reiche atlantische Ocean zu dem für Handel und Schiffahrt wich- tigsten Theile des Weltmeeres emporgearbeitet, und nur auf dem Wege über den atlantischen Ocean hat sich der Europäer zum Herrn der Erde emporgeschwungen; wo er auf den Thron verzichten musste, wie in Amerika, da geschah es zu Gunsten seiner eigenen Abkömm- linge, welch jüngere Vettern bereits vielfach als gefährliche Rivalen für die älteren Linien auf dem Felde der Weltconcurrenz auftreten.
Fluch und Segen mengen sich aber in die grossen Umgestal- tungs- und Erneuerungsprocesse der Geschichte.
Wenn der eine triumphirt, muss der andere zu Grunde gehen; was dem einen Gewinn und Lebensfreude schafft, kostet dem anderen Freiheit und Eigenthum. So recht mit den Händen können wir zu beiden Seiten des atlantischen Oceans die belegenden Beispiele für die Richtigkeit dieses Satzes greifen. Die romanischen und später auch die germanischen Völker Europas erwarben ein ungeheures Colonisationsgebiet voll der mannigfaltigsten Erwerbsquellen jenseits des Oceans -- aber die rothe und schwarze Spielart des Menschen- geschlechtes muss es büssen, dass die Bleichgesichter besser, freier und energischer leben wollen als bisher. Heute ist die Zeit vorüber, wo Europa in Behaglichkeit oder auch, wie es zuletzt war, in ner- vöser Empfindlichkeit dem Kampfe zusehen kann, wie die Weissen die inferioren Racen unterdrücken oder ausrotten, heute ist der vorerst wirthschaftliche Kampf zwischen den Weissen Amerikas und den Weissen Europas ein Programmpunkt im politischen Völker- concerte geworden.
Gerade der Umstand, dass der atlantische Ocean von verhält- nissmässig geringer Breite ist, wirkt auf die heutigen Bewohner der alten und neuen Welt wie das unabwendbare Fatum ein.
Die alte und die neue Welt sind auf einander angewiesen, seit- dem sie in Verkehr getreten sind und die ersten Producte mit einander ausgetauscht haben. Am Ausgange des XVIII. und an der Schwelle des XIX. Jahrhunderts vollzog sich der Process, durch welchen die transatlantischen Colonialländer -- zuerst die englischen, dann die spani- schen -- sich vom Mutterlande unabhängig machten und ein verant- wortliches Einzeldasein auf eigene Rechnung und Gefahr begannen. Allerdings ward damals bloss das politische Band zerschnitten, aber die Bande der Natur, der Interessen, der Bedürfnisse hielten stand, der Verkehr zwischen Europa und Amerika hat sich in den letzten fünfzig Jahren verhundertfacht: Dampf und Elektricität haben mittler- weile die Entfernungen beider Landfesten auf einen Bruchtheil des
Der atlantische Ocean.
reiche atlantische Ocean zu dem für Handel und Schiffahrt wich- tigsten Theile des Weltmeeres emporgearbeitet, und nur auf dem Wege über den atlantischen Ocean hat sich der Europäer zum Herrn der Erde emporgeschwungen; wo er auf den Thron verzichten musste, wie in Amerika, da geschah es zu Gunsten seiner eigenen Abkömm- linge, welch jüngere Vettern bereits vielfach als gefährliche Rivalen für die älteren Linien auf dem Felde der Weltconcurrenz auftreten.
Fluch und Segen mengen sich aber in die grossen Umgestal- tungs- und Erneuerungsprocesse der Geschichte.
Wenn der eine triumphirt, muss der andere zu Grunde gehen; was dem einen Gewinn und Lebensfreude schafft, kostet dem anderen Freiheit und Eigenthum. So recht mit den Händen können wir zu beiden Seiten des atlantischen Oceans die belegenden Beispiele für die Richtigkeit dieses Satzes greifen. Die romanischen und später auch die germanischen Völker Europas erwarben ein ungeheures Colonisationsgebiet voll der mannigfaltigsten Erwerbsquellen jenseits des Oceans — aber die rothe und schwarze Spielart des Menschen- geschlechtes muss es büssen, dass die Bleichgesichter besser, freier und energischer leben wollen als bisher. Heute ist die Zeit vorüber, wo Europa in Behaglichkeit oder auch, wie es zuletzt war, in ner- vöser Empfindlichkeit dem Kampfe zusehen kann, wie die Weissen die inferioren Racen unterdrücken oder ausrotten, heute ist der vorerst wirthschaftliche Kampf zwischen den Weissen Amerikas und den Weissen Europas ein Programmpunkt im politischen Völker- concerte geworden.
Gerade der Umstand, dass der atlantische Ocean von verhält- nissmässig geringer Breite ist, wirkt auf die heutigen Bewohner der alten und neuen Welt wie das unabwendbare Fatum ein.
Die alte und die neue Welt sind auf einander angewiesen, seit- dem sie in Verkehr getreten sind und die ersten Producte mit einander ausgetauscht haben. Am Ausgange des XVIII. und an der Schwelle des XIX. Jahrhunderts vollzog sich der Process, durch welchen die transatlantischen Colonialländer — zuerst die englischen, dann die spani- schen — sich vom Mutterlande unabhängig machten und ein verant- wortliches Einzeldasein auf eigene Rechnung und Gefahr begannen. Allerdings ward damals bloss das politische Band zerschnitten, aber die Bande der Natur, der Interessen, der Bedürfnisse hielten stand, der Verkehr zwischen Europa und Amerika hat sich in den letzten fünfzig Jahren verhundertfacht: Dampf und Elektricität haben mittler- weile die Entfernungen beider Landfesten auf einen Bruchtheil des
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0513"n="493"/><fwplace="top"type="header">Der atlantische Ocean.</fw><lb/>
reiche atlantische Ocean zu dem für Handel und Schiffahrt wich-<lb/>
tigsten Theile des Weltmeeres emporgearbeitet, und nur auf dem<lb/>
Wege über den atlantischen Ocean hat sich der Europäer zum Herrn<lb/>
der Erde emporgeschwungen; wo er auf den Thron verzichten musste,<lb/>
wie in Amerika, da geschah es zu Gunsten seiner eigenen Abkömm-<lb/>
linge, welch jüngere Vettern bereits vielfach als gefährliche Rivalen<lb/>
für die älteren Linien auf dem Felde der Weltconcurrenz auftreten.</p><lb/><p>Fluch und Segen mengen sich aber in die grossen Umgestal-<lb/>
tungs- und Erneuerungsprocesse der Geschichte.</p><lb/><p>Wenn der eine triumphirt, muss der andere zu Grunde gehen;<lb/>
was dem einen Gewinn und Lebensfreude schafft, kostet dem anderen<lb/>
Freiheit und Eigenthum. So recht mit den Händen können wir zu<lb/>
beiden Seiten des atlantischen Oceans die belegenden Beispiele für<lb/>
die Richtigkeit dieses Satzes greifen. Die romanischen und später<lb/>
auch die germanischen Völker Europas erwarben ein ungeheures<lb/>
Colonisationsgebiet voll der mannigfaltigsten Erwerbsquellen jenseits<lb/>
des Oceans — aber die rothe und schwarze Spielart des Menschen-<lb/>
geschlechtes muss es büssen, dass die Bleichgesichter besser, freier<lb/>
und energischer leben wollen als bisher. Heute ist die Zeit vorüber,<lb/>
wo Europa in Behaglichkeit oder auch, wie es zuletzt war, in ner-<lb/>
vöser Empfindlichkeit dem Kampfe zusehen kann, wie die Weissen<lb/>
die inferioren Racen unterdrücken oder ausrotten, heute ist der<lb/>
vorerst wirthschaftliche Kampf zwischen den Weissen Amerikas und<lb/>
den Weissen Europas ein Programmpunkt im politischen Völker-<lb/>
concerte geworden.</p><lb/><p>Gerade der Umstand, dass der atlantische Ocean von verhält-<lb/>
nissmässig geringer Breite ist, wirkt auf die heutigen Bewohner der<lb/>
alten und neuen Welt wie das unabwendbare Fatum ein.</p><lb/><p>Die alte und die neue Welt sind auf einander angewiesen, seit-<lb/>
dem sie in Verkehr getreten sind und die ersten Producte mit einander<lb/>
ausgetauscht haben. Am Ausgange des XVIII. und an der Schwelle<lb/>
des XIX. Jahrhunderts vollzog sich der Process, durch welchen die<lb/>
transatlantischen Colonialländer — zuerst die englischen, dann die spani-<lb/>
schen — sich vom Mutterlande unabhängig machten und ein verant-<lb/>
wortliches Einzeldasein auf eigene Rechnung und Gefahr begannen.<lb/>
Allerdings ward damals bloss das politische Band zerschnitten, aber<lb/>
die Bande der Natur, der Interessen, der Bedürfnisse hielten stand,<lb/>
der Verkehr zwischen Europa und Amerika hat sich in den letzten<lb/>
fünfzig Jahren verhundertfacht: Dampf und Elektricität haben mittler-<lb/>
weile die Entfernungen beider Landfesten auf einen Bruchtheil des<lb/></p></div></body></text></TEI>
[493/0513]
Der atlantische Ocean.
reiche atlantische Ocean zu dem für Handel und Schiffahrt wich-
tigsten Theile des Weltmeeres emporgearbeitet, und nur auf dem
Wege über den atlantischen Ocean hat sich der Europäer zum Herrn
der Erde emporgeschwungen; wo er auf den Thron verzichten musste,
wie in Amerika, da geschah es zu Gunsten seiner eigenen Abkömm-
linge, welch jüngere Vettern bereits vielfach als gefährliche Rivalen
für die älteren Linien auf dem Felde der Weltconcurrenz auftreten.
Fluch und Segen mengen sich aber in die grossen Umgestal-
tungs- und Erneuerungsprocesse der Geschichte.
Wenn der eine triumphirt, muss der andere zu Grunde gehen;
was dem einen Gewinn und Lebensfreude schafft, kostet dem anderen
Freiheit und Eigenthum. So recht mit den Händen können wir zu
beiden Seiten des atlantischen Oceans die belegenden Beispiele für
die Richtigkeit dieses Satzes greifen. Die romanischen und später
auch die germanischen Völker Europas erwarben ein ungeheures
Colonisationsgebiet voll der mannigfaltigsten Erwerbsquellen jenseits
des Oceans — aber die rothe und schwarze Spielart des Menschen-
geschlechtes muss es büssen, dass die Bleichgesichter besser, freier
und energischer leben wollen als bisher. Heute ist die Zeit vorüber,
wo Europa in Behaglichkeit oder auch, wie es zuletzt war, in ner-
vöser Empfindlichkeit dem Kampfe zusehen kann, wie die Weissen
die inferioren Racen unterdrücken oder ausrotten, heute ist der
vorerst wirthschaftliche Kampf zwischen den Weissen Amerikas und
den Weissen Europas ein Programmpunkt im politischen Völker-
concerte geworden.
Gerade der Umstand, dass der atlantische Ocean von verhält-
nissmässig geringer Breite ist, wirkt auf die heutigen Bewohner der
alten und neuen Welt wie das unabwendbare Fatum ein.
Die alte und die neue Welt sind auf einander angewiesen, seit-
dem sie in Verkehr getreten sind und die ersten Producte mit einander
ausgetauscht haben. Am Ausgange des XVIII. und an der Schwelle
des XIX. Jahrhunderts vollzog sich der Process, durch welchen die
transatlantischen Colonialländer — zuerst die englischen, dann die spani-
schen — sich vom Mutterlande unabhängig machten und ein verant-
wortliches Einzeldasein auf eigene Rechnung und Gefahr begannen.
Allerdings ward damals bloss das politische Band zerschnitten, aber
die Bande der Natur, der Interessen, der Bedürfnisse hielten stand,
der Verkehr zwischen Europa und Amerika hat sich in den letzten
fünfzig Jahren verhundertfacht: Dampf und Elektricität haben mittler-
weile die Entfernungen beider Landfesten auf einen Bruchtheil des
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 493. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/513>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.