genannte Piazza del Plebiscito und dessen vornehmstes Gebäude die von Ferdinand I. 1817 im Bau begonnene und 1831 beendigte Kirche St. Francisco di Paolo, eine Nachahmung des Pantheons zu Rom, die mit vielen kostbaren Gemälden und Sculpturen ausgestattet. Den Platz flankirt das grosse sehenswerthe königliche Palais, dessen erster Bau aus dem Jahre 1600 stammt. Die Mitte des Platzes nimmt ein Springbrunnen mit Hochstrahl ein. An das Palais austossend ist das weltberühmte Theater S. Carlo und gegenüber demselben ist letzter- zeit der grosse gedeckte Bazar Galleria Umberto I. entstanden.
Neapel ist auch reich an herrlichen Promenaden, unter welchen unstreitig der palmengeschmückten Villa nazionale am Strande west- lich des Eicastells (Castell dell' Ovo) der Vorrang gebührt. Hier herrscht denn auch zu allen Tageszeiten und bis in die tiefe Nacht hinein ein reges Leben, und geniesst man von hier aus das bezau- bernde Bild des unvergleichlichen Golfes. In den blühenden Anlagen der Villa nazionale haben unter anderen Zierden auch zwei Virgil und Tasso gewidmete Tempel von reizenden Formen Platz gefunden.
Von hier aus gelangt man auf der Strasse Riviera di Chiaja westwärts zu den beiden Grotten von Posilipo, in deren Nähe der ausgedehnte um die Höhe des Castells S. Elmo in vielen Windungen und stellenweise auf Viaducten geführte Corso Vittorio Emanuele aus- mündet. Er umspannt gleichzeitig die westlich des genannten Castells liegende mit prächtigen Gärten und Villen bedeckten Höhen. Sowohl zum Castell wie zu den Villen führt je eine Drahtseilbahn. Dort oben ist in gesunder Lage ein neuer Stadttheil im Entstehen begriffen.
Mit den alten finsteren Spelunken verschwindet auch jener "classische Pöbel" Neapels, der, von Dichtern und Malern ge- feiert, in einer Bedürfnisslosigkeit, aber auch in einer Armuth und geistigen Verrohung dahin lebte, welche wir Nordländer einfach nicht zu denken vermögen, jene Individuen, die mit 10 Centesimi einen Tag leben, die nur wenige Stunden in der Woche arbeiten, den Erlös dieser Thätigkeit in die Lotterie tragen, aber auch bereit waren, den Dolch gegen gute Bezahlung Jedem zur Verfügung zu stellen.
Reich an Anregungen jeder Art, interessant durch das eigen- thümliche Volksleben, das sich namentlich in Santa Lucia am Fusse des Pizzofalcone in seiner ganzen Einfalt und Ursprünglichkeit preis- gibt, anziehend und sympathisch durch den modernen Geist, der hier nach jahrhundertelanger Unterdrückung endlich seine Schwingen zu entfalten beginnt, ist Neapel einer der hervorragendsten und meist besuchten Wallfahrtsorte der Gebildeten des Erdenrundes geworden
Neapel.
genannte Piazza del Plebiscito und dessen vornehmstes Gebäude die von Ferdinand I. 1817 im Bau begonnene und 1831 beendigte Kirche St. Francisco di Paolo, eine Nachahmung des Pantheons zu Rom, die mit vielen kostbaren Gemälden und Sculpturen ausgestattet. Den Platz flankirt das grosse sehenswerthe königliche Palais, dessen erster Bau aus dem Jahre 1600 stammt. Die Mitte des Platzes nimmt ein Springbrunnen mit Hochstrahl ein. An das Palais austossend ist das weltberühmte Theater S. Carlo und gegenüber demselben ist letzter- zeit der grosse gedeckte Bazar Galleria Umberto I. entstanden.
Neapel ist auch reich an herrlichen Promenaden, unter welchen unstreitig der palmengeschmückten Villa nazionale am Strande west- lich des Eicastells (Castell dell’ Ovo) der Vorrang gebührt. Hier herrscht denn auch zu allen Tageszeiten und bis in die tiefe Nacht hinein ein reges Leben, und geniesst man von hier aus das bezau- bernde Bild des unvergleichlichen Golfes. In den blühenden Anlagen der Villa nazionale haben unter anderen Zierden auch zwei Virgil und Tasso gewidmete Tempel von reizenden Formen Platz gefunden.
Von hier aus gelangt man auf der Strasse Riviera di Chiaja westwärts zu den beiden Grotten von Posilipo, in deren Nähe der ausgedehnte um die Höhe des Castells S. Elmo in vielen Windungen und stellenweise auf Viaducten geführte Corso Vittorio Emanuele aus- mündet. Er umspannt gleichzeitig die westlich des genannten Castells liegende mit prächtigen Gärten und Villen bedeckten Höhen. Sowohl zum Castell wie zu den Villen führt je eine Drahtseilbahn. Dort oben ist in gesunder Lage ein neuer Stadttheil im Entstehen begriffen.
Mit den alten finsteren Spelunken verschwindet auch jener „classische Pöbel“ Neapels, der, von Dichtern und Malern ge- feiert, in einer Bedürfnisslosigkeit, aber auch in einer Armuth und geistigen Verrohung dahin lebte, welche wir Nordländer einfach nicht zu denken vermögen, jene Individuen, die mit 10 Centesimi einen Tag leben, die nur wenige Stunden in der Woche arbeiten, den Erlös dieser Thätigkeit in die Lotterie tragen, aber auch bereit waren, den Dolch gegen gute Bezahlung Jedem zur Verfügung zu stellen.
Reich an Anregungen jeder Art, interessant durch das eigen- thümliche Volksleben, das sich namentlich in Santa Lucia am Fusse des Pizzofalcone in seiner ganzen Einfalt und Ursprünglichkeit preis- gibt, anziehend und sympathisch durch den modernen Geist, der hier nach jahrhundertelanger Unterdrückung endlich seine Schwingen zu entfalten beginnt, ist Neapel einer der hervorragendsten und meist besuchten Wallfahrtsorte der Gebildeten des Erdenrundes geworden
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Neapel.
genannte Piazza del Plebiscito und dessen vornehmstes Gebäude die
von Ferdinand I. 1817 im Bau begonnene und 1831 beendigte Kirche
St. Francisco di Paolo, eine Nachahmung des Pantheons zu Rom,
die mit vielen kostbaren Gemälden und Sculpturen ausgestattet. Den
Platz flankirt das grosse sehenswerthe königliche Palais, dessen erster
Bau aus dem Jahre 1600 stammt. Die Mitte des Platzes nimmt ein
Springbrunnen mit Hochstrahl ein. An das Palais austossend ist das
weltberühmte Theater S. Carlo und gegenüber demselben ist letzter-
zeit der grosse gedeckte Bazar Galleria Umberto I. entstanden.
Neapel ist auch reich an herrlichen Promenaden, unter welchen
unstreitig der palmengeschmückten Villa nazionale am Strande west-
lich des Eicastells (Castell dell’ Ovo) der Vorrang gebührt. Hier
herrscht denn auch zu allen Tageszeiten und bis in die tiefe Nacht
hinein ein reges Leben, und geniesst man von hier aus das bezau-
bernde Bild des unvergleichlichen Golfes. In den blühenden Anlagen
der Villa nazionale haben unter anderen Zierden auch zwei Virgil
und Tasso gewidmete Tempel von reizenden Formen Platz gefunden.
Von hier aus gelangt man auf der Strasse Riviera di Chiaja
westwärts zu den beiden Grotten von Posilipo, in deren Nähe der
ausgedehnte um die Höhe des Castells S. Elmo in vielen Windungen
und stellenweise auf Viaducten geführte Corso Vittorio Emanuele aus-
mündet. Er umspannt gleichzeitig die westlich des genannten Castells
liegende mit prächtigen Gärten und Villen bedeckten Höhen. Sowohl
zum Castell wie zu den Villen führt je eine Drahtseilbahn. Dort oben
ist in gesunder Lage ein neuer Stadttheil im Entstehen begriffen.
Mit den alten finsteren Spelunken verschwindet auch jener
„classische Pöbel“ Neapels, der, von Dichtern und Malern ge-
feiert, in einer Bedürfnisslosigkeit, aber auch in einer Armuth und
geistigen Verrohung dahin lebte, welche wir Nordländer einfach nicht
zu denken vermögen, jene Individuen, die mit 10 Centesimi einen
Tag leben, die nur wenige Stunden in der Woche arbeiten, den
Erlös dieser Thätigkeit in die Lotterie tragen, aber auch bereit waren,
den Dolch gegen gute Bezahlung Jedem zur Verfügung zu stellen.
Reich an Anregungen jeder Art, interessant durch das eigen-
thümliche Volksleben, das sich namentlich in Santa Lucia am Fusse
des Pizzofalcone in seiner ganzen Einfalt und Ursprünglichkeit preis-
gibt, anziehend und sympathisch durch den modernen Geist, der hier
nach jahrhundertelanger Unterdrückung endlich seine Schwingen zu
entfalten beginnt, ist Neapel einer der hervorragendsten und meist
besuchten Wallfahrtsorte der Gebildeten des Erdenrundes geworden
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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/369>, abgerufen am 24.11.2024.
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