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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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Die atlantische Küste von Amerika.
St. Pierre auf einem von den Gebirgsabhängen daselbst freigelassenen
schmalen sandigen Ufersaume steht. In ihrer Entwicklung landein-
wärts durch diese Bergabhänge begrenzt, dehnt sich die Stadt in einer
Länge von mehr als einer Seemeile von der Spitze Ste. Marthe, einem
schroff ins Meer fallenden Hügel im Süden, bis zur Mündung des
Peres-Flusses im Norden knapp am Ufer aus; ein zweiter Fluss, der
Mouillage, welcher im nördlichen Drittel der Stadt mündet, durch-
bricht die in ununterbrochener und dichter Folge sich dahinziehende
Häuserreihe. St. Pierres Lage im Vordergrunde von mit dichten Wal-
dungen und Culturen bedeckten Hügeln, weiter rückwärts die ihre
Häupter bis in die Wolken erhebenden Gebirgsriesen, von welchen
besonders die Pitons du Carbet im Südosten durch ihre bizarren
Formen auffallen, ist eine sehr malerische. Die Stadt selbst macht
einen ganz europäischen Eindruck.

Wie aus der vorbeschriebenen Lage hervorgeht, besitzt St. Pierre
nur eine ganz offene Rhede; des gegen See sehr rasch abfallenden
Grundes wegen sind die Schiffe genöthigt, sich ganz nahe am Ufer
der Stadt, senkrecht zu demselben "vierkant" zu vertäuen, wie man
in der Seemannssprache sagt, zu welchem Zwecke am Ufer eine Reihe
von Landfesten stehen, sowie auch parallel zum Ufer acht Vertäubojen
ausgelegt sind. Während der Regenzeit, welche auch die Zeit der
Stürme ist, müssen die Schiffe die Rhede, welche dann sehr gefährlich
ist, verlassen.

Das Klima der Stadt ist, besonders zur Regenzeit, verrufen; die
besser situirten Einwohner suchen zu dieser Jahreszeit ihre höher ge-
legenen Landsitze auf. Aber trotzdem wird jeder Besucher St. Pierres
gewiss nur die angenehmsten Erinnerungen von seinem Aufenthalte
auf dieser reizenden Insel im Allgemeinen sowie der Stadt im Beson-
deren in sich aufnehmen.

Hiezu tragen nicht nur die genussreichen Ausflüge in die an den
herrlichsten landschaftlichen Scenerien reiche Umgebung der Stadt,
sondern mehr noch die überaus angenehmen gesellschaftlichen Ver-
hältnisse der Stadt bei, wie sie nur die echt französische Gastfreund-
schaft, Lebensfreude und Liebenswürdigkeit der Bewohner im All-
gemeinen und der unvergleichliche Liebreiz, die Anmuth und Grazie
der französischen Creolinnen mit sich bringen können.

Die Stadt, welche 29.000 Einwohner beherbergt, trägt in ihrer
Anlage und ihren Gebäuden den unverkennbaren Charakter der Handels-
thätigkeit. Durch Architektur und Grösse zeichnet sich keine Baulich-
keit besonders aus; zu erwähnen wäre nur die Kathedrale, das Rath-

Die atlantische Küste von Amerika.
St. Pierre auf einem von den Gebirgsabhängen daselbst freigelassenen
schmalen sandigen Ufersaume steht. In ihrer Entwicklung landein-
wärts durch diese Bergabhänge begrenzt, dehnt sich die Stadt in einer
Länge von mehr als einer Seemeile von der Spitze Ste. Marthe, einem
schroff ins Meer fallenden Hügel im Süden, bis zur Mündung des
Pères-Flusses im Norden knapp am Ufer aus; ein zweiter Fluss, der
Mouillage, welcher im nördlichen Drittel der Stadt mündet, durch-
bricht die in ununterbrochener und dichter Folge sich dahinziehende
Häuserreihe. St. Pierres Lage im Vordergrunde von mit dichten Wal-
dungen und Culturen bedeckten Hügeln, weiter rückwärts die ihre
Häupter bis in die Wolken erhebenden Gebirgsriesen, von welchen
besonders die Pitons du Carbet im Südosten durch ihre bizarren
Formen auffallen, ist eine sehr malerische. Die Stadt selbst macht
einen ganz europäischen Eindruck.

Wie aus der vorbeschriebenen Lage hervorgeht, besitzt St. Pierre
nur eine ganz offene Rhede; des gegen See sehr rasch abfallenden
Grundes wegen sind die Schiffe genöthigt, sich ganz nahe am Ufer
der Stadt, senkrecht zu demselben „vierkant“ zu vertäuen, wie man
in der Seemannssprache sagt, zu welchem Zwecke am Ufer eine Reihe
von Landfesten stehen, sowie auch parallel zum Ufer acht Vertäubojen
ausgelegt sind. Während der Regenzeit, welche auch die Zeit der
Stürme ist, müssen die Schiffe die Rhede, welche dann sehr gefährlich
ist, verlassen.

Das Klima der Stadt ist, besonders zur Regenzeit, verrufen; die
besser situirten Einwohner suchen zu dieser Jahreszeit ihre höher ge-
legenen Landsitze auf. Aber trotzdem wird jeder Besucher St. Pierres
gewiss nur die angenehmsten Erinnerungen von seinem Aufenthalte
auf dieser reizenden Insel im Allgemeinen sowie der Stadt im Beson-
deren in sich aufnehmen.

Hiezu tragen nicht nur die genussreichen Ausflüge in die an den
herrlichsten landschaftlichen Scenerien reiche Umgebung der Stadt,
sondern mehr noch die überaus angenehmen gesellschaftlichen Ver-
hältnisse der Stadt bei, wie sie nur die echt französische Gastfreund-
schaft, Lebensfreude und Liebenswürdigkeit der Bewohner im All-
gemeinen und der unvergleichliche Liebreiz, die Anmuth und Grazie
der französischen Creolinnen mit sich bringen können.

Die Stadt, welche 29.000 Einwohner beherbergt, trägt in ihrer
Anlage und ihren Gebäuden den unverkennbaren Charakter der Handels-
thätigkeit. Durch Architektur und Grösse zeichnet sich keine Baulich-
keit besonders aus; zu erwähnen wäre nur die Kathedrale, das Rath-

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[212/0228] Die atlantische Küste von Amerika. St. Pierre auf einem von den Gebirgsabhängen daselbst freigelassenen schmalen sandigen Ufersaume steht. In ihrer Entwicklung landein- wärts durch diese Bergabhänge begrenzt, dehnt sich die Stadt in einer Länge von mehr als einer Seemeile von der Spitze Ste. Marthe, einem schroff ins Meer fallenden Hügel im Süden, bis zur Mündung des Pères-Flusses im Norden knapp am Ufer aus; ein zweiter Fluss, der Mouillage, welcher im nördlichen Drittel der Stadt mündet, durch- bricht die in ununterbrochener und dichter Folge sich dahinziehende Häuserreihe. St. Pierres Lage im Vordergrunde von mit dichten Wal- dungen und Culturen bedeckten Hügeln, weiter rückwärts die ihre Häupter bis in die Wolken erhebenden Gebirgsriesen, von welchen besonders die Pitons du Carbet im Südosten durch ihre bizarren Formen auffallen, ist eine sehr malerische. Die Stadt selbst macht einen ganz europäischen Eindruck. Wie aus der vorbeschriebenen Lage hervorgeht, besitzt St. Pierre nur eine ganz offene Rhede; des gegen See sehr rasch abfallenden Grundes wegen sind die Schiffe genöthigt, sich ganz nahe am Ufer der Stadt, senkrecht zu demselben „vierkant“ zu vertäuen, wie man in der Seemannssprache sagt, zu welchem Zwecke am Ufer eine Reihe von Landfesten stehen, sowie auch parallel zum Ufer acht Vertäubojen ausgelegt sind. Während der Regenzeit, welche auch die Zeit der Stürme ist, müssen die Schiffe die Rhede, welche dann sehr gefährlich ist, verlassen. Das Klima der Stadt ist, besonders zur Regenzeit, verrufen; die besser situirten Einwohner suchen zu dieser Jahreszeit ihre höher ge- legenen Landsitze auf. Aber trotzdem wird jeder Besucher St. Pierres gewiss nur die angenehmsten Erinnerungen von seinem Aufenthalte auf dieser reizenden Insel im Allgemeinen sowie der Stadt im Beson- deren in sich aufnehmen. Hiezu tragen nicht nur die genussreichen Ausflüge in die an den herrlichsten landschaftlichen Scenerien reiche Umgebung der Stadt, sondern mehr noch die überaus angenehmen gesellschaftlichen Ver- hältnisse der Stadt bei, wie sie nur die echt französische Gastfreund- schaft, Lebensfreude und Liebenswürdigkeit der Bewohner im All- gemeinen und der unvergleichliche Liebreiz, die Anmuth und Grazie der französischen Creolinnen mit sich bringen können. Die Stadt, welche 29.000 Einwohner beherbergt, trägt in ihrer Anlage und ihren Gebäuden den unverkennbaren Charakter der Handels- thätigkeit. Durch Architektur und Grösse zeichnet sich keine Baulich- keit besonders aus; zu erwähnen wäre nur die Kathedrale, das Rath-

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/228>, abgerufen am 30.04.2024.