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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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Die atlantische Küste von Amerika.
die grossen Grundbesitzer die ohnedies schwierige Arbeiterfrage un-
endlich erschwert wurde.

Die Unzufriedenheit des Landes mit den schlechten ökonomi-
schen Verhältnissen wurde von der republikanischen Partei geschickt
ausgebeutet, während der Kaiser im Bewusstsein der Lauterkeit seiner
Handlungen es versäumt hatte, seine Person in den Vordergrund zu
stellen.

Marschall Deodoro da Fonseca organisirte einen Aufstand der
meist aus Negern bestehenden Landtruppen und verkündete am
15. November 1889 den Sturz des Kaiserreiches und die Errichtung
der Republik der "Vereinigten Staaten von Brasilien".

Mit Einführung der Republik wurde an den politischen Ver-
hältnissen Brasiliens wenig mehr als der Name geändert. Es blieb
ein Föderativstaat mit weitgehender Selbständigkeit der einzelnen
Staaten.

Auch die verfahrenen wirthschaftlichen Verhältnisse können im
Lande der "Paciencia" (Geduld), wo man alles aufschiebt und nichts
erledigt, nicht über Nacht andere werden. In dem Feuereifer, Bra-
silien zu heben, will man mit einem Schlage die Versäumnisse von
Jahrzehnten nachholen und hat 1890 neue zahlreiche geschäftliche
Unternehmungen gegründet, die zusammen ein Capital von 1 1/3 Mil-
liarden Gulden Gold beanspruchen.

Man forcirt also, was nur durch langsame, zielbewusste Arbeit
erreicht werden kann, und der böse Rückschlag kann nicht aus-
bleiben.

Dabei werden wir durchaus nicht verkennen, dass die Entwick-
lung der Eisenbahnen und der Flussschiffahrt die Ausfuhr heben,
Industriegesetze und hohe Zölle die Einfuhr wenigstens der gewöhn-
lichen Erzeugnisse des europäischen Gewerbefleisses überflüssig machen
werden.

Der Abschluss eines Reciprocitätvertrages zwischen der nord-
amerikanischen Republik und Brasilien, der am 1. April 1891 in
Kraft trat, wird die Concurrenzfähigkeit der europäischen Industrie
in Brasilien, aber auch die der so mühsam geschaffenen nationalen
Industrie weiter schädigen.

Denn nach diesem Vertrage gehen die Stapelartikel Brasiliens
zollfrei in die Union, und dafür geniessen viele Waaren der Union,
wie z. B. Weizenmehl in Brasilien Zollfreiheit, andere, wie Baumwoll-
fabricate, geniessen eine Zollermässigung von 25 % gegen die anderer
Staate.


Die atlantische Küste von Amerika.
die grossen Grundbesitzer die ohnedies schwierige Arbeiterfrage un-
endlich erschwert wurde.

Die Unzufriedenheit des Landes mit den schlechten ökonomi-
schen Verhältnissen wurde von der republikanischen Partei geschickt
ausgebeutet, während der Kaiser im Bewusstsein der Lauterkeit seiner
Handlungen es versäumt hatte, seine Person in den Vordergrund zu
stellen.

Marschall Deodoro da Fonseca organisirte einen Aufstand der
meist aus Negern bestehenden Landtruppen und verkündete am
15. November 1889 den Sturz des Kaiserreiches und die Errichtung
der Republik der „Vereinigten Staaten von Brasilien“.

Mit Einführung der Republik wurde an den politischen Ver-
hältnissen Brasiliens wenig mehr als der Name geändert. Es blieb
ein Föderativstaat mit weitgehender Selbständigkeit der einzelnen
Staaten.

Auch die verfahrenen wirthschaftlichen Verhältnisse können im
Lande der „Paciencia“ (Geduld), wo man alles aufschiebt und nichts
erledigt, nicht über Nacht andere werden. In dem Feuereifer, Bra-
silien zu heben, will man mit einem Schlage die Versäumnisse von
Jahrzehnten nachholen und hat 1890 neue zahlreiche geschäftliche
Unternehmungen gegründet, die zusammen ein Capital von 1⅓ Mil-
liarden Gulden Gold beanspruchen.

Man forcirt also, was nur durch langsame, zielbewusste Arbeit
erreicht werden kann, und der böse Rückschlag kann nicht aus-
bleiben.

Dabei werden wir durchaus nicht verkennen, dass die Entwick-
lung der Eisenbahnen und der Flussschiffahrt die Ausfuhr heben,
Industriegesetze und hohe Zölle die Einfuhr wenigstens der gewöhn-
lichen Erzeugnisse des europäischen Gewerbefleisses überflüssig machen
werden.

Der Abschluss eines Reciprocitätvertrages zwischen der nord-
amerikanischen Republik und Brasilien, der am 1. April 1891 in
Kraft trat, wird die Concurrenzfähigkeit der europäischen Industrie
in Brasilien, aber auch die der so mühsam geschaffenen nationalen
Industrie weiter schädigen.

Denn nach diesem Vertrage gehen die Stapelartikel Brasiliens
zollfrei in die Union, und dafür geniessen viele Waaren der Union,
wie z. B. Weizenmehl in Brasilien Zollfreiheit, andere, wie Baumwoll-
fabricate, geniessen eine Zollermässigung von 25 % gegen die anderer
Staate.


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[242/0258] Die atlantische Küste von Amerika. die grossen Grundbesitzer die ohnedies schwierige Arbeiterfrage un- endlich erschwert wurde. Die Unzufriedenheit des Landes mit den schlechten ökonomi- schen Verhältnissen wurde von der republikanischen Partei geschickt ausgebeutet, während der Kaiser im Bewusstsein der Lauterkeit seiner Handlungen es versäumt hatte, seine Person in den Vordergrund zu stellen. Marschall Deodoro da Fonseca organisirte einen Aufstand der meist aus Negern bestehenden Landtruppen und verkündete am 15. November 1889 den Sturz des Kaiserreiches und die Errichtung der Republik der „Vereinigten Staaten von Brasilien“. Mit Einführung der Republik wurde an den politischen Ver- hältnissen Brasiliens wenig mehr als der Name geändert. Es blieb ein Föderativstaat mit weitgehender Selbständigkeit der einzelnen Staaten. Auch die verfahrenen wirthschaftlichen Verhältnisse können im Lande der „Paciencia“ (Geduld), wo man alles aufschiebt und nichts erledigt, nicht über Nacht andere werden. In dem Feuereifer, Bra- silien zu heben, will man mit einem Schlage die Versäumnisse von Jahrzehnten nachholen und hat 1890 neue zahlreiche geschäftliche Unternehmungen gegründet, die zusammen ein Capital von 1⅓ Mil- liarden Gulden Gold beanspruchen. Man forcirt also, was nur durch langsame, zielbewusste Arbeit erreicht werden kann, und der böse Rückschlag kann nicht aus- bleiben. Dabei werden wir durchaus nicht verkennen, dass die Entwick- lung der Eisenbahnen und der Flussschiffahrt die Ausfuhr heben, Industriegesetze und hohe Zölle die Einfuhr wenigstens der gewöhn- lichen Erzeugnisse des europäischen Gewerbefleisses überflüssig machen werden. Der Abschluss eines Reciprocitätvertrages zwischen der nord- amerikanischen Republik und Brasilien, der am 1. April 1891 in Kraft trat, wird die Concurrenzfähigkeit der europäischen Industrie in Brasilien, aber auch die der so mühsam geschaffenen nationalen Industrie weiter schädigen. Denn nach diesem Vertrage gehen die Stapelartikel Brasiliens zollfrei in die Union, und dafür geniessen viele Waaren der Union, wie z. B. Weizenmehl in Brasilien Zollfreiheit, andere, wie Baumwoll- fabricate, geniessen eine Zollermässigung von 25 % gegen die anderer Staate.

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/258>, abgerufen am 27.11.2024.