diesem ihm anfänglich anhaftenden Uebel viel rascher
und intensiver, als man je hätte annehmen können. Heute erinnert
kaum mehr etwas an die Zeiten der Deportation. Freilich darf man
nicht meinen, dass Australien frei von Schäden sei. Schon die Epoche
des Goldzuzuges und das in den entlegenen Districten freiere Leben
haben Auswüchse mit sich gebracht, welche noch nicht ganz beseitigt
sind. Man befindet sich eben in einer jungen Colonie, die in der
Wahl ihrer Einwanderer keine allzustrenge Auswahl treffen kann und
der eine gewisse Ungebundenheit des Lebens zur Ausdehnung und
ferneren Besiedelung namentlich des inneren Gebietes unerlässlich ist.
Dafür zeigt Australien heute aber auch schon viele starke Seiten.
Australien ist eine Ackerbaucolonie geworden, woselbst der weisse
Mann seine neue Heimat findet, und welche er nicht wie die Plan-
tagen oder Minencolonieen, je eher je lieber reich geworden, verlässt.
Das Gold war hier, wie in Westamerika die Kraft, welche das
Schwungrad der Cultur in Bewegung setzte. Aber heute sind die Er-
trägnisse der Goldminen Nebensache, gegenüber den Producten der
Landwirthschaft. Die Schafzüchter, manche im Besitze von 1/2 Mill.
Stück, bilden die australische Aristokratie. Die Sturm- und Drang-
periode der "Goldzeit" ist in Australien längst überwunden, allent-
halben stösst man auf feste organisatorische Grundlagen, auf ein
bereits in allen Theilen durchgebildetes Staatswesen, auf einen regen
Gemeingeist und auf eine wahrhaft patriotische Hingebung für das
Wohl und Gedeihen der Colonie. Der Australier, wenn auch durch-
weg nichtaustralischer Herkunft und wenn auch vorwiegend seiner

Die australischen Gewässer.
stellungen in Sydney und Melbourne darauf aufmerksam gemacht, dass
es sich dort doch schon der Mühe lohnen müsse, derartige Ausstel-
lungen zu veranstalten. Sonst aber berührt das Leben von Australien,
welches sich scheinbar so still und ereignisslos abwickelt, kaum
unsere Kreise. Und doch verdient gerade dieses Land ein erhöhtes
Interesse, weil man dabei lernen kann, was menschliche Thatkraft
und menschlicher Fleiss in kurzer Zeit auf einem empfänglichen Boden
leisten können. Und dabei darf man nicht vergessen, dass die austra-
lischen Colonieen mit einer ganz enormen Schwierigkeit zu kämpfen
hatten. Ihre Anfänge waren die einer Deportationsstätte, die erste
Besiedelung geschah durch Sträflinge, ein guter Theil der Bevöl-
kerung stammt von Sträflingen ab. Als freie Einwanderer zu-
gezogen, da hatten sie es mit Deportirten, in der Heimat dem
Verbrechen verfallenen Leuten zu thun. Und trotzdem vollzog sich
doch der Entwicklungsprocess ungestört, und geschah die Reinigung
des Landes von diesem ihm anfänglich anhaftenden Uebel viel rascher
und intensiver, als man je hätte annehmen können. Heute erinnert
kaum mehr etwas an die Zeiten der Deportation. Freilich darf man
nicht meinen, dass Australien frei von Schäden sei. Schon die Epoche
des Goldzuzuges und das in den entlegenen Districten freiere Leben
haben Auswüchse mit sich gebracht, welche noch nicht ganz beseitigt
sind. Man befindet sich eben in einer jungen Colonie, die in der
Wahl ihrer Einwanderer keine allzustrenge Auswahl treffen kann und
der eine gewisse Ungebundenheit des Lebens zur Ausdehnung und
ferneren Besiedelung namentlich des inneren Gebietes unerlässlich ist.
Dafür zeigt Australien heute aber auch schon viele starke Seiten.
Australien ist eine Ackerbaucolonie geworden, woselbst der weisse
Mann seine neue Heimat findet, und welche er nicht wie die Plan-
tagen oder Minencolonieen, je eher je lieber reich geworden, verlässt.
Das Gold war hier, wie in Westamerika die Kraft, welche das
Schwungrad der Cultur in Bewegung setzte. Aber heute sind die Er-
trägnisse der Goldminen Nebensache, gegenüber den Producten der
Landwirthschaft. Die Schafzüchter, manche im Besitze von ½ Mill.
Stück, bilden die australische Aristokratie. Die Sturm- und Drang-
periode der „Goldzeit“ ist in Australien längst überwunden, allent-
halben stösst man auf feste organisatorische Grundlagen, auf ein
bereits in allen Theilen durchgebildetes Staatswesen, auf einen regen
Gemeingeist und auf eine wahrhaft patriotische Hingebung für das
Wohl und Gedeihen der Colonie. Der Australier, wenn auch durch-
weg nichtaustralischer Herkunft und wenn auch vorwiegend seiner

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[804/0820] Die australischen Gewässer. stellungen in Sydney und Melbourne darauf aufmerksam gemacht, dass es sich dort doch schon der Mühe lohnen müsse, derartige Ausstel- lungen zu veranstalten. Sonst aber berührt das Leben von Australien, welches sich scheinbar so still und ereignisslos abwickelt, kaum unsere Kreise. Und doch verdient gerade dieses Land ein erhöhtes Interesse, weil man dabei lernen kann, was menschliche Thatkraft und menschlicher Fleiss in kurzer Zeit auf einem empfänglichen Boden leisten können. Und dabei darf man nicht vergessen, dass die austra- lischen Colonieen mit einer ganz enormen Schwierigkeit zu kämpfen hatten. Ihre Anfänge waren die einer Deportationsstätte, die erste Besiedelung geschah durch Sträflinge, ein guter Theil der Bevöl- kerung stammt von Sträflingen ab. Als freie Einwanderer zu- gezogen, da hatten sie es mit Deportirten, in der Heimat dem Verbrechen verfallenen Leuten zu thun. Und trotzdem vollzog sich doch der Entwicklungsprocess ungestört, und geschah die Reinigung des Landes von diesem ihm anfänglich anhaftenden Uebel viel rascher und intensiver, als man je hätte annehmen können. Heute erinnert kaum mehr etwas an die Zeiten der Deportation. Freilich darf man nicht meinen, dass Australien frei von Schäden sei. Schon die Epoche des Goldzuzuges und das in den entlegenen Districten freiere Leben haben Auswüchse mit sich gebracht, welche noch nicht ganz beseitigt sind. Man befindet sich eben in einer jungen Colonie, die in der Wahl ihrer Einwanderer keine allzustrenge Auswahl treffen kann und der eine gewisse Ungebundenheit des Lebens zur Ausdehnung und ferneren Besiedelung namentlich des inneren Gebietes unerlässlich ist. Dafür zeigt Australien heute aber auch schon viele starke Seiten. Australien ist eine Ackerbaucolonie geworden, woselbst der weisse Mann seine neue Heimat findet, und welche er nicht wie die Plan- tagen oder Minencolonieen, je eher je lieber reich geworden, verlässt. Das Gold war hier, wie in Westamerika die Kraft, welche das Schwungrad der Cultur in Bewegung setzte. Aber heute sind die Er- trägnisse der Goldminen Nebensache, gegenüber den Producten der Landwirthschaft. Die Schafzüchter, manche im Besitze von ½ Mill. Stück, bilden die australische Aristokratie. Die Sturm- und Drang- periode der „Goldzeit“ ist in Australien längst überwunden, allent- halben stösst man auf feste organisatorische Grundlagen, auf ein bereits in allen Theilen durchgebildetes Staatswesen, auf einen regen Gemeingeist und auf eine wahrhaft patriotische Hingebung für das Wohl und Gedeihen der Colonie. Der Australier, wenn auch durch- weg nichtaustralischer Herkunft und wenn auch vorwiegend seiner

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 804. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/820>, abgerufen am 27.04.2024.