Punkt in der mohammedanischen Religion eine Rolle spielt. Dieses so- genannte Grab ist ein roher Steinbau und besteht aus zwei niederen Mauern, welche in einer Entfernung von 2 m miteinander parallel laufen. Die Länge der Mauern beträgt ungefähr je 70 m. Sie sind genau von Nord nach Süd gerichtet. Am südlichen Ende dersel- ben erhebt sich eine Palme, um den Punkt zu bezeichnen, wo der Kopf der "Mutter des Menschengeschlechtes" ruht. Dass diese Mutter ein Weib von ganz gewaltigen Dimensionen gewesen sein muss, erhellt aus dem Umstande, dass ungefähr 40 m vom Kopf- ende entfernt eine Art von Capelle errichtet ist, um die Stelle zu kennzeichnen, wo nach der Tradition der Nabel der Eva zu liegen kommt. In dieser Capelle steht ein schöner Schrank, der einen alten, mit vielen räthselhaften Inschriften bedeckten Stein umschliesst. Die Wände dieser Capelle sind mit Sprüchen des Korans bedeckt. Der ganze Boden des angeblichen Grabes ist reich mit Kräutern bepflanzt und bietet dadurch auch dem Giaur einen erfrischenden Anblick. Zum Grabe der Eva wandern nun die Pilger zuerst, ehe sie noch den Zug nach Mekka antreten. Dort beten sie inbrünstig und werden manchen Goldstückes ledig, welche die stets zahlreich versammelten Derwische ihnen abnehmen.
Zwischen dem Grabe der Eva und dem nahen, auf der Strasse nach Mekka gelegenen Stadtthore sammeln sich in der Regel die Pilgerkarawanen vor ihrem Abgange. Man veranschlagt die Zahl der jährlich durch Dscheddah ziehenden Pilger auf durchschnittlich 100.000, von denen wenigstens die Hälfte auf dem Seewege anlangen. Diese Pilgertransporte bilden für die betreffenden Dampferlinien ein ganz einträgliches Geschäft, dessen Schattenseite nur darin liegt, dass diese Pilger nicht selten die Keime der Cholera mit sich schleppen und dann alle möglichen sanitären Plackereien für die betroffenen Schiffe verursachen.
Die eigentliche Einwohnerzahl der Stadt beläuft sich auf etwa 20.000 Seelen, vorwiegend arabischen Stammes. Neben den Leuten letzteren Schlages gibt es viele Neger, welche Sclaven sind oder doch Sclavendienste verrichten. Einst bildete der Handel mit solchen Sclaven aus Afrika nach Arabien ein schwungvoll betriebenes Ge- schäft, und Dscheddah wie Hodeida waren gute Stapelplätze für den weiteren Vertrieb dieser "Waare". Heute wird der ganze Ost- saum Afrikas von Kriegsschiffen bewacht, damit ja nicht die be- rüchtigten Dhaus mit der "schwarzen Waare" herüberkommen können, aber ganz kann man bis jetzt das Unwesen doch nicht hindern. In
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Dscheddah.
Punkt in der mohammedanischen Religion eine Rolle spielt. Dieses so- genannte Grab ist ein roher Steinbau und besteht aus zwei niederen Mauern, welche in einer Entfernung von 2 m miteinander parallel laufen. Die Länge der Mauern beträgt ungefähr je 70 m. Sie sind genau von Nord nach Süd gerichtet. Am südlichen Ende dersel- ben erhebt sich eine Palme, um den Punkt zu bezeichnen, wo der Kopf der „Mutter des Menschengeschlechtes“ ruht. Dass diese Mutter ein Weib von ganz gewaltigen Dimensionen gewesen sein muss, erhellt aus dem Umstande, dass ungefähr 40 m vom Kopf- ende entfernt eine Art von Capelle errichtet ist, um die Stelle zu kennzeichnen, wo nach der Tradition der Nabel der Eva zu liegen kommt. In dieser Capelle steht ein schöner Schrank, der einen alten, mit vielen räthselhaften Inschriften bedeckten Stein umschliesst. Die Wände dieser Capelle sind mit Sprüchen des Korans bedeckt. Der ganze Boden des angeblichen Grabes ist reich mit Kräutern bepflanzt und bietet dadurch auch dem Giaur einen erfrischenden Anblick. Zum Grabe der Eva wandern nun die Pilger zuerst, ehe sie noch den Zug nach Mekka antreten. Dort beten sie inbrünstig und werden manchen Goldstückes ledig, welche die stets zahlreich versammelten Derwische ihnen abnehmen.
Zwischen dem Grabe der Eva und dem nahen, auf der Strasse nach Mekka gelegenen Stadtthore sammeln sich in der Regel die Pilgerkarawanen vor ihrem Abgange. Man veranschlagt die Zahl der jährlich durch Dscheddah ziehenden Pilger auf durchschnittlich 100.000, von denen wenigstens die Hälfte auf dem Seewege anlangen. Diese Pilgertransporte bilden für die betreffenden Dampferlinien ein ganz einträgliches Geschäft, dessen Schattenseite nur darin liegt, dass diese Pilger nicht selten die Keime der Cholera mit sich schleppen und dann alle möglichen sanitären Plackereien für die betroffenen Schiffe verursachen.
Die eigentliche Einwohnerzahl der Stadt beläuft sich auf etwa 20.000 Seelen, vorwiegend arabischen Stammes. Neben den Leuten letzteren Schlages gibt es viele Neger, welche Sclaven sind oder doch Sclavendienste verrichten. Einst bildete der Handel mit solchen Sclaven aus Afrika nach Arabien ein schwungvoll betriebenes Ge- schäft, und Dscheddah wie Hodeida waren gute Stapelplätze für den weiteren Vertrieb dieser „Waare“. Heute wird der ganze Ost- saum Afrikas von Kriegsschiffen bewacht, damit ja nicht die be- rüchtigten Dhaus mit der „schwarzen Waare“ herüberkommen können, aber ganz kann man bis jetzt das Unwesen doch nicht hindern. In
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Dscheddah.
Punkt in der mohammedanischen Religion eine Rolle spielt. Dieses so-
genannte Grab ist ein roher Steinbau und besteht aus zwei niederen
Mauern, welche in einer Entfernung von 2 m miteinander parallel
laufen. Die Länge der Mauern beträgt ungefähr je 70 m. Sie sind
genau von Nord nach Süd gerichtet. Am südlichen Ende dersel-
ben erhebt sich eine Palme, um den Punkt zu bezeichnen, wo
der Kopf der „Mutter des Menschengeschlechtes“ ruht. Dass diese
Mutter ein Weib von ganz gewaltigen Dimensionen gewesen sein
muss, erhellt aus dem Umstande, dass ungefähr 40 m vom Kopf-
ende entfernt eine Art von Capelle errichtet ist, um die Stelle zu
kennzeichnen, wo nach der Tradition der Nabel der Eva zu liegen
kommt. In dieser Capelle steht ein schöner Schrank, der einen alten,
mit vielen räthselhaften Inschriften bedeckten Stein umschliesst. Die
Wände dieser Capelle sind mit Sprüchen des Korans bedeckt. Der
ganze Boden des angeblichen Grabes ist reich mit Kräutern bepflanzt
und bietet dadurch auch dem Giaur einen erfrischenden Anblick.
Zum Grabe der Eva wandern nun die Pilger zuerst, ehe sie noch den
Zug nach Mekka antreten. Dort beten sie inbrünstig und werden
manchen Goldstückes ledig, welche die stets zahlreich versammelten
Derwische ihnen abnehmen.
Zwischen dem Grabe der Eva und dem nahen, auf der Strasse
nach Mekka gelegenen Stadtthore sammeln sich in der Regel die
Pilgerkarawanen vor ihrem Abgange. Man veranschlagt die Zahl der
jährlich durch Dscheddah ziehenden Pilger auf durchschnittlich
100.000, von denen wenigstens die Hälfte auf dem Seewege anlangen.
Diese Pilgertransporte bilden für die betreffenden Dampferlinien ein
ganz einträgliches Geschäft, dessen Schattenseite nur darin liegt, dass
diese Pilger nicht selten die Keime der Cholera mit sich schleppen
und dann alle möglichen sanitären Plackereien für die betroffenen
Schiffe verursachen.
Die eigentliche Einwohnerzahl der Stadt beläuft sich auf etwa
20.000 Seelen, vorwiegend arabischen Stammes. Neben den Leuten
letzteren Schlages gibt es viele Neger, welche Sclaven sind oder
doch Sclavendienste verrichten. Einst bildete der Handel mit solchen
Sclaven aus Afrika nach Arabien ein schwungvoll betriebenes Ge-
schäft, und Dscheddah wie Hodeida waren gute Stapelplätze für
den weiteren Vertrieb dieser „Waare“. Heute wird der ganze Ost-
saum Afrikas von Kriegsschiffen bewacht, damit ja nicht die be-
rüchtigten Dhaus mit der „schwarzen Waare“ herüberkommen können,
aber ganz kann man bis jetzt das Unwesen doch nicht hindern. In
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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 635. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/651>, abgerufen am 22.11.2024.
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