Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

Die atlantische Küste von Amerika.
der Ureinwohner konnten somit nur zum Ruine vieler der kaum ge-
gründeten Küstenansiedlungen führen, während die reichen Innen-
gebiete der Inseln den Europäern noch fast vollends unbekannt waren.

Daher wurde schon im XVI. Jahrhundert zur Hebung des
wirthschaftlichen Werthes der Colonien und um den gänzlichen
Untergang des mühevoll begonnenen Werkes der Cultur hintanzu-
halten, mit der Importation von Negersclaven begonnen.

Mit dem gleichen Zeitpunkte begann jedoch auch die Periode
der Besitzstreitigkeiten; denn mit der intensiven Immigration nach
Westindien, insbesondere durch das Auftreten der Flibustier wurde
das Gefühl staatlicher Zusammengehörigkeit schwächer und es musste
um so früher zum Zusammenbruche der spanischen Macht kommen,
als namentlich Franzosen, Engländer und Holländer bemüht waren,
sich um jeden Preis an dem Mitbesitze der fruchtbaren Gebiete
Westindiens ihr Antheil zu erringen.

Die hieraus folgenden Conflicte der Culturstaaten haben der
Geschichte Westindiens gar manches mit Blut getränkte Blatt geliefert.
Demungeachtet fällt die Blüthezeit fast aller Inseln des Antillenreiches
in die Zeit jener Kämpfe, d. i. in das XVII. Jahrhundert, in welchem
die reichlichste Gründung europäischer Ansiedlungen erfolgte.

Heute entfällt von dem 245.516 km2 betragenden Areale der
Antillen noch immer mehr als die Hälfte, und zwar die weitaus
reichere Hälfte, auf Spanien, während dem Besitzumfange nach
zunächst die freien Neger- und Mulattenstaaten von Haiti und
St. Domingo, dann Grossbritannien, Frankreich, die Niederlande,
Dänemark und endlich auch die centralamerikanische Republik
Venezuela an dem Mitbesitze in Westindien ihren Antheil haben.

Die Bevölkerung dieser Gesammtgebiete, welche, die Weissen
mit einem Drittel eingerechnet, kaum 41/2 Millionen Seelen beträgt,
muss wohl als eine ganz spärliche bezeichnet werden, wenn man
damit die Bevölkerungsdichte mancher ostindischer Inseln, zum Bei-
spiel Javas vergleicht.

Sie sank trotz der in den 1860er Jahren besonders starken
Zubringung von indischen Coulies und Chinesen, welche als werth-
volle Arbeiter bestimmt waren, den Neger als Sclaven zu ersetzen,
immer tiefer und mit ihr auch die Productionsfähigkeit aller west-
indischen Colonien.

Auch konnte sich die Bevölkerungszahl trotz der gänzlichen
Aufhebung der Sclaverei, in welcher Spanien als letzter Staat folgte,
kaum sehr heben.


Die atlantische Küste von Amerika.
der Ureinwohner konnten somit nur zum Ruine vieler der kaum ge-
gründeten Küstenansiedlungen führen, während die reichen Innen-
gebiete der Inseln den Europäern noch fast vollends unbekannt waren.

Daher wurde schon im XVI. Jahrhundert zur Hebung des
wirthschaftlichen Werthes der Colonien und um den gänzlichen
Untergang des mühevoll begonnenen Werkes der Cultur hintanzu-
halten, mit der Importation von Negersclaven begonnen.

Mit dem gleichen Zeitpunkte begann jedoch auch die Periode
der Besitzstreitigkeiten; denn mit der intensiven Immigration nach
Westindien, insbesondere durch das Auftreten der Flibustier wurde
das Gefühl staatlicher Zusammengehörigkeit schwächer und es musste
um so früher zum Zusammenbruche der spanischen Macht kommen,
als namentlich Franzosen, Engländer und Holländer bemüht waren,
sich um jeden Preis an dem Mitbesitze der fruchtbaren Gebiete
Westindiens ihr Antheil zu erringen.

Die hieraus folgenden Conflicte der Culturstaaten haben der
Geschichte Westindiens gar manches mit Blut getränkte Blatt geliefert.
Demungeachtet fällt die Blüthezeit fast aller Inseln des Antillenreiches
in die Zeit jener Kämpfe, d. i. in das XVII. Jahrhundert, in welchem
die reichlichste Gründung europäischer Ansiedlungen erfolgte.

Heute entfällt von dem 245.516 km2 betragenden Areale der
Antillen noch immer mehr als die Hälfte, und zwar die weitaus
reichere Hälfte, auf Spanien, während dem Besitzumfange nach
zunächst die freien Neger- und Mulattenstaaten von Haïti und
St. Domingo, dann Grossbritannien, Frankreich, die Niederlande,
Dänemark und endlich auch die centralamerikanische Republik
Venezuela an dem Mitbesitze in Westindien ihren Antheil haben.

Die Bevölkerung dieser Gesammtgebiete, welche, die Weissen
mit einem Drittel eingerechnet, kaum 4½ Millionen Seelen beträgt,
muss wohl als eine ganz spärliche bezeichnet werden, wenn man
damit die Bevölkerungsdichte mancher ostindischer Inseln, zum Bei-
spiel Javas vergleicht.

Sie sank trotz der in den 1860er Jahren besonders starken
Zubringung von indischen Coulies und Chinesen, welche als werth-
volle Arbeiter bestimmt waren, den Neger als Sclaven zu ersetzen,
immer tiefer und mit ihr auch die Productionsfähigkeit aller west-
indischen Colonien.

Auch konnte sich die Bevölkerungszahl trotz der gänzlichen
Aufhebung der Sclaverei, in welcher Spanien als letzter Staat folgte,
kaum sehr heben.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0188" n="172"/><fw place="top" type="header">Die atlantische Küste von Amerika.</fw><lb/>
der Ureinwohner konnten somit nur zum Ruine vieler der kaum ge-<lb/>
gründeten Küstenansiedlungen führen, während die reichen Innen-<lb/>
gebiete der Inseln den Europäern noch fast vollends unbekannt waren.</p><lb/>
          <p>Daher wurde schon im XVI. Jahrhundert zur Hebung des<lb/>
wirthschaftlichen Werthes der Colonien und um den gänzlichen<lb/>
Untergang des mühevoll begonnenen Werkes der Cultur hintanzu-<lb/>
halten, mit der Importation von Negersclaven begonnen.</p><lb/>
          <p>Mit dem gleichen Zeitpunkte begann jedoch auch die Periode<lb/>
der Besitzstreitigkeiten; denn mit der intensiven Immigration nach<lb/>
Westindien, insbesondere durch das Auftreten der Flibustier wurde<lb/>
das Gefühl staatlicher Zusammengehörigkeit schwächer und es musste<lb/>
um so früher zum Zusammenbruche der spanischen Macht kommen,<lb/>
als namentlich Franzosen, Engländer und Holländer bemüht waren,<lb/>
sich um jeden Preis an dem Mitbesitze der fruchtbaren Gebiete<lb/>
Westindiens ihr Antheil zu erringen.</p><lb/>
          <p>Die hieraus folgenden Conflicte der Culturstaaten haben der<lb/>
Geschichte Westindiens gar manches mit Blut getränkte Blatt geliefert.<lb/>
Demungeachtet fällt die Blüthezeit fast aller Inseln des Antillenreiches<lb/>
in die Zeit jener Kämpfe, d. i. in das XVII. Jahrhundert, in welchem<lb/>
die reichlichste Gründung europäischer Ansiedlungen erfolgte.</p><lb/>
          <p>Heute entfällt von dem 245.516 <hi rendition="#i">km</hi><hi rendition="#sup">2</hi> betragenden Areale der<lb/>
Antillen noch immer mehr als die Hälfte, und zwar die weitaus<lb/>
reichere Hälfte, auf Spanien, während dem Besitzumfange nach<lb/>
zunächst die freien Neger- und Mulattenstaaten von Haïti und<lb/>
St. Domingo, dann Grossbritannien, Frankreich, die Niederlande,<lb/>
Dänemark und endlich auch die centralamerikanische Republik<lb/>
Venezuela an dem Mitbesitze in Westindien ihren Antheil haben.</p><lb/>
          <p>Die <hi rendition="#g">Bevölkerung</hi> dieser Gesammtgebiete, welche, die Weissen<lb/>
mit einem Drittel eingerechnet, kaum 4½ Millionen Seelen beträgt,<lb/>
muss wohl als eine ganz spärliche bezeichnet werden, wenn man<lb/>
damit die Bevölkerungsdichte mancher ostindischer Inseln, zum Bei-<lb/>
spiel Javas vergleicht.</p><lb/>
          <p>Sie sank trotz der in den 1860er Jahren besonders starken<lb/>
Zubringung von indischen Coulies und Chinesen, welche als werth-<lb/>
volle Arbeiter bestimmt waren, den Neger als Sclaven zu ersetzen,<lb/>
immer tiefer und mit ihr auch die Productionsfähigkeit aller west-<lb/>
indischen Colonien.</p><lb/>
          <p>Auch konnte sich die Bevölkerungszahl trotz der gänzlichen<lb/>
Aufhebung der Sclaverei, in welcher Spanien als letzter Staat folgte,<lb/>
kaum sehr heben.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[172/0188] Die atlantische Küste von Amerika. der Ureinwohner konnten somit nur zum Ruine vieler der kaum ge- gründeten Küstenansiedlungen führen, während die reichen Innen- gebiete der Inseln den Europäern noch fast vollends unbekannt waren. Daher wurde schon im XVI. Jahrhundert zur Hebung des wirthschaftlichen Werthes der Colonien und um den gänzlichen Untergang des mühevoll begonnenen Werkes der Cultur hintanzu- halten, mit der Importation von Negersclaven begonnen. Mit dem gleichen Zeitpunkte begann jedoch auch die Periode der Besitzstreitigkeiten; denn mit der intensiven Immigration nach Westindien, insbesondere durch das Auftreten der Flibustier wurde das Gefühl staatlicher Zusammengehörigkeit schwächer und es musste um so früher zum Zusammenbruche der spanischen Macht kommen, als namentlich Franzosen, Engländer und Holländer bemüht waren, sich um jeden Preis an dem Mitbesitze der fruchtbaren Gebiete Westindiens ihr Antheil zu erringen. Die hieraus folgenden Conflicte der Culturstaaten haben der Geschichte Westindiens gar manches mit Blut getränkte Blatt geliefert. Demungeachtet fällt die Blüthezeit fast aller Inseln des Antillenreiches in die Zeit jener Kämpfe, d. i. in das XVII. Jahrhundert, in welchem die reichlichste Gründung europäischer Ansiedlungen erfolgte. Heute entfällt von dem 245.516 km2 betragenden Areale der Antillen noch immer mehr als die Hälfte, und zwar die weitaus reichere Hälfte, auf Spanien, während dem Besitzumfange nach zunächst die freien Neger- und Mulattenstaaten von Haïti und St. Domingo, dann Grossbritannien, Frankreich, die Niederlande, Dänemark und endlich auch die centralamerikanische Republik Venezuela an dem Mitbesitze in Westindien ihren Antheil haben. Die Bevölkerung dieser Gesammtgebiete, welche, die Weissen mit einem Drittel eingerechnet, kaum 4½ Millionen Seelen beträgt, muss wohl als eine ganz spärliche bezeichnet werden, wenn man damit die Bevölkerungsdichte mancher ostindischer Inseln, zum Bei- spiel Javas vergleicht. Sie sank trotz der in den 1860er Jahren besonders starken Zubringung von indischen Coulies und Chinesen, welche als werth- volle Arbeiter bestimmt waren, den Neger als Sclaven zu ersetzen, immer tiefer und mit ihr auch die Productionsfähigkeit aller west- indischen Colonien. Auch konnte sich die Bevölkerungszahl trotz der gänzlichen Aufhebung der Sclaverei, in welcher Spanien als letzter Staat folgte, kaum sehr heben.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/188
Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/188>, abgerufen am 21.11.2024.