Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

Der grosse Ocean.
Recht zum directen amtlichen Verkehr mit der Provincialregierung
einräumte und ihre Stellung den Eingeborenen gegenüber regelte.

Dieses erste amtliche Zugeständniss von Seite der Chinesen er-
weckte in England die Hoffnung, dass auch die Centralregierung sich
Vertragsverhandlungen gegenüber gefügiger zeigen würde. Lord
Amherst wurde 1816 nach Peking entsendet. Man behandelte ihn mit
grosser Höflichkeit, verlangte aber als Bedingung der Audienz beim
Kaiser, dass er sich dem Ceremoniell für Tributbringer unterwerfe,
was Amherst natürlich ablehnte. Der Handel, der auch für die
Chinesen schon zur Nothwendigkeit geworden war, wurde in der üb-
lichen Art weitergeführt. Die Vorsteher der einzelnen Factoreien waren
auch die Vertreter der Regierung; was den Handel selbst anbelangte,
standen sie mit den Hong-Kaufleuten, und in politischen Angelegen-
heiten mit der Provincialregierung in Verbindung.

Mit dem Erlöschen des Monopols der ostindischen Compagnie
(1834), wodurch den Factoreivertretern die Amtsgewalt genommen
wurde und der Handel Jedermann freistand, trat in den englisch-
chinesischen Beziehungen eine arge Verschlimmerung ein. Der Opium-
handel nahm jetzt so bedeutende Dimensionen an, dass die chinesische
Regierung, welche in der Masseneinfuhr dieses Artikels eine Gefahr
für das Volk erblickte, denselben ganz verbot, worauf sich ein gross-
artiges Schmuggelsystem entwickelte. Durch Bestechung der Mandarine
gelang es auf Lin-Tin, einer kleinen Insel an der Mündung des Perl-
flusses, einen Stapelplatz für den Opiumschleichhandel förmlich unter
den Augen der chinesischen Behörden zu errichten. Die chinesische
Centralregierung in Peking wollte diesem Scandal ein Ende machen.

Sie entsandte 1839 einen hohen Mandarin, Lin-Tse-Tsin, einen
begabten und ausdauernden Vertreter des Altchinesenthums, mit den
ausgedehntesten Vollmachten versehen nach Canton, um den Opium-
schmuggel auszurotten und wieder einen regelmässigen Handel anzu-
bahnen. Er nahm seine Aufgabe zwar sehr ernst, setzte die Todes-
strafe auf den Genuss von Opium, zwang alle fremden Kaufleute zur
Ablieferung ihrer Vorräthe, die er sofort vernichten liess, und nahm
die bisher mit den Fremden und speciell mit dem Opiumhandel in
Verbindung gestandenen einheimischen Kaufleute unter scharfe Auf-
sicht, konnte aber dem Schmuggel nicht Einhalt thun, welcher nun
über Land stattfand, da ihm der Flussweg versperrt war.

Lin-Tse-Tsin versuchte sämmtliche fremde Ansiedler, insbesondere
aber die Engländer, zur Unterfertigung eines Reverses zu bewegen,
der sie verpflichtete, auf ihren Schiffen kein Opium zur Einfuhr zu

Der grosse Ocean.
Recht zum directen amtlichen Verkehr mit der Provincialregierung
einräumte und ihre Stellung den Eingeborenen gegenüber regelte.

Dieses erste amtliche Zugeständniss von Seite der Chinesen er-
weckte in England die Hoffnung, dass auch die Centralregierung sich
Vertragsverhandlungen gegenüber gefügiger zeigen würde. Lord
Amherst wurde 1816 nach Peking entsendet. Man behandelte ihn mit
grosser Höflichkeit, verlangte aber als Bedingung der Audienz beim
Kaiser, dass er sich dem Ceremoniell für Tributbringer unterwerfe,
was Amherst natürlich ablehnte. Der Handel, der auch für die
Chinesen schon zur Nothwendigkeit geworden war, wurde in der üb-
lichen Art weitergeführt. Die Vorsteher der einzelnen Factoreien waren
auch die Vertreter der Regierung; was den Handel selbst anbelangte,
standen sie mit den Hong-Kaufleuten, und in politischen Angelegen-
heiten mit der Provincialregierung in Verbindung.

Mit dem Erlöschen des Monopols der ostindischen Compagnie
(1834), wodurch den Factoreivertretern die Amtsgewalt genommen
wurde und der Handel Jedermann freistand, trat in den englisch-
chinesischen Beziehungen eine arge Verschlimmerung ein. Der Opium-
handel nahm jetzt so bedeutende Dimensionen an, dass die chinesische
Regierung, welche in der Masseneinfuhr dieses Artikels eine Gefahr
für das Volk erblickte, denselben ganz verbot, worauf sich ein gross-
artiges Schmuggelsystem entwickelte. Durch Bestechung der Mandarine
gelang es auf Lin-Tin, einer kleinen Insel an der Mündung des Perl-
flusses, einen Stapelplatz für den Opiumschleichhandel förmlich unter
den Augen der chinesischen Behörden zu errichten. Die chinesische
Centralregierung in Peking wollte diesem Scandal ein Ende machen.

Sie entsandte 1839 einen hohen Mandarin, Lin-Tse-Tsin, einen
begabten und ausdauernden Vertreter des Altchinesenthums, mit den
ausgedehntesten Vollmachten versehen nach Canton, um den Opium-
schmuggel auszurotten und wieder einen regelmässigen Handel anzu-
bahnen. Er nahm seine Aufgabe zwar sehr ernst, setzte die Todes-
strafe auf den Genuss von Opium, zwang alle fremden Kaufleute zur
Ablieferung ihrer Vorräthe, die er sofort vernichten liess, und nahm
die bisher mit den Fremden und speciell mit dem Opiumhandel in
Verbindung gestandenen einheimischen Kaufleute unter scharfe Auf-
sicht, konnte aber dem Schmuggel nicht Einhalt thun, welcher nun
über Land stattfand, da ihm der Flussweg versperrt war.

Lin-Tse-Tsin versuchte sämmtliche fremde Ansiedler, insbesondere
aber die Engländer, zur Unterfertigung eines Reverses zu bewegen,
der sie verpflichtete, auf ihren Schiffen kein Opium zur Einfuhr zu

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0402" n="386"/><fw place="top" type="header">Der grosse Ocean.</fw><lb/>
Recht zum directen amtlichen Verkehr mit der Provincialregierung<lb/>
einräumte und ihre Stellung den Eingeborenen gegenüber regelte.</p><lb/>
          <p>Dieses erste amtliche Zugeständniss von Seite der Chinesen er-<lb/>
weckte in England die Hoffnung, dass auch die Centralregierung sich<lb/>
Vertragsverhandlungen gegenüber gefügiger zeigen würde. Lord<lb/>
Amherst wurde 1816 nach Peking entsendet. Man behandelte ihn mit<lb/>
grosser Höflichkeit, verlangte aber als Bedingung der Audienz beim<lb/>
Kaiser, dass er sich dem Ceremoniell für Tributbringer unterwerfe,<lb/>
was Amherst natürlich ablehnte. Der Handel, der auch für die<lb/>
Chinesen schon zur Nothwendigkeit geworden war, wurde in der üb-<lb/>
lichen Art weitergeführt. Die Vorsteher der einzelnen Factoreien waren<lb/>
auch die Vertreter der Regierung; was den Handel selbst anbelangte,<lb/>
standen sie mit den Hong-Kaufleuten, und in politischen Angelegen-<lb/>
heiten mit der Provincialregierung in Verbindung.</p><lb/>
          <p>Mit dem Erlöschen des Monopols der ostindischen Compagnie<lb/>
(1834), wodurch den Factoreivertretern die Amtsgewalt genommen<lb/>
wurde und der Handel Jedermann freistand, trat in den englisch-<lb/>
chinesischen Beziehungen eine arge Verschlimmerung ein. Der Opium-<lb/>
handel nahm jetzt so bedeutende Dimensionen an, dass die chinesische<lb/>
Regierung, welche in der Masseneinfuhr dieses Artikels eine Gefahr<lb/>
für das Volk erblickte, denselben ganz verbot, worauf sich ein gross-<lb/>
artiges Schmuggelsystem entwickelte. Durch Bestechung der Mandarine<lb/>
gelang es auf Lin-Tin, einer kleinen Insel an der Mündung des Perl-<lb/>
flusses, einen Stapelplatz für den Opiumschleichhandel förmlich unter<lb/>
den Augen der chinesischen Behörden zu errichten. Die chinesische<lb/>
Centralregierung in Peking wollte diesem Scandal ein Ende machen.</p><lb/>
          <p>Sie entsandte 1839 einen hohen Mandarin, Lin-Tse-Tsin, einen<lb/>
begabten und ausdauernden Vertreter des Altchinesenthums, mit den<lb/>
ausgedehntesten Vollmachten versehen nach Canton, um den Opium-<lb/>
schmuggel auszurotten und wieder einen regelmässigen Handel anzu-<lb/>
bahnen. Er nahm seine Aufgabe zwar sehr ernst, setzte die Todes-<lb/>
strafe auf den Genuss von Opium, zwang alle fremden Kaufleute zur<lb/>
Ablieferung ihrer Vorräthe, die er sofort vernichten liess, und nahm<lb/>
die bisher mit den Fremden und speciell mit dem Opiumhandel in<lb/>
Verbindung gestandenen einheimischen Kaufleute unter scharfe Auf-<lb/>
sicht, konnte aber dem Schmuggel nicht Einhalt thun, welcher nun<lb/>
über Land stattfand, da ihm der Flussweg versperrt war.</p><lb/>
          <p>Lin-Tse-Tsin versuchte sämmtliche fremde Ansiedler, insbesondere<lb/>
aber die Engländer, zur Unterfertigung eines Reverses zu bewegen,<lb/>
der sie verpflichtete, auf ihren Schiffen kein Opium zur Einfuhr zu<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[386/0402] Der grosse Ocean. Recht zum directen amtlichen Verkehr mit der Provincialregierung einräumte und ihre Stellung den Eingeborenen gegenüber regelte. Dieses erste amtliche Zugeständniss von Seite der Chinesen er- weckte in England die Hoffnung, dass auch die Centralregierung sich Vertragsverhandlungen gegenüber gefügiger zeigen würde. Lord Amherst wurde 1816 nach Peking entsendet. Man behandelte ihn mit grosser Höflichkeit, verlangte aber als Bedingung der Audienz beim Kaiser, dass er sich dem Ceremoniell für Tributbringer unterwerfe, was Amherst natürlich ablehnte. Der Handel, der auch für die Chinesen schon zur Nothwendigkeit geworden war, wurde in der üb- lichen Art weitergeführt. Die Vorsteher der einzelnen Factoreien waren auch die Vertreter der Regierung; was den Handel selbst anbelangte, standen sie mit den Hong-Kaufleuten, und in politischen Angelegen- heiten mit der Provincialregierung in Verbindung. Mit dem Erlöschen des Monopols der ostindischen Compagnie (1834), wodurch den Factoreivertretern die Amtsgewalt genommen wurde und der Handel Jedermann freistand, trat in den englisch- chinesischen Beziehungen eine arge Verschlimmerung ein. Der Opium- handel nahm jetzt so bedeutende Dimensionen an, dass die chinesische Regierung, welche in der Masseneinfuhr dieses Artikels eine Gefahr für das Volk erblickte, denselben ganz verbot, worauf sich ein gross- artiges Schmuggelsystem entwickelte. Durch Bestechung der Mandarine gelang es auf Lin-Tin, einer kleinen Insel an der Mündung des Perl- flusses, einen Stapelplatz für den Opiumschleichhandel förmlich unter den Augen der chinesischen Behörden zu errichten. Die chinesische Centralregierung in Peking wollte diesem Scandal ein Ende machen. Sie entsandte 1839 einen hohen Mandarin, Lin-Tse-Tsin, einen begabten und ausdauernden Vertreter des Altchinesenthums, mit den ausgedehntesten Vollmachten versehen nach Canton, um den Opium- schmuggel auszurotten und wieder einen regelmässigen Handel anzu- bahnen. Er nahm seine Aufgabe zwar sehr ernst, setzte die Todes- strafe auf den Genuss von Opium, zwang alle fremden Kaufleute zur Ablieferung ihrer Vorräthe, die er sofort vernichten liess, und nahm die bisher mit den Fremden und speciell mit dem Opiumhandel in Verbindung gestandenen einheimischen Kaufleute unter scharfe Auf- sicht, konnte aber dem Schmuggel nicht Einhalt thun, welcher nun über Land stattfand, da ihm der Flussweg versperrt war. Lin-Tse-Tsin versuchte sämmtliche fremde Ansiedler, insbesondere aber die Engländer, zur Unterfertigung eines Reverses zu bewegen, der sie verpflichtete, auf ihren Schiffen kein Opium zur Einfuhr zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/402
Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/402>, abgerufen am 17.05.2024.