Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Mittelmeerbecken.
Höhe herab. In der Folge büsste es sogar die eigene Selbständigkeit ein, nach
dem die Könige von Neapel und Frankreich, die Markgrafen von Montferrat und
die Herzoge von Mailand abwechselnd zur Oberherrschaft von Genua gelangten.

Endlose Verschwörungen und blutiger Zwist, sowie die Kämpfe der Gross-
mächte, deren Spielball Genua geworden war, beraubten die Stadt jeder ruhigen
Entwicklung.

Der hochstrebende Andrea Doria, "il padre della patria", der berühmte
Admiral Karl V. raffte 1528 die Kraft des Staates auf und schüttelte das fran-
zösische Joch ab. Er begründete eine neue oligarchische Verfassung und stellte
dadurch Ordnung und Ruhe her, gegen welche die Verschwörung des Fiesco (1547)
erfolglos blieb.

Nun aber waren die Besitzungen im Oriente den anstürmenden Osmanen
zugefallen, die mächtigen Nachbarstaaten der Republik bedrängten ihr Gebiet
immer mehr, 1684 rückten die Franzosen in Genua ein, dessen Kraft und Ansehen
nicht mehr ausreichte, sich selbst zu schützen. Es verkaufte schliesslich 1768,
wenige Wochen, nachdem Napoleon Bonaparte zu Ajaccio geboren war, Corsica
an Frankreich um 30 Millionen Francs, und als die Wogen der französischen Re-
volution ganz Europa überfluteten, verschlangen sie auch Genuas Selbständigkeit
für ewige Zeiten. Von dem französischen General Massena besetzt, wurde die Stadt
1800 durch die Oesterreicher unter Melas und die verbündete Flotte unter Lord
Keith cernirt und musste sich nach blutiger Gegenwehr und nach den Qualen
einer verheerenden Hungersnoth ergeben. Im Jahre 1805 gelangte die Stadt an
Frankreich und 1815 an das Königreich Sardinien.

Im Gegensatze zu Neapel, dessen Armuth an hervorragenden
und schönen Bauwerken, wie überhaupt an Denkmälern der eigenen
Kunst auffallend ist, geniesst Genua durch die zahlreichen und präch-
tigen Renaissancepalais seines Adels und einige sehr alte Kirchen
einen geschätzten Namen in kunstgeschichtlicher Beziehung. Die Kunst-
periode des Cinque Cento ist hier durch viele hervorragende Werke
des genialen Galeazzo Alessi (+ 1572), eines Schülers Michel Angelo's,
reich vertreten. Von seinen Bauten sei der in der Via Garibaldi ge-
legene Palazzo Rosso erwähnt, den die Herzogin von Galliera 1874
der Stadt Genua sammt der reichen Bibliothek und einer kostbaren
Gemäldesammlung als Geschenk gewidmet hat.

Alessi erbaute auch den durch eine stattliche Facade ausge-
zeichneten Palazzo Marcello Durazzo, dessen bedeutende Gemälde-
sammlung "Galleria Durazzo-Pallavicini" viele alte Meister, wie Rubens,
Van Dyck, Tizian, P. Veronese, Tintoretto u. A. enthält. Genua ge-
noss überhaupt das Glück, Rubens (1607 bis 1608) und später Van
Dyck bei sich beherbergt zu haben. Diese schaffensfrohen Meister hinter-
liessen hier viele herrliche Werke und verewigten auch die Mitglieder
der genuesischen Adelsfamilien jener Zeit.

Hier inmitten des die Kunst pflegenden Reichthums fanden gleich-
falls die berühmtesten Vertreter und Träger der venetianischen Schule

Das Mittelmeerbecken.
Höhe herab. In der Folge büsste es sogar die eigene Selbständigkeit ein, nach
dem die Könige von Neapel und Frankreich, die Markgrafen von Montferrat und
die Herzoge von Mailand abwechselnd zur Oberherrschaft von Genua gelangten.

Endlose Verschwörungen und blutiger Zwist, sowie die Kämpfe der Gross-
mächte, deren Spielball Genua geworden war, beraubten die Stadt jeder ruhigen
Entwicklung.

Der hochstrebende Andrea Doria, „il padre della patria“, der berühmte
Admiral Karl V. raffte 1528 die Kraft des Staates auf und schüttelte das fran-
zösische Joch ab. Er begründete eine neue oligarchische Verfassung und stellte
dadurch Ordnung und Ruhe her, gegen welche die Verschwörung des Fiesco (1547)
erfolglos blieb.

Nun aber waren die Besitzungen im Oriente den anstürmenden Osmanen
zugefallen, die mächtigen Nachbarstaaten der Republik bedrängten ihr Gebiet
immer mehr, 1684 rückten die Franzosen in Genua ein, dessen Kraft und Ansehen
nicht mehr ausreichte, sich selbst zu schützen. Es verkaufte schliesslich 1768,
wenige Wochen, nachdem Napoleon Bonaparte zu Ajaccio geboren war, Corsica
an Frankreich um 30 Millionen Francs, und als die Wogen der französischen Re-
volution ganz Europa überfluteten, verschlangen sie auch Genuas Selbständigkeit
für ewige Zeiten. Von dem französischen General Massena besetzt, wurde die Stadt
1800 durch die Oesterreicher unter Melas und die verbündete Flotte unter Lord
Keith cernirt und musste sich nach blutiger Gegenwehr und nach den Qualen
einer verheerenden Hungersnoth ergeben. Im Jahre 1805 gelangte die Stadt an
Frankreich und 1815 an das Königreich Sardinien.

Im Gegensatze zu Neapel, dessen Armuth an hervorragenden
und schönen Bauwerken, wie überhaupt an Denkmälern der eigenen
Kunst auffallend ist, geniesst Genua durch die zahlreichen und präch-
tigen Renaissancepalais seines Adels und einige sehr alte Kirchen
einen geschätzten Namen in kunstgeschichtlicher Beziehung. Die Kunst-
periode des Cinque Cento ist hier durch viele hervorragende Werke
des genialen Galeazzo Alessi († 1572), eines Schülers Michel Angelo’s,
reich vertreten. Von seinen Bauten sei der in der Via Garibaldi ge-
legene Palazzo Rosso erwähnt, den die Herzogin von Galliera 1874
der Stadt Genua sammt der reichen Bibliothek und einer kostbaren
Gemäldesammlung als Geschenk gewidmet hat.

Alessi erbaute auch den durch eine stattliche Façade ausge-
zeichneten Palazzo Marcello Durazzo, dessen bedeutende Gemälde-
sammlung „Galleria Durazzo-Pallavicini“ viele alte Meister, wie Rubens,
Van Dyck, Tizian, P. Veronese, Tintoretto u. A. enthält. Genua ge-
noss überhaupt das Glück, Rubens (1607 bis 1608) und später Van
Dyck bei sich beherbergt zu haben. Diese schaffensfrohen Meister hinter-
liessen hier viele herrliche Werke und verewigten auch die Mitglieder
der genuesischen Adelsfamilien jener Zeit.

Hier inmitten des die Kunst pflegenden Reichthums fanden gleich-
falls die berühmtesten Vertreter und Träger der venetianischen Schule

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0386" n="366"/><fw place="top" type="header">Das Mittelmeerbecken.</fw><lb/>
Höhe herab. In der Folge büsste es sogar die eigene Selbständigkeit ein, nach<lb/>
dem die Könige von Neapel und Frankreich, die Markgrafen von Montferrat und<lb/>
die Herzoge von Mailand abwechselnd zur Oberherrschaft von Genua gelangten.</p><lb/>
          <p>Endlose Verschwörungen und blutiger Zwist, sowie die Kämpfe der Gross-<lb/>
mächte, deren Spielball Genua geworden war, beraubten die Stadt jeder ruhigen<lb/>
Entwicklung.</p><lb/>
          <p>Der hochstrebende Andrea Doria, &#x201E;il padre della patria&#x201C;, der berühmte<lb/>
Admiral Karl V. raffte 1528 die Kraft des Staates auf und schüttelte das fran-<lb/>
zösische Joch ab. Er begründete eine neue oligarchische Verfassung und stellte<lb/>
dadurch Ordnung und Ruhe her, gegen welche die Verschwörung des Fiesco (1547)<lb/>
erfolglos blieb.</p><lb/>
          <p>Nun aber waren die Besitzungen im Oriente den anstürmenden Osmanen<lb/>
zugefallen, die mächtigen Nachbarstaaten der Republik bedrängten ihr Gebiet<lb/>
immer mehr, 1684 rückten die Franzosen in Genua ein, dessen Kraft und Ansehen<lb/>
nicht mehr ausreichte, sich selbst zu schützen. Es verkaufte schliesslich 1768,<lb/>
wenige Wochen, nachdem Napoleon Bonaparte zu Ajaccio geboren war, Corsica<lb/>
an Frankreich um 30 Millionen Francs, und als die Wogen der französischen Re-<lb/>
volution ganz Europa überfluteten, verschlangen sie auch Genuas Selbständigkeit<lb/>
für ewige Zeiten. Von dem französischen General Massena besetzt, wurde die Stadt<lb/>
1800 durch die Oesterreicher unter Melas und die verbündete Flotte unter Lord<lb/>
Keith cernirt und musste sich nach blutiger Gegenwehr und nach den Qualen<lb/>
einer verheerenden Hungersnoth ergeben. Im Jahre 1805 gelangte die Stadt an<lb/>
Frankreich und 1815 an das Königreich Sardinien.</p><lb/>
          <p>Im Gegensatze zu Neapel, dessen Armuth an hervorragenden<lb/>
und schönen Bauwerken, wie überhaupt an Denkmälern der eigenen<lb/>
Kunst auffallend ist, geniesst Genua durch die zahlreichen und präch-<lb/>
tigen Renaissancepalais seines Adels und einige sehr alte Kirchen<lb/>
einen geschätzten Namen in kunstgeschichtlicher Beziehung. Die Kunst-<lb/>
periode des Cinque Cento ist hier durch viele hervorragende Werke<lb/>
des genialen Galeazzo Alessi (&#x2020; 1572), eines Schülers Michel Angelo&#x2019;s,<lb/>
reich vertreten. Von seinen Bauten sei der in der Via Garibaldi ge-<lb/>
legene Palazzo Rosso erwähnt, den die Herzogin von Galliera 1874<lb/>
der Stadt Genua sammt der reichen Bibliothek und einer kostbaren<lb/>
Gemäldesammlung als Geschenk gewidmet hat.</p><lb/>
          <p>Alessi erbaute auch den durch eine stattliche Façade ausge-<lb/>
zeichneten Palazzo Marcello Durazzo, dessen bedeutende Gemälde-<lb/>
sammlung &#x201E;Galleria Durazzo-Pallavicini&#x201C; viele alte Meister, wie Rubens,<lb/>
Van Dyck, Tizian, P. Veronese, Tintoretto u. A. enthält. Genua ge-<lb/>
noss überhaupt das Glück, Rubens (1607 bis 1608) und später Van<lb/>
Dyck bei sich beherbergt zu haben. Diese schaffensfrohen Meister hinter-<lb/>
liessen hier viele herrliche Werke und verewigten auch die Mitglieder<lb/>
der genuesischen Adelsfamilien jener Zeit.</p><lb/>
          <p>Hier inmitten des die Kunst pflegenden Reichthums fanden gleich-<lb/>
falls die berühmtesten Vertreter und Träger der venetianischen Schule<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[366/0386] Das Mittelmeerbecken. Höhe herab. In der Folge büsste es sogar die eigene Selbständigkeit ein, nach dem die Könige von Neapel und Frankreich, die Markgrafen von Montferrat und die Herzoge von Mailand abwechselnd zur Oberherrschaft von Genua gelangten. Endlose Verschwörungen und blutiger Zwist, sowie die Kämpfe der Gross- mächte, deren Spielball Genua geworden war, beraubten die Stadt jeder ruhigen Entwicklung. Der hochstrebende Andrea Doria, „il padre della patria“, der berühmte Admiral Karl V. raffte 1528 die Kraft des Staates auf und schüttelte das fran- zösische Joch ab. Er begründete eine neue oligarchische Verfassung und stellte dadurch Ordnung und Ruhe her, gegen welche die Verschwörung des Fiesco (1547) erfolglos blieb. Nun aber waren die Besitzungen im Oriente den anstürmenden Osmanen zugefallen, die mächtigen Nachbarstaaten der Republik bedrängten ihr Gebiet immer mehr, 1684 rückten die Franzosen in Genua ein, dessen Kraft und Ansehen nicht mehr ausreichte, sich selbst zu schützen. Es verkaufte schliesslich 1768, wenige Wochen, nachdem Napoleon Bonaparte zu Ajaccio geboren war, Corsica an Frankreich um 30 Millionen Francs, und als die Wogen der französischen Re- volution ganz Europa überfluteten, verschlangen sie auch Genuas Selbständigkeit für ewige Zeiten. Von dem französischen General Massena besetzt, wurde die Stadt 1800 durch die Oesterreicher unter Melas und die verbündete Flotte unter Lord Keith cernirt und musste sich nach blutiger Gegenwehr und nach den Qualen einer verheerenden Hungersnoth ergeben. Im Jahre 1805 gelangte die Stadt an Frankreich und 1815 an das Königreich Sardinien. Im Gegensatze zu Neapel, dessen Armuth an hervorragenden und schönen Bauwerken, wie überhaupt an Denkmälern der eigenen Kunst auffallend ist, geniesst Genua durch die zahlreichen und präch- tigen Renaissancepalais seines Adels und einige sehr alte Kirchen einen geschätzten Namen in kunstgeschichtlicher Beziehung. Die Kunst- periode des Cinque Cento ist hier durch viele hervorragende Werke des genialen Galeazzo Alessi († 1572), eines Schülers Michel Angelo’s, reich vertreten. Von seinen Bauten sei der in der Via Garibaldi ge- legene Palazzo Rosso erwähnt, den die Herzogin von Galliera 1874 der Stadt Genua sammt der reichen Bibliothek und einer kostbaren Gemäldesammlung als Geschenk gewidmet hat. Alessi erbaute auch den durch eine stattliche Façade ausge- zeichneten Palazzo Marcello Durazzo, dessen bedeutende Gemälde- sammlung „Galleria Durazzo-Pallavicini“ viele alte Meister, wie Rubens, Van Dyck, Tizian, P. Veronese, Tintoretto u. A. enthält. Genua ge- noss überhaupt das Glück, Rubens (1607 bis 1608) und später Van Dyck bei sich beherbergt zu haben. Diese schaffensfrohen Meister hinter- liessen hier viele herrliche Werke und verewigten auch die Mitglieder der genuesischen Adelsfamilien jener Zeit. Hier inmitten des die Kunst pflegenden Reichthums fanden gleich- falls die berühmtesten Vertreter und Träger der venetianischen Schule

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/386
Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/386>, abgerufen am 17.05.2024.