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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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Die atlantische Küste von Afrika.
Beduinen, Juden und Neger sind vorhanden, und dazwischen findet
man Europäer und sogenannte Rufiaten, von denen behauptet wird,
dass sie directe Nachkommen der alten Vandalen seien, welche
einstens vorübergehend ein grosses Reich in Nordafrika beherrscht
haben. Der Zahl nach stehen in erster Reihe die Mauren und die
Juden. Erstere bilden überhaupt in ganz Marokko die herrschende
Rasse. Man kann den Mauren nicht viel Gutes nachsagen, und wenn
auch deren Verwandtschaft mit jenem Volke feststeht, welches eine
so glänzende Rolle in Spanien zur Zeit spielte, als dort der Islam
weithin herrschte und die glänzendste Epoche schuf, welche Spanien
überhaupt erlebt hatte, so könnte man doch bei Betrachtung der
heutigen Mauren in Marokko fast an dem Vorhandensein irgend einer
Stammesbeziehung irre werden.

Der Maure in Marokko zeigt äusserlich immer noch einnehmende
Eigenschaften durch edle Züge und sichere Ruhe und durch eine
gewisse Eleganz seines Benehmens und seiner Tracht. Aber hinter
dieser Aussenseite bergen sich üble Eigenschaften, unter denen voll-
endete Heuchelei voran steht. Es gibt bei diesen Leuten weder
Glauben noch Treue, überhaupt mangelt ihnen jede bessere Sinnesart.
Habsucht, Geiz und eine grosse Verschlagenheit paaren sich mit
nicht geringer Indolenz, die nur durch Geldgier überwunden
werden kann. Nicht einmal annähernd haben sie das Gefühl des
Patriotismus. Das darf aber kaum erstaunen, denn wie soll sich unter den
Verhältnissen, welche heute in Marokko bestehen und die jeder ge-
sicherten Grundlage für den Einzelnen entbehren und schliesslich dem
Gutdünken des regierenden Sultans oder eines seiner augenblicklichen
Günstlinge Alles anheimstellen, ein solches Gefühl entwickeln? Wofür
soll eigentlich der Maure sich begeistern? Er kennt nur sein persön-
liches Interesse und das Streben, sich so weit als nur möglich den
Plackereien der Machthaber zu entziehen. In der Verwaltung des
Landes reflectirt sich, ebenso wie wir schon in Bezug auf die Justiz-
pflege erwähnten, der Charakter des Mauren, und so befindet man
sich auch hier wiederum in einem Zirkel. Der Charakter des Mauren
verdirbt die öffentlichen Zustände im Lande, und diese Zustände be-
einflussen wieder in höchst nachtheiliger Weise die Charakter-
eigenschaften des vorherrschenden Volksstammes.

Die Juden nehmen selbstverständlich, trotz ihrer Zahl, keine
hervorragende Stellung ein, aber sie zeichnen sich entgegen den
Mauren durch ihre unermüdliche Thätigkeit aus. Der Handel ist vor-
wiegend in ihren Händen, und auch auf dem Gebiete des Gewerbe-

Die atlantische Küste von Afrika.
Beduinen, Juden und Neger sind vorhanden, und dazwischen findet
man Europäer und sogenannte Rufiaten, von denen behauptet wird,
dass sie directe Nachkommen der alten Vandalen seien, welche
einstens vorübergehend ein grosses Reich in Nordafrika beherrscht
haben. Der Zahl nach stehen in erster Reihe die Mauren und die
Juden. Erstere bilden überhaupt in ganz Marokko die herrschende
Rasse. Man kann den Mauren nicht viel Gutes nachsagen, und wenn
auch deren Verwandtschaft mit jenem Volke feststeht, welches eine
so glänzende Rolle in Spanien zur Zeit spielte, als dort der Islam
weithin herrschte und die glänzendste Epoche schuf, welche Spanien
überhaupt erlebt hatte, so könnte man doch bei Betrachtung der
heutigen Mauren in Marokko fast an dem Vorhandensein irgend einer
Stammesbeziehung irre werden.

Der Maure in Marokko zeigt äusserlich immer noch einnehmende
Eigenschaften durch edle Züge und sichere Ruhe und durch eine
gewisse Eleganz seines Benehmens und seiner Tracht. Aber hinter
dieser Aussenseite bergen sich üble Eigenschaften, unter denen voll-
endete Heuchelei voran steht. Es gibt bei diesen Leuten weder
Glauben noch Treue, überhaupt mangelt ihnen jede bessere Sinnesart.
Habsucht, Geiz und eine grosse Verschlagenheit paaren sich mit
nicht geringer Indolenz, die nur durch Geldgier überwunden
werden kann. Nicht einmal annähernd haben sie das Gefühl des
Patriotismus. Das darf aber kaum erstaunen, denn wie soll sich unter den
Verhältnissen, welche heute in Marokko bestehen und die jeder ge-
sicherten Grundlage für den Einzelnen entbehren und schliesslich dem
Gutdünken des regierenden Sultans oder eines seiner augenblicklichen
Günstlinge Alles anheimstellen, ein solches Gefühl entwickeln? Wofür
soll eigentlich der Maure sich begeistern? Er kennt nur sein persön-
liches Interesse und das Streben, sich so weit als nur möglich den
Plackereien der Machthaber zu entziehen. In der Verwaltung des
Landes reflectirt sich, ebenso wie wir schon in Bezug auf die Justiz-
pflege erwähnten, der Charakter des Mauren, und so befindet man
sich auch hier wiederum in einem Zirkel. Der Charakter des Mauren
verdirbt die öffentlichen Zustände im Lande, und diese Zustände be-
einflussen wieder in höchst nachtheiliger Weise die Charakter-
eigenschaften des vorherrschenden Volksstammes.

Die Juden nehmen selbstverständlich, trotz ihrer Zahl, keine
hervorragende Stellung ein, aber sie zeichnen sich entgegen den
Mauren durch ihre unermüdliche Thätigkeit aus. Der Handel ist vor-
wiegend in ihren Händen, und auch auf dem Gebiete des Gewerbe-

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[744/0760] Die atlantische Küste von Afrika. Beduinen, Juden und Neger sind vorhanden, und dazwischen findet man Europäer und sogenannte Rufiaten, von denen behauptet wird, dass sie directe Nachkommen der alten Vandalen seien, welche einstens vorübergehend ein grosses Reich in Nordafrika beherrscht haben. Der Zahl nach stehen in erster Reihe die Mauren und die Juden. Erstere bilden überhaupt in ganz Marokko die herrschende Rasse. Man kann den Mauren nicht viel Gutes nachsagen, und wenn auch deren Verwandtschaft mit jenem Volke feststeht, welches eine so glänzende Rolle in Spanien zur Zeit spielte, als dort der Islam weithin herrschte und die glänzendste Epoche schuf, welche Spanien überhaupt erlebt hatte, so könnte man doch bei Betrachtung der heutigen Mauren in Marokko fast an dem Vorhandensein irgend einer Stammesbeziehung irre werden. Der Maure in Marokko zeigt äusserlich immer noch einnehmende Eigenschaften durch edle Züge und sichere Ruhe und durch eine gewisse Eleganz seines Benehmens und seiner Tracht. Aber hinter dieser Aussenseite bergen sich üble Eigenschaften, unter denen voll- endete Heuchelei voran steht. Es gibt bei diesen Leuten weder Glauben noch Treue, überhaupt mangelt ihnen jede bessere Sinnesart. Habsucht, Geiz und eine grosse Verschlagenheit paaren sich mit nicht geringer Indolenz, die nur durch Geldgier überwunden werden kann. Nicht einmal annähernd haben sie das Gefühl des Patriotismus. Das darf aber kaum erstaunen, denn wie soll sich unter den Verhältnissen, welche heute in Marokko bestehen und die jeder ge- sicherten Grundlage für den Einzelnen entbehren und schliesslich dem Gutdünken des regierenden Sultans oder eines seiner augenblicklichen Günstlinge Alles anheimstellen, ein solches Gefühl entwickeln? Wofür soll eigentlich der Maure sich begeistern? Er kennt nur sein persön- liches Interesse und das Streben, sich so weit als nur möglich den Plackereien der Machthaber zu entziehen. In der Verwaltung des Landes reflectirt sich, ebenso wie wir schon in Bezug auf die Justiz- pflege erwähnten, der Charakter des Mauren, und so befindet man sich auch hier wiederum in einem Zirkel. Der Charakter des Mauren verdirbt die öffentlichen Zustände im Lande, und diese Zustände be- einflussen wieder in höchst nachtheiliger Weise die Charakter- eigenschaften des vorherrschenden Volksstammes. Die Juden nehmen selbstverständlich, trotz ihrer Zahl, keine hervorragende Stellung ein, aber sie zeichnen sich entgegen den Mauren durch ihre unermüdliche Thätigkeit aus. Der Handel ist vor- wiegend in ihren Händen, und auch auf dem Gebiete des Gewerbe-

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 744. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/760>, abgerufen am 09.05.2024.