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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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Der grosse Ocean.
delsreisende Marco Polo an die Ufer des gelben Meeres. Seine
Schilderungen von Chathay (China) mit dem Handelsplatze Quinsay
(Hangtscheou-Fu) und von Zipangu (Japan) fanden zwar nicht überall
Glauben, aber an ihnen entzündete sich die thatkräftige Phantasie
eines Christoph Columbus, ja des ganzen Zeitalters der Entdeckungen.
Das Ziel der spanischen, portugiesischen, englischen, holländischen,
und französischen Seefahrer war neben Indien das pacifische Ostasien.

Alle wirklichen oder möglichen Entdeckungen sollten einem
doppelten Zwecke dienstbar gemacht werden: einem materiellen, halb
auf gewaltsame Ausbeutung, halb auf friedliche Handelsverbindungen
gerichteten, und einem ideellen, der Ausbreitung des christlichen
Glaubens. Den genannten Zielen und Zwecken konnte man sich auf
vier verschiedenen Seewegen nähern, den vier berühmten "Durch-
fahrten" oder Passagen: der südöstlichen Durchfahrt um die Süd-
spitze Afrikas und die beiden Indien herum; der südwestlichen um
die neuentdeckte Welt herum; der nordwestlichen längs des Nord-
randes von Amerika und der nordöstlichen nördlich von Europa und
Asien. Durch die Benützung des südöstlichen Seeweges kamen die
Portugiesen allen Mitbewerbern zuvor. Freilich gegen das chinesische
Reich konnten sie nicht mit Gewalt vorgehen, nach einigen unge-
schickten und darum fehlgeschlagenen Occupationsversuchen be-
hielten sie einen einzigen Handelsplatz, Macao, der ihnen denn auch
bis heute verblieben ist. Mit Japan machten sie 1542 die erste Be-
kanntschaft.

Unterdessen waren auch die Spanier bis zur Südsee vorge-
drungen, aber nicht an deren West-, sondern an deren Ostgestade.
Im Jahre 1513 ergriff der Entdecker Vasco Nundez Balbao südlich
der Landenge von Panama, die er glücklicherweise entdeckte, von
dem unbekannten Meere durch einen symbolischen Act im Namen der
spanischen Krone Besitz. War doch dieser kraft der vom Papste
Alexander VI. vorgenommenen Theilung der Erde die westliche Hemi-
sphäre ebenso zuerkannt worden, wie den Portugiesen die östliche.
Nun drang aber Magelhaens, der erste Seefahrer, welcher den grossen
Ocean durchquerte, bis zu den Philippinen vor. Nach seinem Tode
(1521) gelangten die Spanier in die Sphären der portugiesischen
Interessen, in das Sundameer, und es entspann sich nun ein Streit
über den Lauf jener Demarcationslinie, durch welche der Papst die
spanische von der portugiesischen Sphäre geschieden hatte. Indem
Carl V. seine Ansprüche auf die Molukken zu Gunsten der Portu-
giesen aufgab, blieben Meere und Inseln 17° östlich von den Ge-

Der grosse Ocean.
delsreisende Marco Polo an die Ufer des gelben Meeres. Seine
Schilderungen von Chathay (China) mit dem Handelsplatze Quinsay
(Hangtscheou-Fu) und von Zipangu (Japan) fanden zwar nicht überall
Glauben, aber an ihnen entzündete sich die thatkräftige Phantasie
eines Christoph Columbus, ja des ganzen Zeitalters der Entdeckungen.
Das Ziel der spanischen, portugiesischen, englischen, holländischen,
und französischen Seefahrer war neben Indien das pacifische Ostasien.

Alle wirklichen oder möglichen Entdeckungen sollten einem
doppelten Zwecke dienstbar gemacht werden: einem materiellen, halb
auf gewaltsame Ausbeutung, halb auf friedliche Handelsverbindungen
gerichteten, und einem ideellen, der Ausbreitung des christlichen
Glaubens. Den genannten Zielen und Zwecken konnte man sich auf
vier verschiedenen Seewegen nähern, den vier berühmten „Durch-
fahrten“ oder Passagen: der südöstlichen Durchfahrt um die Süd-
spitze Afrikas und die beiden Indien herum; der südwestlichen um
die neuentdeckte Welt herum; der nordwestlichen längs des Nord-
randes von Amerika und der nordöstlichen nördlich von Europa und
Asien. Durch die Benützung des südöstlichen Seeweges kamen die
Portugiesen allen Mitbewerbern zuvor. Freilich gegen das chinesische
Reich konnten sie nicht mit Gewalt vorgehen, nach einigen unge-
schickten und darum fehlgeschlagenen Occupationsversuchen be-
hielten sie einen einzigen Handelsplatz, Macao, der ihnen denn auch
bis heute verblieben ist. Mit Japan machten sie 1542 die erste Be-
kanntschaft.

Unterdessen waren auch die Spanier bis zur Südsee vorge-
drungen, aber nicht an deren West-, sondern an deren Ostgestade.
Im Jahre 1513 ergriff der Entdecker Vasco Nuñez Balbao südlich
der Landenge von Panama, die er glücklicherweise entdeckte, von
dem unbekannten Meere durch einen symbolischen Act im Namen der
spanischen Krone Besitz. War doch dieser kraft der vom Papste
Alexander VI. vorgenommenen Theilung der Erde die westliche Hemi-
sphäre ebenso zuerkannt worden, wie den Portugiesen die östliche.
Nun drang aber Magelhaens, der erste Seefahrer, welcher den grossen
Ocean durchquerte, bis zu den Philippinen vor. Nach seinem Tode
(1521) gelangten die Spanier in die Sphären der portugiesischen
Interessen, in das Sundameer, und es entspann sich nun ein Streit
über den Lauf jener Demarcationslinie, durch welche der Papst die
spanische von der portugiesischen Sphäre geschieden hatte. Indem
Carl V. seine Ansprüche auf die Molukken zu Gunsten der Portu-
giesen aufgab, blieben Meere und Inseln 17° östlich von den Ge-

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[304/0320] Der grosse Ocean. delsreisende Marco Polo an die Ufer des gelben Meeres. Seine Schilderungen von Chathay (China) mit dem Handelsplatze Quinsay (Hangtscheou-Fu) und von Zipangu (Japan) fanden zwar nicht überall Glauben, aber an ihnen entzündete sich die thatkräftige Phantasie eines Christoph Columbus, ja des ganzen Zeitalters der Entdeckungen. Das Ziel der spanischen, portugiesischen, englischen, holländischen, und französischen Seefahrer war neben Indien das pacifische Ostasien. Alle wirklichen oder möglichen Entdeckungen sollten einem doppelten Zwecke dienstbar gemacht werden: einem materiellen, halb auf gewaltsame Ausbeutung, halb auf friedliche Handelsverbindungen gerichteten, und einem ideellen, der Ausbreitung des christlichen Glaubens. Den genannten Zielen und Zwecken konnte man sich auf vier verschiedenen Seewegen nähern, den vier berühmten „Durch- fahrten“ oder Passagen: der südöstlichen Durchfahrt um die Süd- spitze Afrikas und die beiden Indien herum; der südwestlichen um die neuentdeckte Welt herum; der nordwestlichen längs des Nord- randes von Amerika und der nordöstlichen nördlich von Europa und Asien. Durch die Benützung des südöstlichen Seeweges kamen die Portugiesen allen Mitbewerbern zuvor. Freilich gegen das chinesische Reich konnten sie nicht mit Gewalt vorgehen, nach einigen unge- schickten und darum fehlgeschlagenen Occupationsversuchen be- hielten sie einen einzigen Handelsplatz, Macao, der ihnen denn auch bis heute verblieben ist. Mit Japan machten sie 1542 die erste Be- kanntschaft. Unterdessen waren auch die Spanier bis zur Südsee vorge- drungen, aber nicht an deren West-, sondern an deren Ostgestade. Im Jahre 1513 ergriff der Entdecker Vasco Nuñez Balbao südlich der Landenge von Panama, die er glücklicherweise entdeckte, von dem unbekannten Meere durch einen symbolischen Act im Namen der spanischen Krone Besitz. War doch dieser kraft der vom Papste Alexander VI. vorgenommenen Theilung der Erde die westliche Hemi- sphäre ebenso zuerkannt worden, wie den Portugiesen die östliche. Nun drang aber Magelhaens, der erste Seefahrer, welcher den grossen Ocean durchquerte, bis zu den Philippinen vor. Nach seinem Tode (1521) gelangten die Spanier in die Sphären der portugiesischen Interessen, in das Sundameer, und es entspann sich nun ein Streit über den Lauf jener Demarcationslinie, durch welche der Papst die spanische von der portugiesischen Sphäre geschieden hatte. Indem Carl V. seine Ansprüche auf die Molukken zu Gunsten der Portu- giesen aufgab, blieben Meere und Inseln 17° östlich von den Ge-

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/320>, abgerufen am 24.11.2024.