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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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Sansibar.
Drittel aller Häuser Sansibars aus Korallenstein errichtet ist, so wirkt
der Eindruck dieses Viertels doch schon minder günstig, wenngleich
das rege Treiben für den Ethnographen manches Interesse bietet. Der
Besuch des Quartiers, welches das Fort in der Mitte der Stadt umgibt,
stimmt noch mehr herab. Hier wohnen zum grossen Theile Fischer,
Matrosen und Sclaven, auch viele Neger. Man findet hier nur Hütten,
zumeist aus Bambus, mit Schmutz und üblem Geruch. Und diese Bei-
gaben steigern sich in den nur von Negern bewohnten Theilen der Stadt
in einer recht bedenklichen Weise, obwohl man trotz alledem mit
Recht sagen kann, dass Sansibar eine für afrikanische Begriffe
reinliche Stadt genannt werden muss.

Seewärts auf dem Hauptplatze liegt die Residenz des Sultans,
ein einfaches Gebäude mit zwei Stockwerken, dessen innere Einrich-
tung gleichfalls nichts von der in orientalischen Fürstensitzen gewöhn-
lichen Pracht zeigt. Neben dem Palaste befinden sich zwei Gebäude,
in denen der Harem des Sultans untergebracht ist. Sowohl der Palast
als auch der Platz, auf welchem derselbe steht, sind elektrisch be-
leuchtet. Die verschiedenen auf der Insel gelegenen Landhäuser des
Sultans sind bereits telephonisch mit dem Stadtpalais verbunden. Der
Harem des Sultans soll zahlreich besetzt sein. Der Sultan Seyid Khalifa
ben Said ist jedoch kein schroffer Orientale. Er hat Verständniss für
europäisches Wesen und kommt den Fremden mit Freundlichkeit
entgegen, wobei er wohl auf sein eigenes Interesse auch Bedacht
nimmt. Seine Stellung ist übrigens keine leichte, seitdem Ostafrika
von den Deutschen und Engländern aufgetheilt wurde; dabei verlor
Sansibar seine Besitzungen an der Küste des Continentes, und über den
Rest, die Inseln Sansibar und Pemba zusammen mit 2560 km2 um-
fassend, übernahm am 4. November 1890 England die Schutzherr-
schaft.

Wie alle Orientalen sind der Sultan und seine Rathgeber
schlaue Politiker, welche der unerbittlichen Nothwendigkeit der Ver-
hältnisse nachgaben, ohne Widerstand zu leisten. Der Sultan verfügt
auch über eine reguläre militärische Macht, welche bei feierlichen
Gelegenheiten mit einer gewissen Befriedigung gezeigt wird. Sie
besteht aus einer Leibwache von 1500 Mann, noch anderen
1400 Soldaten und einem Kriegsdampfer. Trotz der guten Bewaffnung
und einiger europäischer Cultur dürfte jedoch der innere Werth
dieser Truppen kein grosser sein. Am verlässlichsten ist jedenfalls
die meist aus Beludschen gebildete Leibwache; diese sind kräftige
Leute, die einen kriegerischen Eindruck machen, und denen vor

Sansibar.
Drittel aller Häuser Sansibars aus Korallenstein errichtet ist, so wirkt
der Eindruck dieses Viertels doch schon minder günstig, wenngleich
das rege Treiben für den Ethnographen manches Interesse bietet. Der
Besuch des Quartiers, welches das Fort in der Mitte der Stadt umgibt,
stimmt noch mehr herab. Hier wohnen zum grossen Theile Fischer,
Matrosen und Sclaven, auch viele Neger. Man findet hier nur Hütten,
zumeist aus Bambus, mit Schmutz und üblem Geruch. Und diese Bei-
gaben steigern sich in den nur von Negern bewohnten Theilen der Stadt
in einer recht bedenklichen Weise, obwohl man trotz alledem mit
Recht sagen kann, dass Sansibar eine für afrikanische Begriffe
reinliche Stadt genannt werden muss.

Seewärts auf dem Hauptplatze liegt die Residenz des Sultans,
ein einfaches Gebäude mit zwei Stockwerken, dessen innere Einrich-
tung gleichfalls nichts von der in orientalischen Fürstensitzen gewöhn-
lichen Pracht zeigt. Neben dem Palaste befinden sich zwei Gebäude,
in denen der Harem des Sultans untergebracht ist. Sowohl der Palast
als auch der Platz, auf welchem derselbe steht, sind elektrisch be-
leuchtet. Die verschiedenen auf der Insel gelegenen Landhäuser des
Sultans sind bereits telephonisch mit dem Stadtpalais verbunden. Der
Harem des Sultans soll zahlreich besetzt sein. Der Sultan Seyid Khalifa
ben Saïd ist jedoch kein schroffer Orientale. Er hat Verständniss für
europäisches Wesen und kommt den Fremden mit Freundlichkeit
entgegen, wobei er wohl auf sein eigenes Interesse auch Bedacht
nimmt. Seine Stellung ist übrigens keine leichte, seitdem Ostafrika
von den Deutschen und Engländern aufgetheilt wurde; dabei verlor
Sansibar seine Besitzungen an der Küste des Continentes, und über den
Rest, die Inseln Sansibar und Pemba zusammen mit 2560 km2 um-
fassend, übernahm am 4. November 1890 England die Schutzherr-
schaft.

Wie alle Orientalen sind der Sultan und seine Rathgeber
schlaue Politiker, welche der unerbittlichen Nothwendigkeit der Ver-
hältnisse nachgaben, ohne Widerstand zu leisten. Der Sultan verfügt
auch über eine reguläre militärische Macht, welche bei feierlichen
Gelegenheiten mit einer gewissen Befriedigung gezeigt wird. Sie
besteht aus einer Leibwache von 1500 Mann, noch anderen
1400 Soldaten und einem Kriegsdampfer. Trotz der guten Bewaffnung
und einiger europäischer Cultur dürfte jedoch der innere Werth
dieser Truppen kein grosser sein. Am verlässlichsten ist jedenfalls
die meist aus Beludschen gebildete Leibwache; diese sind kräftige
Leute, die einen kriegerischen Eindruck machen, und denen vor

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[647/0663] Sansibar. Drittel aller Häuser Sansibars aus Korallenstein errichtet ist, so wirkt der Eindruck dieses Viertels doch schon minder günstig, wenngleich das rege Treiben für den Ethnographen manches Interesse bietet. Der Besuch des Quartiers, welches das Fort in der Mitte der Stadt umgibt, stimmt noch mehr herab. Hier wohnen zum grossen Theile Fischer, Matrosen und Sclaven, auch viele Neger. Man findet hier nur Hütten, zumeist aus Bambus, mit Schmutz und üblem Geruch. Und diese Bei- gaben steigern sich in den nur von Negern bewohnten Theilen der Stadt in einer recht bedenklichen Weise, obwohl man trotz alledem mit Recht sagen kann, dass Sansibar eine für afrikanische Begriffe reinliche Stadt genannt werden muss. Seewärts auf dem Hauptplatze liegt die Residenz des Sultans, ein einfaches Gebäude mit zwei Stockwerken, dessen innere Einrich- tung gleichfalls nichts von der in orientalischen Fürstensitzen gewöhn- lichen Pracht zeigt. Neben dem Palaste befinden sich zwei Gebäude, in denen der Harem des Sultans untergebracht ist. Sowohl der Palast als auch der Platz, auf welchem derselbe steht, sind elektrisch be- leuchtet. Die verschiedenen auf der Insel gelegenen Landhäuser des Sultans sind bereits telephonisch mit dem Stadtpalais verbunden. Der Harem des Sultans soll zahlreich besetzt sein. Der Sultan Seyid Khalifa ben Saïd ist jedoch kein schroffer Orientale. Er hat Verständniss für europäisches Wesen und kommt den Fremden mit Freundlichkeit entgegen, wobei er wohl auf sein eigenes Interesse auch Bedacht nimmt. Seine Stellung ist übrigens keine leichte, seitdem Ostafrika von den Deutschen und Engländern aufgetheilt wurde; dabei verlor Sansibar seine Besitzungen an der Küste des Continentes, und über den Rest, die Inseln Sansibar und Pemba zusammen mit 2560 km2 um- fassend, übernahm am 4. November 1890 England die Schutzherr- schaft. Wie alle Orientalen sind der Sultan und seine Rathgeber schlaue Politiker, welche der unerbittlichen Nothwendigkeit der Ver- hältnisse nachgaben, ohne Widerstand zu leisten. Der Sultan verfügt auch über eine reguläre militärische Macht, welche bei feierlichen Gelegenheiten mit einer gewissen Befriedigung gezeigt wird. Sie besteht aus einer Leibwache von 1500 Mann, noch anderen 1400 Soldaten und einem Kriegsdampfer. Trotz der guten Bewaffnung und einiger europäischer Cultur dürfte jedoch der innere Werth dieser Truppen kein grosser sein. Am verlässlichsten ist jedenfalls die meist aus Beludschen gebildete Leibwache; diese sind kräftige Leute, die einen kriegerischen Eindruck machen, und denen vor

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 647. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/663>, abgerufen am 09.05.2024.