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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Der atlantische Ocean.

In kurzer Zeit erhob sich durch die Energie Pombal's aus den Ruinen eine
neue glänzende Stadt, aber noch heute erblickt man manche aus jenen Tagen des
Unglücks herstammende Ruine. Seither wurde die Stadt noch in den Jahren 1761,
1796, 1807 und 1858 durch starke Erdstösse heimgesucht.

Lissabon zählt 243.000 Einwohner und ist in vier Districte
(bairros) eingetheilt, deren erster den östlichsten und ältesten Theil
der Stadt, in welchem das Castell St. Georg und die Kathedrale
liegen, in sich begreift.

Westlich des ersten Districtes breitet sich die neue Stadt mit
ihren regelmässigen Strassenzügen, schönen Plätzen und der prächtigen
Avenide (S) aus. Das ist jener Stadttheil, welcher bei dem grossen
Erdbeben am härtesten mitgenommen worden war.

Hieran schliesst sich der dritte District, in welchem die fashio-
nableste Strasse Rua Chiado, die National-Bibliothek, die N. S. de
Loreto, die beliebteste aller Kirchen der Stadt, einige der ersten
Hotels, die königliche Akademie der Wissenschaften u. a. sich be-
finden.

Noch weiter westlich ist der District Buenos Ayres mit den
Residenzen der Gesandten, der englischen Estrellakirche, dem Parla-
mentsgebäude (Sao Bento) und dem Palais Necessidades, welches
nächst dem Bahnhofe von Alcantara gelegen dem westlichsten Theile
des Districtes angehört.

Lissabon bietet durch den amphitheatralischen Aufbau der über-
einander liegenden Strassen nicht nur ein sehr malerisches Bild von
aussen, die Stadt ist auch im Innern sehr schön und freundlich. Auf-
fallend sind die vielfach mit glasirten Ziegeln belegten Häuser, an
denen jedes Thor, auch jeder Eingang in ein Magazin die fortlau-
fende Nummer trägt, so dass manches Haus 20 Nummern hat. Die
Steilheit mancher Strassen zwingt die Tramway bergan mit 8 Maul-
thieren zu fahren, während bergab die Thiere freigehen und die Wa-
gen durch die mittelst Bremsen regulirte eigene Schwere laufen.

Lissabon besitzt zahlreiche geräumige Kirchen, von welchen aber
nur wenige von Interesse sind.

Die Vermeidung von Säulen, das Fehlen von Sitzbänken, das
System der eigenthümlichen Anordnung der Seitencapellen, geben den
Kirchen ein meist nüchternes, wenig zur Andacht stimmendes Aus-
sehen.

Weitaus zu den sehenswerthesten Gotteshäusern zählt die Ka-
thedrale Se oder Basilica de Santa Maria, obgleich sie in beschei-
denen Dimensionen gehalten ist und mit ihren massigen unausgebauten

Der atlantische Ocean.

In kurzer Zeit erhob sich durch die Energie Pombal’s aus den Ruinen eine
neue glänzende Stadt, aber noch heute erblickt man manche aus jenen Tagen des
Unglücks herstammende Ruine. Seither wurde die Stadt noch in den Jahren 1761,
1796, 1807 und 1858 durch starke Erdstösse heimgesucht.

Lissabon zählt 243.000 Einwohner und ist in vier Districte
(bairros) eingetheilt, deren erster den östlichsten und ältesten Theil
der Stadt, in welchem das Castell St. Georg und die Kathedrale
liegen, in sich begreift.

Westlich des ersten Districtes breitet sich die neue Stadt mit
ihren regelmässigen Strassenzügen, schönen Plätzen und der prächtigen
Avenide (S) aus. Das ist jener Stadttheil, welcher bei dem grossen
Erdbeben am härtesten mitgenommen worden war.

Hieran schliesst sich der dritte District, in welchem die fashio-
nableste Strasse Rua Chiado, die National-Bibliothek, die N. S. de
Loreto, die beliebteste aller Kirchen der Stadt, einige der ersten
Hotels, die königliche Akademie der Wissenschaften u. a. sich be-
finden.

Noch weiter westlich ist der District Buenos Ayres mit den
Residenzen der Gesandten, der englischen Estrellakirche, dem Parla-
mentsgebäude (São Bento) und dem Palais Necessidades, welches
nächst dem Bahnhofe von Alcantara gelegen dem westlichsten Theile
des Districtes angehört.

Lissabon bietet durch den amphitheatralischen Aufbau der über-
einander liegenden Strassen nicht nur ein sehr malerisches Bild von
aussen, die Stadt ist auch im Innern sehr schön und freundlich. Auf-
fallend sind die vielfach mit glasirten Ziegeln belegten Häuser, an
denen jedes Thor, auch jeder Eingang in ein Magazin die fortlau-
fende Nummer trägt, so dass manches Haus 20 Nummern hat. Die
Steilheit mancher Strassen zwingt die Tramway bergan mit 8 Maul-
thieren zu fahren, während bergab die Thiere freigehen und die Wa-
gen durch die mittelst Bremsen regulirte eigene Schwere laufen.

Lissabon besitzt zahlreiche geräumige Kirchen, von welchen aber
nur wenige von Interesse sind.

Die Vermeidung von Säulen, das Fehlen von Sitzbänken, das
System der eigenthümlichen Anordnung der Seitencapellen, geben den
Kirchen ein meist nüchternes, wenig zur Andacht stimmendes Aus-
sehen.

Weitaus zu den sehenswerthesten Gotteshäusern zählt die Ka-
thedrale Sé oder Basilica de Santa Maria, obgleich sie in beschei-
denen Dimensionen gehalten ist und mit ihren massigen unausgebauten

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[532/0552] Der atlantische Ocean. In kurzer Zeit erhob sich durch die Energie Pombal’s aus den Ruinen eine neue glänzende Stadt, aber noch heute erblickt man manche aus jenen Tagen des Unglücks herstammende Ruine. Seither wurde die Stadt noch in den Jahren 1761, 1796, 1807 und 1858 durch starke Erdstösse heimgesucht. Lissabon zählt 243.000 Einwohner und ist in vier Districte (bairros) eingetheilt, deren erster den östlichsten und ältesten Theil der Stadt, in welchem das Castell St. Georg und die Kathedrale liegen, in sich begreift. Westlich des ersten Districtes breitet sich die neue Stadt mit ihren regelmässigen Strassenzügen, schönen Plätzen und der prächtigen Avenide (S) aus. Das ist jener Stadttheil, welcher bei dem grossen Erdbeben am härtesten mitgenommen worden war. Hieran schliesst sich der dritte District, in welchem die fashio- nableste Strasse Rua Chiado, die National-Bibliothek, die N. S. de Loreto, die beliebteste aller Kirchen der Stadt, einige der ersten Hotels, die königliche Akademie der Wissenschaften u. a. sich be- finden. Noch weiter westlich ist der District Buenos Ayres mit den Residenzen der Gesandten, der englischen Estrellakirche, dem Parla- mentsgebäude (São Bento) und dem Palais Necessidades, welches nächst dem Bahnhofe von Alcantara gelegen dem westlichsten Theile des Districtes angehört. Lissabon bietet durch den amphitheatralischen Aufbau der über- einander liegenden Strassen nicht nur ein sehr malerisches Bild von aussen, die Stadt ist auch im Innern sehr schön und freundlich. Auf- fallend sind die vielfach mit glasirten Ziegeln belegten Häuser, an denen jedes Thor, auch jeder Eingang in ein Magazin die fortlau- fende Nummer trägt, so dass manches Haus 20 Nummern hat. Die Steilheit mancher Strassen zwingt die Tramway bergan mit 8 Maul- thieren zu fahren, während bergab die Thiere freigehen und die Wa- gen durch die mittelst Bremsen regulirte eigene Schwere laufen. Lissabon besitzt zahlreiche geräumige Kirchen, von welchen aber nur wenige von Interesse sind. Die Vermeidung von Säulen, das Fehlen von Sitzbänken, das System der eigenthümlichen Anordnung der Seitencapellen, geben den Kirchen ein meist nüchternes, wenig zur Andacht stimmendes Aus- sehen. Weitaus zu den sehenswerthesten Gotteshäusern zählt die Ka- thedrale Sé oder Basilica de Santa Maria, obgleich sie in beschei- denen Dimensionen gehalten ist und mit ihren massigen unausgebauten

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 532. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/552>, abgerufen am 23.11.2024.