waffenplatz ein halbes Jahrhundert hindurch etablirten. Nach deren Vertreibung erholte sich die Stadt und fiel den Grafen von Poitou zu, deren letzter, Guil- laume X., dieselbe 1137 seiner Tochter Eleonore vermachte, welche im selben Jahre Louis VI., Sohn Louis le Jeune, der im Juli zum König von Frankreich proclamirt wurde, in der Kathedrale Saint-Andre ehelichte. 1152 von diesem ge- schieden, vermählte sie sich mit Henri Plantagenet, Herzog von Anjou, der König von England wurde und dem das ganze westliche Frankreich als Mitgift zufiel.
Die dreihundertjährige Herrschaft der Engländer und die Kämpfe jener Zeit berührten den Wohlstand der Stadt nur wenig.
Unter Ludwig XI., welcher Bordeaux die alten Rechte verlieh, begann ein neuer Aufschwung. Er setzte ein Parlament ein und stellte die 1441 ge- gründete Universität wieder her, aber erst unter Franz I. erhob sich die Stadt zu ihrem früheren Glanz.
Die Reformationszeit sah die grausamste Verfolgung der Calvinisten (1548 und 1572), und während der Regierungsperiode Ludwig XIII. und der Unmündig- keit Ludwig XIV. war Bordeaux der Schauplatz verheerender Bürgerkriege, die bis 1653 währten.
Unter Ludwig XV. und Ludwig XVI. schuf Louis-Urbain Aubert, Marquis de Tourny, dessen Namen ein Platz und ein Cours in der Stadt führen, aus Bor- deaux in wenigen Jahren eine der prächtigsten Städte Frankreichs und begründete deren Handelsblüthe.
Als Hauptstützpunkt der heldenmüthigen Girondisten hatte das besiegte Bordeaux während der grossen französischen Revolution die ganze Härte und Grausamkeit des Nationalconvents zu erleiden.
Das napoleonische Kaiserreich untergrub den Seehandel, raubte der Stadt die Stütze ihres Wohlstandes, weshalb sich die Sympathien derselben dem König- thum zuwendeten und geheime Conspirationen der eigenthümlichsten Art gegen Napoleon I. und die Officiere seiner Armee dort entstanden.
Am 9. December 1870 wurde Bordeaux der Sitz der Delegation der pro- visorischen Regierung. Am 12. Februar 1871 versammelte sich dort die National Assemblee, welche M. Thiers zum Präsidenten der Republik erhob und am 1. März die Präliminarien des Friedens mit Deutschland votirte.
Bordeaux unter 44° 50' nördl. Breite und 0° 35' westl. Länge von Greenwich (Kathedrale Saint-Andre) gelegen, ist die Hauptstadt des Departement der Gironde, der Sitz eines Erzbischofs, eines Appella- tionsgerichtshofes und des Generalcommandos des 18. Armeecorps sowie einer Handelskammer.
Die Stadt zählt 240.600 Einwohner. Das Klima ist oceanisch, der Winter so milde (+ 6°C. Jännertemperatur), dass im Jardin public grosse Palmenanlagen im Freien gedeihen.
Zu den Zeiten des Augustus und gewiss schon weit früher war Burdigala, das heutige Bordeaux, der grösste Handelsplatz der ganzen oceanischen Küste Galliens als End- und Umladepunkt für die Fluss- schiffahrt und den Verkehr über den Isthmus zum Mittelmeere. Der unter Ludwig XIV. vollendete Canal du Midi, der in Cette endet,
Der atlantische Ocean.
waffenplatz ein halbes Jahrhundert hindurch etablirten. Nach deren Vertreibung erholte sich die Stadt und fiel den Grafen von Poitou zu, deren letzter, Guil- laume X., dieselbe 1137 seiner Tochter Eleonore vermachte, welche im selben Jahre Louis VI., Sohn Louis le Jeune, der im Juli zum König von Frankreich proclamirt wurde, in der Kathedrale Saint-André ehelichte. 1152 von diesem ge- schieden, vermählte sie sich mit Henri Plantagenet, Herzog von Anjou, der König von England wurde und dem das ganze westliche Frankreich als Mitgift zufiel.
Die dreihundertjährige Herrschaft der Engländer und die Kämpfe jener Zeit berührten den Wohlstand der Stadt nur wenig.
Unter Ludwig XI., welcher Bordeaux die alten Rechte verlieh, begann ein neuer Aufschwung. Er setzte ein Parlament ein und stellte die 1441 ge- gründete Universität wieder her, aber erst unter Franz I. erhob sich die Stadt zu ihrem früheren Glanz.
Die Reformationszeit sah die grausamste Verfolgung der Calvinisten (1548 und 1572), und während der Regierungsperiode Ludwig XIII. und der Unmündig- keit Ludwig XIV. war Bordeaux der Schauplatz verheerender Bürgerkriege, die bis 1653 währten.
Unter Ludwig XV. und Ludwig XVI. schuf Louis-Urbain Aubert, Marquis de Tourny, dessen Namen ein Platz und ein Cours in der Stadt führen, aus Bor- deaux in wenigen Jahren eine der prächtigsten Städte Frankreichs und begründete deren Handelsblüthe.
Als Hauptstützpunkt der heldenmüthigen Girondisten hatte das besiegte Bordeaux während der grossen französischen Revolution die ganze Härte und Grausamkeit des Nationalconvents zu erleiden.
Das napoleonische Kaiserreich untergrub den Seehandel, raubte der Stadt die Stütze ihres Wohlstandes, weshalb sich die Sympathien derselben dem König- thum zuwendeten und geheime Conspirationen der eigenthümlichsten Art gegen Napoleon I. und die Officiere seiner Armee dort entstanden.
Am 9. December 1870 wurde Bordeaux der Sitz der Delegation der pro- visorischen Regierung. Am 12. Februar 1871 versammelte sich dort die National Assemblée, welche M. Thiers zum Präsidenten der Republik erhob und am 1. März die Präliminarien des Friedens mit Deutschland votirte.
Bordeaux unter 44° 50′ nördl. Breite und 0° 35′ westl. Länge von Greenwich (Kathedrale Saint-André) gelegen, ist die Hauptstadt des Departement der Gironde, der Sitz eines Erzbischofs, eines Appella- tionsgerichtshofes und des Generalcommandos des 18. Armeecorps sowie einer Handelskammer.
Die Stadt zählt 240.600 Einwohner. Das Klima ist oceanisch, der Winter so milde (+ 6°C. Jännertemperatur), dass im Jardin public grosse Palmenanlagen im Freien gedeihen.
Zu den Zeiten des Augustus und gewiss schon weit früher war Burdigala, das heutige Bordeaux, der grösste Handelsplatz der ganzen oceanischen Küste Galliens als End- und Umladepunkt für die Fluss- schiffahrt und den Verkehr über den Isthmus zum Mittelmeere. Der unter Ludwig XIV. vollendete Canal du Midi, der in Cette endet,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0596"n="576"/><fwplace="top"type="header">Der atlantische Ocean.</fw><lb/>
waffenplatz ein halbes Jahrhundert hindurch etablirten. Nach deren Vertreibung<lb/>
erholte sich die Stadt und fiel den Grafen von Poitou zu, deren letzter, Guil-<lb/>
laume X., dieselbe 1137 seiner Tochter Eleonore vermachte, welche im selben<lb/>
Jahre Louis VI., Sohn Louis le Jeune, der im Juli zum König von Frankreich<lb/>
proclamirt wurde, in der Kathedrale Saint-André ehelichte. 1152 von diesem ge-<lb/>
schieden, vermählte sie sich mit Henri Plantagenet, Herzog von Anjou, der König<lb/>
von England wurde und dem das ganze westliche Frankreich als Mitgift zufiel.</p><lb/><p>Die dreihundertjährige Herrschaft der Engländer und die Kämpfe jener<lb/>
Zeit berührten den Wohlstand der Stadt nur wenig.</p><lb/><p>Unter Ludwig XI., welcher Bordeaux die alten Rechte verlieh, begann<lb/>
ein neuer Aufschwung. Er setzte ein Parlament ein und stellte die 1441 ge-<lb/>
gründete Universität wieder her, aber erst unter Franz I. erhob sich die Stadt<lb/>
zu ihrem früheren Glanz.</p><lb/><p>Die Reformationszeit sah die grausamste Verfolgung der Calvinisten (1548<lb/>
und 1572), und während der Regierungsperiode Ludwig XIII. und der Unmündig-<lb/>
keit Ludwig XIV. war Bordeaux der Schauplatz verheerender Bürgerkriege, die<lb/>
bis 1653 währten.</p><lb/><p>Unter Ludwig XV. und Ludwig XVI. schuf Louis-Urbain Aubert, Marquis<lb/>
de Tourny, dessen Namen ein Platz und ein Cours in der Stadt führen, aus Bor-<lb/>
deaux in wenigen Jahren eine der prächtigsten Städte Frankreichs und begründete<lb/>
deren Handelsblüthe.</p><lb/><p>Als Hauptstützpunkt der heldenmüthigen Girondisten hatte das besiegte<lb/>
Bordeaux während der grossen französischen Revolution die ganze Härte und<lb/>
Grausamkeit des Nationalconvents zu erleiden.</p><lb/><p>Das napoleonische Kaiserreich untergrub den Seehandel, raubte der Stadt<lb/>
die Stütze ihres Wohlstandes, weshalb sich die Sympathien derselben dem König-<lb/>
thum zuwendeten und geheime Conspirationen der eigenthümlichsten Art gegen<lb/>
Napoleon I. und die Officiere seiner Armee dort entstanden.</p><lb/><p>Am 9. December 1870 wurde Bordeaux der Sitz der Delegation der pro-<lb/>
visorischen Regierung. Am 12. Februar 1871 versammelte sich dort die National<lb/>
Assemblée, welche M. Thiers zum Präsidenten der Republik erhob und am 1. März<lb/>
die Präliminarien des Friedens mit Deutschland votirte.</p><lb/><p>Bordeaux unter 44° 50′ nördl. Breite und 0° 35′ westl. Länge<lb/>
von Greenwich (Kathedrale Saint-André) gelegen, ist die Hauptstadt<lb/>
des Departement der Gironde, der Sitz eines Erzbischofs, eines Appella-<lb/>
tionsgerichtshofes und des Generalcommandos des 18. Armeecorps<lb/>
sowie einer Handelskammer.</p><lb/><p>Die Stadt zählt 240.600 Einwohner. Das Klima ist oceanisch,<lb/>
der Winter so milde (+ 6°C. Jännertemperatur), dass im Jardin<lb/>
public grosse Palmenanlagen im Freien gedeihen.</p><lb/><p>Zu den Zeiten des Augustus und gewiss schon weit früher war<lb/>
Burdigala, das heutige Bordeaux, der grösste Handelsplatz der ganzen<lb/>
oceanischen Küste Galliens als End- und Umladepunkt für die Fluss-<lb/>
schiffahrt und den Verkehr über den Isthmus zum Mittelmeere. Der<lb/>
unter Ludwig XIV. vollendete Canal du Midi, der in Cette endet,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[576/0596]
Der atlantische Ocean.
waffenplatz ein halbes Jahrhundert hindurch etablirten. Nach deren Vertreibung
erholte sich die Stadt und fiel den Grafen von Poitou zu, deren letzter, Guil-
laume X., dieselbe 1137 seiner Tochter Eleonore vermachte, welche im selben
Jahre Louis VI., Sohn Louis le Jeune, der im Juli zum König von Frankreich
proclamirt wurde, in der Kathedrale Saint-André ehelichte. 1152 von diesem ge-
schieden, vermählte sie sich mit Henri Plantagenet, Herzog von Anjou, der König
von England wurde und dem das ganze westliche Frankreich als Mitgift zufiel.
Die dreihundertjährige Herrschaft der Engländer und die Kämpfe jener
Zeit berührten den Wohlstand der Stadt nur wenig.
Unter Ludwig XI., welcher Bordeaux die alten Rechte verlieh, begann
ein neuer Aufschwung. Er setzte ein Parlament ein und stellte die 1441 ge-
gründete Universität wieder her, aber erst unter Franz I. erhob sich die Stadt
zu ihrem früheren Glanz.
Die Reformationszeit sah die grausamste Verfolgung der Calvinisten (1548
und 1572), und während der Regierungsperiode Ludwig XIII. und der Unmündig-
keit Ludwig XIV. war Bordeaux der Schauplatz verheerender Bürgerkriege, die
bis 1653 währten.
Unter Ludwig XV. und Ludwig XVI. schuf Louis-Urbain Aubert, Marquis
de Tourny, dessen Namen ein Platz und ein Cours in der Stadt führen, aus Bor-
deaux in wenigen Jahren eine der prächtigsten Städte Frankreichs und begründete
deren Handelsblüthe.
Als Hauptstützpunkt der heldenmüthigen Girondisten hatte das besiegte
Bordeaux während der grossen französischen Revolution die ganze Härte und
Grausamkeit des Nationalconvents zu erleiden.
Das napoleonische Kaiserreich untergrub den Seehandel, raubte der Stadt
die Stütze ihres Wohlstandes, weshalb sich die Sympathien derselben dem König-
thum zuwendeten und geheime Conspirationen der eigenthümlichsten Art gegen
Napoleon I. und die Officiere seiner Armee dort entstanden.
Am 9. December 1870 wurde Bordeaux der Sitz der Delegation der pro-
visorischen Regierung. Am 12. Februar 1871 versammelte sich dort die National
Assemblée, welche M. Thiers zum Präsidenten der Republik erhob und am 1. März
die Präliminarien des Friedens mit Deutschland votirte.
Bordeaux unter 44° 50′ nördl. Breite und 0° 35′ westl. Länge
von Greenwich (Kathedrale Saint-André) gelegen, ist die Hauptstadt
des Departement der Gironde, der Sitz eines Erzbischofs, eines Appella-
tionsgerichtshofes und des Generalcommandos des 18. Armeecorps
sowie einer Handelskammer.
Die Stadt zählt 240.600 Einwohner. Das Klima ist oceanisch,
der Winter so milde (+ 6°C. Jännertemperatur), dass im Jardin
public grosse Palmenanlagen im Freien gedeihen.
Zu den Zeiten des Augustus und gewiss schon weit früher war
Burdigala, das heutige Bordeaux, der grösste Handelsplatz der ganzen
oceanischen Küste Galliens als End- und Umladepunkt für die Fluss-
schiffahrt und den Verkehr über den Isthmus zum Mittelmeere. Der
unter Ludwig XIV. vollendete Canal du Midi, der in Cette endet,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 576. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/596>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.