Abgeschlossenheit ist das hauptsächlichste Merkmal der politi- schen und der Culturgeschichte der Chinesen. Wie gross muss die geistige Begabung und die Bildungsfähigkeit des Volkes sein, das sich durch eine Reihe von Jahrtausenden in den Stromgebieten des Hoangho und Yangtsekiang durch grosse Wüsten, himmelanstre- bende Gebirge und feindliche Nomadenvölker von dem Verkehre mit den Nationen der arisch-semitischen Welt getrennt, selbständig ent- wickelt hat und nie ein Volk neben sich sah, das es als eben- bürtig anerkennen konnte. Daraus erklären sich, wie Richthofen (in China, I. S. 386) sagt, alle Vorzüge und Fehler der Chinesen, daraus die Thatsache, dass die in ihrer Art hoch entwickelte chi- nesische Cultur so starr und als "die einzige der Welt" neben der europäischen unbeugsam ist. Die Chinesen betrachten sich als die Herren der Erde und können es nicht fassen, dass andere Völker etwas erfunden haben sollten, das nicht ursprünglich von ihnen selbst stamme.
Nur langsam lüftete sich der undurchdringliche Schleier, der die östliche von der westlichen Welt trennte. Erst als die Chinesen im II. Jahrhundert v. Chr. ihre eigenen Landesgrenzen durch die "Grosse Mauer" vor den Einfällen der umwohnenden Nomaden ge- sichert hatten, konnten sie sich den Weg nach den Culturländern des Westens bahnen. Seide war das treibende Moment, welches durch etwa ein Jahrhundert den Verkehr aufrecht hielt. Doch erlangten die Griechen und Römer nur unbestimmte Kenntniss von der Grösse und dem Reichthum Chinas, welches Ptolemaeus "Serica" nennt.
Unsere ersten, etwas genaueren Nachrichten über dieses Land datiren erst aus dem IX. Jahrhundert, in welchem arabische Kaufleute südchinesische Häfen besuchten und daselbst Factoreien gründeten.
Da entstand gegen Ende des XII. Jahrhunderts meteorartig das gewaltige Mongolenreich des Dschingis-Chan, das unter einem Scepter
Chinesische Häfen.
Abgeschlossenheit ist das hauptsächlichste Merkmal der politi- schen und der Culturgeschichte der Chinesen. Wie gross muss die geistige Begabung und die Bildungsfähigkeit des Volkes sein, das sich durch eine Reihe von Jahrtausenden in den Stromgebieten des Hoangho und Yangtsekiang durch grosse Wüsten, himmelanstre- bende Gebirge und feindliche Nomadenvölker von dem Verkehre mit den Nationen der arisch-semitischen Welt getrennt, selbständig ent- wickelt hat und nie ein Volk neben sich sah, das es als eben- bürtig anerkennen konnte. Daraus erklären sich, wie Richthofen (in China, I. S. 386) sagt, alle Vorzüge und Fehler der Chinesen, daraus die Thatsache, dass die in ihrer Art hoch entwickelte chi- nesische Cultur so starr und als „die einzige der Welt“ neben der europäischen unbeugsam ist. Die Chinesen betrachten sich als die Herren der Erde und können es nicht fassen, dass andere Völker etwas erfunden haben sollten, das nicht ursprünglich von ihnen selbst stamme.
Nur langsam lüftete sich der undurchdringliche Schleier, der die östliche von der westlichen Welt trennte. Erst als die Chinesen im II. Jahrhundert v. Chr. ihre eigenen Landesgrenzen durch die „Grosse Mauer“ vor den Einfällen der umwohnenden Nomaden ge- sichert hatten, konnten sie sich den Weg nach den Culturländern des Westens bahnen. Seide war das treibende Moment, welches durch etwa ein Jahrhundert den Verkehr aufrecht hielt. Doch erlangten die Griechen und Römer nur unbestimmte Kenntniss von der Grösse und dem Reichthum Chinas, welches Ptolemaeus „Serica“ nennt.
Unsere ersten, etwas genaueren Nachrichten über dieses Land datiren erst aus dem IX. Jahrhundert, in welchem arabische Kaufleute südchinesische Häfen besuchten und daselbst Factoreien gründeten.
Da entstand gegen Ende des XII. Jahrhunderts meteorartig das gewaltige Mongolenreich des Dschingis-Chan, das unter einem Scepter
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[[381]/0397]
Chinesische Häfen.
Abgeschlossenheit ist das hauptsächlichste Merkmal der politi-
schen und der Culturgeschichte der Chinesen. Wie gross muss die
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sich durch eine Reihe von Jahrtausenden in den Stromgebieten des
Hoangho und Yangtsekiang durch grosse Wüsten, himmelanstre-
bende Gebirge und feindliche Nomadenvölker von dem Verkehre mit
den Nationen der arisch-semitischen Welt getrennt, selbständig ent-
wickelt hat und nie ein Volk neben sich sah, das es als eben-
bürtig anerkennen konnte. Daraus erklären sich, wie Richthofen
(in China, I. S. 386) sagt, alle Vorzüge und Fehler der Chinesen,
daraus die Thatsache, dass die in ihrer Art hoch entwickelte chi-
nesische Cultur so starr und als „die einzige der Welt“ neben der
europäischen unbeugsam ist. Die Chinesen betrachten sich als die
Herren der Erde und können es nicht fassen, dass andere Völker
etwas erfunden haben sollten, das nicht ursprünglich von ihnen
selbst stamme.
Nur langsam lüftete sich der undurchdringliche Schleier, der
die östliche von der westlichen Welt trennte. Erst als die Chinesen
im II. Jahrhundert v. Chr. ihre eigenen Landesgrenzen durch die
„Grosse Mauer“ vor den Einfällen der umwohnenden Nomaden ge-
sichert hatten, konnten sie sich den Weg nach den Culturländern des
Westens bahnen. Seide war das treibende Moment, welches durch
etwa ein Jahrhundert den Verkehr aufrecht hielt. Doch erlangten die
Griechen und Römer nur unbestimmte Kenntniss von der Grösse und
dem Reichthum Chinas, welches Ptolemaeus „Serica“ nennt.
Unsere ersten, etwas genaueren Nachrichten über dieses Land
datiren erst aus dem IX. Jahrhundert, in welchem arabische Kaufleute
südchinesische Häfen besuchten und daselbst Factoreien gründeten.
Da entstand gegen Ende des XII. Jahrhunderts meteorartig das
gewaltige Mongolenreich des Dschingis-Chan, das unter einem Scepter
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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. [381]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/397>, abgerufen am 22.11.2024.
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