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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Danzig.

Zu den ältesten deutschen Städten im Weichsellande gehörend,
darf Danzig (polnisch Gdansk) den Ruf beanspruchen, ein bestimmtes
historisches Gepräge sich bewahrt zu haben, wie ein solches unter
den grösseren Städten Norddeutschlands nur noch Lübeck in gleichem
Masse besitzt. Es haben sich hier Baudenkmale der verschiedensten
Art aus allen Perioden seiner Geschichte in grosser Zahl erhalten, wo-
durch die interessante Stadt mit ihren überwiegenden Renaissance- und
Barockbauten ein getreues Bild der Entwicklung der Baukunst von der
Mitte des XVI. Jahrhunderts an bis zur Gegenwart darbietet. Aus
ihrer Bauart spricht der Geist kräftigen, selbstbewussten Bürgerthums,
welcher ihre einstige Grösse begründete. Deshalb wird Danzig auch
das "nordische Nürnberg" genannt, wie es seiner reizvollen Umgebung
wegen den Beinamen "das nordische Neapel" und im weiteren Ver-
gleiche der die Stadt durchfliessende Gewässer halber "das nordische
Venedig" erhalten hatte. An der Mottlau, nicht weit von der Mündung
der Weichsel gelegen, ist die Stadt der Hauptstapelplatz für West-
preussen und Polen, zugleich aber der Sitz einer bedeutenden Industrie.

Hier ist die Wiege der deutschen Flotte, denn bis zum Jahre
1865 war Danzig die einzige Marinestation Preussens.

Diese Stadt, wenn man solchen Namen für die Niederlassung von 997
gelten lassen will, ward von grösserer Bedeutung, als die Herzoge von Pomerellen,
die sich von Polen unabhängig gemacht hatten, in ihr ihre Residenz aufschlugen
und Kaufleute Lübecks ihren Wohnsitz in ihr nahmen, um von hier aus ihre
Waaren weiter ins Land hineinzuführen und zu vertreiben. Um 1263--1265 hat
die deutsche Ansiedlung bereits so zahlreiche Bevölkerung und so gewichtvolles
Ansehen, dass sie vom Herzoge lübisches Recht erhält und damit zur Stadt wird
-- die Altstadt, wie sie späterhin hiess und noch heute heisst. Sie ging 1308 bis
1310 in den Besitz des Deutschen Ordens über, der, in dem Streite des polnischen
Königs und brandenburgischen Markgrafen um das Erbe der ausgestorbenen pome-
rellischen Herzoge von jenem zu Hilfe gerufen, zwar die Brandenburger, aber auch
bald danach die Polen ebenfalls aus Schloss und Stadt vertrieb. Neben der alten

Danzig.

Zu den ältesten deutschen Städten im Weichsellande gehörend,
darf Danzig (polnisch Gdańsk) den Ruf beanspruchen, ein bestimmtes
historisches Gepräge sich bewahrt zu haben, wie ein solches unter
den grösseren Städten Norddeutschlands nur noch Lübeck in gleichem
Masse besitzt. Es haben sich hier Baudenkmale der verschiedensten
Art aus allen Perioden seiner Geschichte in grosser Zahl erhalten, wo-
durch die interessante Stadt mit ihren überwiegenden Renaissance- und
Barockbauten ein getreues Bild der Entwicklung der Baukunst von der
Mitte des XVI. Jahrhunderts an bis zur Gegenwart darbietet. Aus
ihrer Bauart spricht der Geist kräftigen, selbstbewussten Bürgerthums,
welcher ihre einstige Grösse begründete. Deshalb wird Danzig auch
das „nordische Nürnberg“ genannt, wie es seiner reizvollen Umgebung
wegen den Beinamen „das nordische Neapel“ und im weiteren Ver-
gleiche der die Stadt durchfliessende Gewässer halber „das nordische
Venedig“ erhalten hatte. An der Mottlau, nicht weit von der Mündung
der Weichsel gelegen, ist die Stadt der Hauptstapelplatz für West-
preussen und Polen, zugleich aber der Sitz einer bedeutenden Industrie.

Hier ist die Wiege der deutschen Flotte, denn bis zum Jahre
1865 war Danzig die einzige Marinestation Preussens.

Diese Stadt, wenn man solchen Namen für die Niederlassung von 997
gelten lassen will, ward von grösserer Bedeutung, als die Herzoge von Pomerellen,
die sich von Polen unabhängig gemacht hatten, in ihr ihre Residenz aufschlugen
und Kaufleute Lübecks ihren Wohnsitz in ihr nahmen, um von hier aus ihre
Waaren weiter ins Land hineinzuführen und zu vertreiben. Um 1263—1265 hat
die deutsche Ansiedlung bereits so zahlreiche Bevölkerung und so gewichtvolles
Ansehen, dass sie vom Herzoge lübisches Recht erhält und damit zur Stadt wird
— die Altstadt, wie sie späterhin hiess und noch heute heisst. Sie ging 1308 bis
1310 in den Besitz des Deutschen Ordens über, der, in dem Streite des polnischen
Königs und brandenburgischen Markgrafen um das Erbe der ausgestorbenen pome-
rellischen Herzoge von jenem zu Hilfe gerufen, zwar die Brandenburger, aber auch
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[[822]/0842] Danzig. Zu den ältesten deutschen Städten im Weichsellande gehörend, darf Danzig (polnisch Gdańsk) den Ruf beanspruchen, ein bestimmtes historisches Gepräge sich bewahrt zu haben, wie ein solches unter den grösseren Städten Norddeutschlands nur noch Lübeck in gleichem Masse besitzt. Es haben sich hier Baudenkmale der verschiedensten Art aus allen Perioden seiner Geschichte in grosser Zahl erhalten, wo- durch die interessante Stadt mit ihren überwiegenden Renaissance- und Barockbauten ein getreues Bild der Entwicklung der Baukunst von der Mitte des XVI. Jahrhunderts an bis zur Gegenwart darbietet. Aus ihrer Bauart spricht der Geist kräftigen, selbstbewussten Bürgerthums, welcher ihre einstige Grösse begründete. Deshalb wird Danzig auch das „nordische Nürnberg“ genannt, wie es seiner reizvollen Umgebung wegen den Beinamen „das nordische Neapel“ und im weiteren Ver- gleiche der die Stadt durchfliessende Gewässer halber „das nordische Venedig“ erhalten hatte. An der Mottlau, nicht weit von der Mündung der Weichsel gelegen, ist die Stadt der Hauptstapelplatz für West- preussen und Polen, zugleich aber der Sitz einer bedeutenden Industrie. Hier ist die Wiege der deutschen Flotte, denn bis zum Jahre 1865 war Danzig die einzige Marinestation Preussens. Diese Stadt, wenn man solchen Namen für die Niederlassung von 997 gelten lassen will, ward von grösserer Bedeutung, als die Herzoge von Pomerellen, die sich von Polen unabhängig gemacht hatten, in ihr ihre Residenz aufschlugen und Kaufleute Lübecks ihren Wohnsitz in ihr nahmen, um von hier aus ihre Waaren weiter ins Land hineinzuführen und zu vertreiben. Um 1263—1265 hat die deutsche Ansiedlung bereits so zahlreiche Bevölkerung und so gewichtvolles Ansehen, dass sie vom Herzoge lübisches Recht erhält und damit zur Stadt wird — die Altstadt, wie sie späterhin hiess und noch heute heisst. Sie ging 1308 bis 1310 in den Besitz des Deutschen Ordens über, der, in dem Streite des polnischen Königs und brandenburgischen Markgrafen um das Erbe der ausgestorbenen pome- rellischen Herzoge von jenem zu Hilfe gerufen, zwar die Brandenburger, aber auch bald danach die Polen ebenfalls aus Schloss und Stadt vertrieb. Neben der alten

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. [822]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/842>, abgerufen am 23.11.2024.