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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Das Mittelmeerbecken.
bilden. Zumeist sind dies prächtige Hotels, eines so gut und stark be-
sucht wie das andere, und insbesondere zeigt nach Schluss des Tage-
werkes die bedeutende Frequenz der zahlreichen Cafes und Restau-
rants, dass man hier wie in allen südlichen Klimaten gerne den Ge-
nüssen des erquickenden Abendlebens sich hingibt; zeigt aber auch,
dass Algier zu der Zeit, die wir Winter nennen, eine Fremdenstadt ist.

Unter zahllosen Lichtern wogt dann die promenirende Volks-
Menge vorüber und nur einzelne zudringliche Verkäufer erscheinen,
die uns meist gefälschte Strausseier und andere Exotica Algeriens
aufzuhalsen versuchen.

Die neue Stadt, welche die ganze Seefront von einem Ende zum
anderen einnimmt und sich hauptsächlich gegen Süden erweitert, hat
zumeist prächtige breite und luftige Strassen, zum Theile mit Ar-
cadengängen.

Es dürfte kaum einen Artikel französischer Industrie geben, der
hier nicht anzutreffen wäre, so dass selbst das verwöhnteste Men-
schenkind in jeder Richtung befriedigt werden kann. Zudem sind die
Waarenhäuser nicht nur schön, sondern hinsichtlich der Preise jeden-
falls mässig und empfehlenswerth.

Manche Strassen führen uralte Namen, die meisten der neuen
Stadt jedoch erhielten moderne Benennungen. Wenn man die Stadt
vom Südende bis zum nördlichsten Thore Bab el Oued durchschreitet,
ist es fast unmöglich, den Place du Gouvernement, den wichtigsten Platz
Algiers, zu übersehen. Er ist der interessanteste und wird in seiner
östlichen Front durch eine der grösseren Moscheen Dschama Dschedid,
durch das Regierungspalais und mehrere der hervorragendsten Privat-
bauten umschlossen. Dort steht die Reiterstatue des Herzogs von
Orleans. Der Schmuck schön entwickelter Platanen, seine centrale
Lage sowie die vielen Cafes, welche die Lieblingsbörsen für den
orientalischen Geschäftsverkehr sind, machen diesen Platz zum Glanz-
punkte des Stadtgetriebes.

Ein reiches Feld für physiognomische und Racenstudien ent-
faltet sich dem Beschauer der verschiedenartigsten Volksgruppen, die
hier stets anzutreffen sind.

Die Anhänger des Islam, für deren Seelenheil noch heutzutage
in 22 Moscheen und kleineren Bethäusern gesorgt wird, treten hier
ungescheut mit den Giaurs in Beziehungen und Verkehr, und die auf
den Fremden so viel Anziehungskraft ausübenden Seidenstoffe, Schätze
orientalischer Teppichweberei, kabylischen und anderen Kunsterzeug-
nisse der Landeskinder scheuen keinen Vergleich, sondern wetteifern

Das Mittelmeerbecken.
bilden. Zumeist sind dies prächtige Hôtels, eines so gut und stark be-
sucht wie das andere, und insbesondere zeigt nach Schluss des Tage-
werkes die bedeutende Frequenz der zahlreichen Cafés und Restau-
rants, dass man hier wie in allen südlichen Klimaten gerne den Ge-
nüssen des erquickenden Abendlebens sich hingibt; zeigt aber auch,
dass Algier zu der Zeit, die wir Winter nennen, eine Fremdenstadt ist.

Unter zahllosen Lichtern wogt dann die promenirende Volks-
Menge vorüber und nur einzelne zudringliche Verkäufer erscheinen,
die uns meist gefälschte Strausseier und andere Exotica Algeriens
aufzuhalsen versuchen.

Die neue Stadt, welche die ganze Seefront von einem Ende zum
anderen einnimmt und sich hauptsächlich gegen Süden erweitert, hat
zumeist prächtige breite und luftige Strassen, zum Theile mit Ar-
cadengängen.

Es dürfte kaum einen Artikel französischer Industrie geben, der
hier nicht anzutreffen wäre, so dass selbst das verwöhnteste Men-
schenkind in jeder Richtung befriedigt werden kann. Zudem sind die
Waarenhäuser nicht nur schön, sondern hinsichtlich der Preise jeden-
falls mässig und empfehlenswerth.

Manche Strassen führen uralte Namen, die meisten der neuen
Stadt jedoch erhielten moderne Benennungen. Wenn man die Stadt
vom Südende bis zum nördlichsten Thore Bab el Oued durchschreitet,
ist es fast unmöglich, den Place du Gouvernement, den wichtigsten Platz
Algiers, zu übersehen. Er ist der interessanteste und wird in seiner
östlichen Front durch eine der grösseren Moscheen Dschama Dschedid,
durch das Regierungspalais und mehrere der hervorragendsten Privat-
bauten umschlossen. Dort steht die Reiterstatue des Herzogs von
Orleans. Der Schmuck schön entwickelter Platanen, seine centrale
Lage sowie die vielen Cafés, welche die Lieblingsbörsen für den
orientalischen Geschäftsverkehr sind, machen diesen Platz zum Glanz-
punkte des Stadtgetriebes.

Ein reiches Feld für physiognomische und Racenstudien ent-
faltet sich dem Beschauer der verschiedenartigsten Volksgruppen, die
hier stets anzutreffen sind.

Die Anhänger des Islam, für deren Seelenheil noch heutzutage
in 22 Moscheen und kleineren Bethäusern gesorgt wird, treten hier
ungescheut mit den Giaurs in Beziehungen und Verkehr, und die auf
den Fremden so viel Anziehungskraft ausübenden Seidenstoffe, Schätze
orientalischer Teppichweberei, kabylischen und anderen Kunsterzeug-
nisse der Landeskinder scheuen keinen Vergleich, sondern wetteifern

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[424/0444] Das Mittelmeerbecken. bilden. Zumeist sind dies prächtige Hôtels, eines so gut und stark be- sucht wie das andere, und insbesondere zeigt nach Schluss des Tage- werkes die bedeutende Frequenz der zahlreichen Cafés und Restau- rants, dass man hier wie in allen südlichen Klimaten gerne den Ge- nüssen des erquickenden Abendlebens sich hingibt; zeigt aber auch, dass Algier zu der Zeit, die wir Winter nennen, eine Fremdenstadt ist. Unter zahllosen Lichtern wogt dann die promenirende Volks- Menge vorüber und nur einzelne zudringliche Verkäufer erscheinen, die uns meist gefälschte Strausseier und andere Exotica Algeriens aufzuhalsen versuchen. Die neue Stadt, welche die ganze Seefront von einem Ende zum anderen einnimmt und sich hauptsächlich gegen Süden erweitert, hat zumeist prächtige breite und luftige Strassen, zum Theile mit Ar- cadengängen. Es dürfte kaum einen Artikel französischer Industrie geben, der hier nicht anzutreffen wäre, so dass selbst das verwöhnteste Men- schenkind in jeder Richtung befriedigt werden kann. Zudem sind die Waarenhäuser nicht nur schön, sondern hinsichtlich der Preise jeden- falls mässig und empfehlenswerth. Manche Strassen führen uralte Namen, die meisten der neuen Stadt jedoch erhielten moderne Benennungen. Wenn man die Stadt vom Südende bis zum nördlichsten Thore Bab el Oued durchschreitet, ist es fast unmöglich, den Place du Gouvernement, den wichtigsten Platz Algiers, zu übersehen. Er ist der interessanteste und wird in seiner östlichen Front durch eine der grösseren Moscheen Dschama Dschedid, durch das Regierungspalais und mehrere der hervorragendsten Privat- bauten umschlossen. Dort steht die Reiterstatue des Herzogs von Orleans. Der Schmuck schön entwickelter Platanen, seine centrale Lage sowie die vielen Cafés, welche die Lieblingsbörsen für den orientalischen Geschäftsverkehr sind, machen diesen Platz zum Glanz- punkte des Stadtgetriebes. Ein reiches Feld für physiognomische und Racenstudien ent- faltet sich dem Beschauer der verschiedenartigsten Volksgruppen, die hier stets anzutreffen sind. Die Anhänger des Islam, für deren Seelenheil noch heutzutage in 22 Moscheen und kleineren Bethäusern gesorgt wird, treten hier ungescheut mit den Giaurs in Beziehungen und Verkehr, und die auf den Fremden so viel Anziehungskraft ausübenden Seidenstoffe, Schätze orientalischer Teppichweberei, kabylischen und anderen Kunsterzeug- nisse der Landeskinder scheuen keinen Vergleich, sondern wetteifern

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 424. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/444>, abgerufen am 22.11.2024.