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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Das Mittelmeerbecken.
tausendmal überbrückten Canälen, seine Erzählungen von dem reichen
Pfeffermarkte Zeiton an der Strasse von Fu-Kien und von der im Osten
Asiens gelegenen Inselgruppe Zipangu (Japan), wo der königliche
Palast mit goldenen Tafeln gedeckt war, erregten unendliches Aufsehen.

Die Bedeutung der kühnen Wanderungen der venetianischen
Reisenden wird von Dr. Sophus Ruge sehr treffend in folgenden
Worten charakterisirt: "Fassen wir einmal die Resultate dieser epoche-
machenden Reise zusammen, so war Marco Polo der erste Reisende,
welcher ganz Asien der Länge nach durchzog und die einzelnen Län-
der beschrieb. Er sah die Wüsten Persiens und die grünen Hoch-
flächen und wilden Schluchten Badachschans, die jadeführenden
Flüsse Ost-Turkestans und die Steppen der Mongolei, die glänzende
Hofhaltung in Cambalu und das Volksgewimmel in China. Er erzählte
von Japan mit seinen goldbedeckten Palästen, von Birma mit seinen
goldenen Pagoden, schilderte zuerst die paradiesischen Eilandfluren der
Sundawelt mit ihren aromatischen Gewürzen, das ferne Java und
Sumatra mit ihren vielen Königreichen, mit seinen geschätzten Er-
zeugnissen und seinen Menschenfressern; er sah Ceylon mit seinen
heiligen Bergen, besuchte viele Häfen Indiens und lernte dieses im
Abendlande noch immer von Sagen verhüllte Land in seiner Grösse
und seinem Reichthum kennen. Er gab zuerst im Mittelalter einen
klaren Bericht von dem christlichen Reiche in Abessynien und drang
mit seinem Blick einerseits bis nach Madagaskar vor, andererseits zog
er im Innern Asiens Erkundigungen über den höchsten Norden, über
Sibirien ein, über das Land der Finsterniss, wo weder Sonne, noch
Mond, noch Sterne scheinen und ein ewiges Zwielicht herrscht, wo
man auf Hundeschlitten fährt oder auf Renthieren reitet, ein Land,
hinter welchem endlich ein eisiger Ocean sich ausdehnt."

Aber gerade die Reisen Polo's, welche bisher ungeahnte Dinge
zur Kenntniss des Abendlandes brachten und der königlichen Repu-
blik eine Quelle neuer Reichthümer, den Ausgangspunkt für unermess-
liche Ausdehnung ihrer Machtsphäre bieten zu sollen schien, tragen
den Keim tragischer Wendung in sich. Seine Berichte liessen in
Venedigs Rivalen den Wunsch reifen, auf anderem Wege in jene Ge-
biete märchenhafter Fülle zu gelangen; je verlockender die Schilde-
rungen waren, desto stärkeren Ansporn mussten sie bieten, den grossen
Schritt ins Unbekannte zu wagen, und eben die Länder und die Schätze,
welche Polo im fernen Ostasien geschaut hatte, waren die Ziele,
welche Christobal Colon zu erreichen hoffte, als er 1492 über den
Atlantischen Ocean steuerte.


Das Mittelmeerbecken.
tausendmal überbrückten Canälen, seine Erzählungen von dem reichen
Pfeffermarkte Zeiton an der Strasse von Fu-Kien und von der im Osten
Asiens gelegenen Inselgruppe Zipangu (Japan), wo der königliche
Palast mit goldenen Tafeln gedeckt war, erregten unendliches Aufsehen.

Die Bedeutung der kühnen Wanderungen der venetianischen
Reisenden wird von Dr. Sophus Ruge sehr treffend in folgenden
Worten charakterisirt: „Fassen wir einmal die Resultate dieser epoche-
machenden Reise zusammen, so war Marco Polo der erste Reisende,
welcher ganz Asien der Länge nach durchzog und die einzelnen Län-
der beschrieb. Er sah die Wüsten Persiens und die grünen Hoch-
flächen und wilden Schluchten Badachschans, die jadeführenden
Flüsse Ost-Turkestans und die Steppen der Mongolei, die glänzende
Hofhaltung in Cambalu und das Volksgewimmel in China. Er erzählte
von Japan mit seinen goldbedeckten Palästen, von Birma mit seinen
goldenen Pagoden, schilderte zuerst die paradiesischen Eilandfluren der
Sundawelt mit ihren aromatischen Gewürzen, das ferne Java und
Sumatra mit ihren vielen Königreichen, mit seinen geschätzten Er-
zeugnissen und seinen Menschenfressern; er sah Ceylon mit seinen
heiligen Bergen, besuchte viele Häfen Indiens und lernte dieses im
Abendlande noch immer von Sagen verhüllte Land in seiner Grösse
und seinem Reichthum kennen. Er gab zuerst im Mittelalter einen
klaren Bericht von dem christlichen Reiche in Abessynien und drang
mit seinem Blick einerseits bis nach Madagaskar vor, andererseits zog
er im Innern Asiens Erkundigungen über den höchsten Norden, über
Sibirien ein, über das Land der Finsterniss, wo weder Sonne, noch
Mond, noch Sterne scheinen und ein ewiges Zwielicht herrscht, wo
man auf Hundeschlitten fährt oder auf Renthieren reitet, ein Land,
hinter welchem endlich ein eisiger Ocean sich ausdehnt.“

Aber gerade die Reisen Polo’s, welche bisher ungeahnte Dinge
zur Kenntniss des Abendlandes brachten und der königlichen Repu-
blik eine Quelle neuer Reichthümer, den Ausgangspunkt für unermess-
liche Ausdehnung ihrer Machtsphäre bieten zu sollen schien, tragen
den Keim tragischer Wendung in sich. Seine Berichte liessen in
Venedigs Rivalen den Wunsch reifen, auf anderem Wege in jene Ge-
biete märchenhafter Fülle zu gelangen; je verlockender die Schilde-
rungen waren, desto stärkeren Ansporn mussten sie bieten, den grossen
Schritt ins Unbekannte zu wagen, und eben die Länder und die Schätze,
welche Polo im fernen Ostasien geschaut hatte, waren die Ziele,
welche Christobal Colon zu erreichen hoffte, als er 1492 über den
Atlantischen Ocean steuerte.


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[46/0066] Das Mittelmeerbecken. tausendmal überbrückten Canälen, seine Erzählungen von dem reichen Pfeffermarkte Zeiton an der Strasse von Fu-Kien und von der im Osten Asiens gelegenen Inselgruppe Zipangu (Japan), wo der königliche Palast mit goldenen Tafeln gedeckt war, erregten unendliches Aufsehen. Die Bedeutung der kühnen Wanderungen der venetianischen Reisenden wird von Dr. Sophus Ruge sehr treffend in folgenden Worten charakterisirt: „Fassen wir einmal die Resultate dieser epoche- machenden Reise zusammen, so war Marco Polo der erste Reisende, welcher ganz Asien der Länge nach durchzog und die einzelnen Län- der beschrieb. Er sah die Wüsten Persiens und die grünen Hoch- flächen und wilden Schluchten Badachschans, die jadeführenden Flüsse Ost-Turkestans und die Steppen der Mongolei, die glänzende Hofhaltung in Cambalu und das Volksgewimmel in China. Er erzählte von Japan mit seinen goldbedeckten Palästen, von Birma mit seinen goldenen Pagoden, schilderte zuerst die paradiesischen Eilandfluren der Sundawelt mit ihren aromatischen Gewürzen, das ferne Java und Sumatra mit ihren vielen Königreichen, mit seinen geschätzten Er- zeugnissen und seinen Menschenfressern; er sah Ceylon mit seinen heiligen Bergen, besuchte viele Häfen Indiens und lernte dieses im Abendlande noch immer von Sagen verhüllte Land in seiner Grösse und seinem Reichthum kennen. Er gab zuerst im Mittelalter einen klaren Bericht von dem christlichen Reiche in Abessynien und drang mit seinem Blick einerseits bis nach Madagaskar vor, andererseits zog er im Innern Asiens Erkundigungen über den höchsten Norden, über Sibirien ein, über das Land der Finsterniss, wo weder Sonne, noch Mond, noch Sterne scheinen und ein ewiges Zwielicht herrscht, wo man auf Hundeschlitten fährt oder auf Renthieren reitet, ein Land, hinter welchem endlich ein eisiger Ocean sich ausdehnt.“ Aber gerade die Reisen Polo’s, welche bisher ungeahnte Dinge zur Kenntniss des Abendlandes brachten und der königlichen Repu- blik eine Quelle neuer Reichthümer, den Ausgangspunkt für unermess- liche Ausdehnung ihrer Machtsphäre bieten zu sollen schien, tragen den Keim tragischer Wendung in sich. Seine Berichte liessen in Venedigs Rivalen den Wunsch reifen, auf anderem Wege in jene Ge- biete märchenhafter Fülle zu gelangen; je verlockender die Schilde- rungen waren, desto stärkeren Ansporn mussten sie bieten, den grossen Schritt ins Unbekannte zu wagen, und eben die Länder und die Schätze, welche Polo im fernen Ostasien geschaut hatte, waren die Ziele, welche Christobal Colon zu erreichen hoffte, als er 1492 über den Atlantischen Ocean steuerte.

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/66>, abgerufen am 24.11.2024.