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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Tunis.
Navigazione generale eine Fahrt in der Woche ab Neapel-Palermo mit Tunis
(231 Seemeilen) und eine zweite Neapel-Cagliari-Tunis unterhält. Hervorzuheben
sind noch die englische und die griechische Flagge. Die deutsche ist seit der
Einstellung des directen Verkehres der Slomanlinie fast ganz verschwunden. An
ihre Stelle ist eine dänische Linie getreten, die, von Kopenhagen ausgehend, unter
Anlaufen der belgischen Häfen auch den Verkehr zwischen Tunis und den Schwarzen
Meerhäfen vermittelt. Der Hafen ist der Verbesserung sehr bedürftig und daher
hat man seit 1887 den Ausbau eines Aussenhafens in Goletta unternommen, um
auch grösseren Schiffen die Einfahrt zu ermöglichen.

Wir gehen nun über zur Darstellung der Handelsverhältnisse der Regent-
schaft Tunis, nicht aber des Hafens Goletta, weil uns nur für den Handel des
ganzen Staates Angaben zur Verfügung stehen.

Tunis ist ausschliesslich Ackerbaustaat. In der subtropischen Zone gelegen,
hängt sein Wohl und Wehe davon ab, ob die Winterregen reichlich genug fallen
Missernten sind hier um so gefährlicher, als der eingeborene Araber in guten Jahren
nicht an die Möglichkeit einer schlechteren Zukunft denkt. Im Jahre 1888 verkaufte
der Bauer, um überhaupt leben zu können, seine Geschmeide, welche eingeschmolzen
und nach Europa weiter verkauft wurden. Wegen Mangel an Viehfutter gingen
die Hausthiere massenhaft zu Grunde, und selbst bei guten Ernten wird das Land
Jahre lang brauchen, um sich zu erholen und seine Kaufkraft wieder zu gewinnen.
Niedergang ist also das Merkmal des jetzigen Handels von Tunis.

Für die letzten Jahre stellen sich Einfuhr und Ausfuhr folgendermassen:

[Tabelle]

Nach diesen Tabellen ist wohl die Einfuhr 1888 gestiegen. Aber von dieser
Steigerung entfällt der grössere Theil auf die Einfuhr von Getreide vom Schwarzen
Meere, während die Einfuhr von Manufacturen, diesem Werthmesser für den Wohl-
stand ackerbautreibender Länder, sehr zurückgegangen ist. Diese starke Einfuhr
von Getreide ist als eine vorübergehende aufzufassen, auch Mehl, welches regel-
mässig Marseille liefert, wurde in grösseren Mengen als sonst zugeführt. Vorüber-
gehend ist auch die starke Einfuhr von Viehfutter, Gemüsen und anderen Lebens-
mitteln in den Jahren 1887 und 1888.

Infolge der Hafenbauten zeigt sich 1888 ein Steigen der Einfuhr bei Bau-
holz, welches meist aus Oesterreich-Ungarn, aber über Venedig und Genua auf
italienischen Segelschiffen kommt, bei Eisen und Metallen, bei Maschinen und
Instrumenten. Alle anderen Importwaaren zeigen eine bedeutende Abnahme infolge
der zerrütteten finanziellen Verhältnisse der Bevölkerung. Unter diesen letzteren
Importartikeln spielen Baumwollgewebe und Garne die wichtigste Rolle. Von
Shirtings und T-clothes liefert 65 % England, der Rest von 35 % fällt auf die
anderen Nationen, vorab auf Frankreich. In feinen Stoffen treten auch die Schweiz
und Elsass-Lothringen in Concurrenz.

In Schafwollwaaren dominirt Belgien, dann folgen Frankreich, England,
Deutschland und Oesterreich-Ungarn.

Im besonderen behauptet Deutschland den Markt in Flanellen, in Strumpf-
waaren muss es einen harten Kampf gegen Frankreich bestehen.

Oesterreich-Ungarn beherrscht über Triest und Fiume vollständig den
Markt in Zucker, in Spiritus, der zum Theile aus Deutschland stammt, doch

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Tunis.
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(231 Seemeilen) und eine zweite Neapel-Cagliari-Tunis unterhält. Hervorzuheben
sind noch die englische und die griechische Flagge. Die deutsche ist seit der
Einstellung des directen Verkehres der Slomanlinie fast ganz verschwunden. An
ihre Stelle ist eine dänische Linie getreten, die, von Kopenhagen ausgehend, unter
Anlaufen der belgischen Häfen auch den Verkehr zwischen Tunis und den Schwarzen
Meerhäfen vermittelt. Der Hafen ist der Verbesserung sehr bedürftig und daher
hat man seit 1887 den Ausbau eines Aussenhafens in Goletta unternommen, um
auch grösseren Schiffen die Einfahrt zu ermöglichen.

Wir gehen nun über zur Darstellung der Handelsverhältnisse der Regent-
schaft Tunis, nicht aber des Hafens Goletta, weil uns nur für den Handel des
ganzen Staates Angaben zur Verfügung stehen.

Tunis ist ausschliesslich Ackerbaustaat. In der subtropischen Zone gelegen,
hängt sein Wohl und Wehe davon ab, ob die Winterregen reichlich genug fallen
Missernten sind hier um so gefährlicher, als der eingeborene Araber in guten Jahren
nicht an die Möglichkeit einer schlechteren Zukunft denkt. Im Jahre 1888 verkaufte
der Bauer, um überhaupt leben zu können, seine Geschmeide, welche eingeschmolzen
und nach Europa weiter verkauft wurden. Wegen Mangel an Viehfutter gingen
die Hausthiere massenhaft zu Grunde, und selbst bei guten Ernten wird das Land
Jahre lang brauchen, um sich zu erholen und seine Kaufkraft wieder zu gewinnen.
Niedergang ist also das Merkmal des jetzigen Handels von Tunis.

Für die letzten Jahre stellen sich Einfuhr und Ausfuhr folgendermassen:

[Tabelle]

Nach diesen Tabellen ist wohl die Einfuhr 1888 gestiegen. Aber von dieser
Steigerung entfällt der grössere Theil auf die Einfuhr von Getreide vom Schwarzen
Meere, während die Einfuhr von Manufacturen, diesem Werthmesser für den Wohl-
stand ackerbautreibender Länder, sehr zurückgegangen ist. Diese starke Einfuhr
von Getreide ist als eine vorübergehende aufzufassen, auch Mehl, welches regel-
mässig Marseille liefert, wurde in grösseren Mengen als sonst zugeführt. Vorüber-
gehend ist auch die starke Einfuhr von Viehfutter, Gemüsen und anderen Lebens-
mitteln in den Jahren 1887 und 1888.

Infolge der Hafenbauten zeigt sich 1888 ein Steigen der Einfuhr bei Bau-
holz, welches meist aus Oesterreich-Ungarn, aber über Venedig und Genua auf
italienischen Segelschiffen kommt, bei Eisen und Metallen, bei Maschinen und
Instrumenten. Alle anderen Importwaaren zeigen eine bedeutende Abnahme infolge
der zerrütteten finanziellen Verhältnisse der Bevölkerung. Unter diesen letzteren
Importartikeln spielen Baumwollgewebe und Garne die wichtigste Rolle. Von
Shirtings und T-clothes liefert 65 % England, der Rest von 35 % fällt auf die
anderen Nationen, vorab auf Frankreich. In feinen Stoffen treten auch die Schweiz
und Elsass-Lothringen in Concurrenz.

In Schafwollwaaren dominirt Belgien, dann folgen Frankreich, England,
Deutschland und Oesterreich-Ungarn.

Im besonderen behauptet Deutschland den Markt in Flanellen, in Strumpf-
waaren muss es einen harten Kampf gegen Frankreich bestehen.

Oesterreich-Ungarn beherrscht über Triest und Fiume vollständig den
Markt in Zucker, in Spiritus, der zum Theile aus Deutschland stammt, doch

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[307/0327] Tunis. Navigazione generale eine Fahrt in der Woche ab Neapel-Palermo mit Tunis (231 Seemeilen) und eine zweite Neapel-Cagliari-Tunis unterhält. Hervorzuheben sind noch die englische und die griechische Flagge. Die deutsche ist seit der Einstellung des directen Verkehres der Slomanlinie fast ganz verschwunden. An ihre Stelle ist eine dänische Linie getreten, die, von Kopenhagen ausgehend, unter Anlaufen der belgischen Häfen auch den Verkehr zwischen Tunis und den Schwarzen Meerhäfen vermittelt. Der Hafen ist der Verbesserung sehr bedürftig und daher hat man seit 1887 den Ausbau eines Aussenhafens in Goletta unternommen, um auch grösseren Schiffen die Einfahrt zu ermöglichen. Wir gehen nun über zur Darstellung der Handelsverhältnisse der Regent- schaft Tunis, nicht aber des Hafens Goletta, weil uns nur für den Handel des ganzen Staates Angaben zur Verfügung stehen. Tunis ist ausschliesslich Ackerbaustaat. In der subtropischen Zone gelegen, hängt sein Wohl und Wehe davon ab, ob die Winterregen reichlich genug fallen Missernten sind hier um so gefährlicher, als der eingeborene Araber in guten Jahren nicht an die Möglichkeit einer schlechteren Zukunft denkt. Im Jahre 1888 verkaufte der Bauer, um überhaupt leben zu können, seine Geschmeide, welche eingeschmolzen und nach Europa weiter verkauft wurden. Wegen Mangel an Viehfutter gingen die Hausthiere massenhaft zu Grunde, und selbst bei guten Ernten wird das Land Jahre lang brauchen, um sich zu erholen und seine Kaufkraft wieder zu gewinnen. Niedergang ist also das Merkmal des jetzigen Handels von Tunis. Für die letzten Jahre stellen sich Einfuhr und Ausfuhr folgendermassen: _ Nach diesen Tabellen ist wohl die Einfuhr 1888 gestiegen. Aber von dieser Steigerung entfällt der grössere Theil auf die Einfuhr von Getreide vom Schwarzen Meere, während die Einfuhr von Manufacturen, diesem Werthmesser für den Wohl- stand ackerbautreibender Länder, sehr zurückgegangen ist. Diese starke Einfuhr von Getreide ist als eine vorübergehende aufzufassen, auch Mehl, welches regel- mässig Marseille liefert, wurde in grösseren Mengen als sonst zugeführt. Vorüber- gehend ist auch die starke Einfuhr von Viehfutter, Gemüsen und anderen Lebens- mitteln in den Jahren 1887 und 1888. Infolge der Hafenbauten zeigt sich 1888 ein Steigen der Einfuhr bei Bau- holz, welches meist aus Oesterreich-Ungarn, aber über Venedig und Genua auf italienischen Segelschiffen kommt, bei Eisen und Metallen, bei Maschinen und Instrumenten. Alle anderen Importwaaren zeigen eine bedeutende Abnahme infolge der zerrütteten finanziellen Verhältnisse der Bevölkerung. Unter diesen letzteren Importartikeln spielen Baumwollgewebe und Garne die wichtigste Rolle. Von Shirtings und T-clothes liefert 65 % England, der Rest von 35 % fällt auf die anderen Nationen, vorab auf Frankreich. In feinen Stoffen treten auch die Schweiz und Elsass-Lothringen in Concurrenz. In Schafwollwaaren dominirt Belgien, dann folgen Frankreich, England, Deutschland und Oesterreich-Ungarn. Im besonderen behauptet Deutschland den Markt in Flanellen, in Strumpf- waaren muss es einen harten Kampf gegen Frankreich bestehen. Oesterreich-Ungarn beherrscht über Triest und Fiume vollständig den Markt in Zucker, in Spiritus, der zum Theile aus Deutschland stammt, doch 39*

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/327>, abgerufen am 17.05.2024.