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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Mittelmeerbecken.

Im Westen ist an Pera die Vorstadt Kassim Pascha und an
diese Ters-hane angeschlossen. Zu letzterer gehört das am goldenen
Horn gelegene weitläufige See-Arsenal (E) und die Marine-Schule der
türkischen Flotte. Weiter nordwärts sind die Quartiere von Piri-
Pascha, Hasskiöi und Kalidschi Oglu. Gegenüber der letztgenannten
breiten sich auf der Stambul-Seite die Vorstädte Ejub und Ortak-
schilar
aus.

Die Moschee von Ejub ist für den Mohammedaner die heiligste
Stätte von Stambul, denn sie deckt das Grab des Abu Ejub Khalid-
Ansari, eines Gefährten des Propheten Mohammed. Dort wird bei jeder
Thronbesteigung der Sultan mit dem Schwerte Osmans umgürtet.

Wir haben bisher von der asiatischen Küste des Bosporus nicht
gesprochen. Auch dort umsäumen dicht aneinander gereihte Ortschaften
den von malerisch bewegten Höhenzügen begleiteten Strand.

Skutari oder Üsküdar (Schild), das alte Chrysopolis (Goldstadt),
ist die bedeutendste Vorstadt Constantinopels mit ungefähr 50.000,
fast ausschliesslich mohammedanischen Einwohnern. Mit ihren zahl-
reichen Minareten, den grossartigen Militärbauten am Strande und den
amphitheatralisch am Abhange der Bulgurlu-Höhe aufgebauten Häuser-
massen bietet Skutari einen fesselnden Anblick. Die Stadt hat präch-
tige Moscheen, unter welchen die Büjük Dschami (R) mit einer
schönen Fontaine, die Yeni Dschami (der Sultanin Valide) (S), welche
durch zwei Minarets mit Doppelgallerien auffällt, sehenswerth sind.

Im Süden der Stadt, in welcher das Erhabene mit dem Dürf-
tigen um den Vorrang streitet, liegt in einem ausgedehnten Cypressen-
walde der grossartige Friedhof von Skutari, der grösste des Orients,
mit zahllosen Grabsteinen, deren Alter weit bis in die byzantische
Zeit zurückreicht. Sultan Mahmud wagte es, in dieser Nekropole ein
Grabmal für sein Lieblingspferd zu errichten. Eines der interessante-
sten, der Stadt Skutari vorgelagerten Objecte ist der auf einer kleinen
Felsenklippe erbaute Leander-Thurm (Kis Kalessi, Mädchenthurm),
der gegenwärtig ein Leuchtfeuer trägt und als Signalstation ver-
wendet wird.

Der Name Leander ist von den Franken willkürlich gewählt worden, da ja
der Schauplatz der Sage von Hero und Leander am Hellespont zwischen Sectos
und Abydos gelegen war. Der Thurm hat eine uralte Geschichte. Im Alterthume
hiess die Klippe Damalis, ein althellenischer Name, der an die zu Skutari ver-
storbene Gemahlin des gegen Philipp von Makedonien entsendeten athenischen Feld-
herrn Chares erinnert. Dieser errichtete seiner Gemahlin auf der Klippe ein Mauso-
leum. Die Byzantiner schmückten dasselbe mit einer hohen Säule, die auf Damalis
(Kalb) anspielend das Bildniss einer jungen Kuh trug. Das Denkmal sollte gleich-

Mittelmeerbecken.

Im Westen ist an Pera die Vorstadt Kassim Pascha und an
diese Ters-hane angeschlossen. Zu letzterer gehört das am goldenen
Horn gelegene weitläufige See-Arsenal (E) und die Marine-Schule der
türkischen Flotte. Weiter nordwärts sind die Quartiere von Piri-
Pascha, Hasskiöi und Kalidschi Oglu. Gegenüber der letztgenannten
breiten sich auf der Stambul-Seite die Vorstädte Ejub und Ortak-
schilar
aus.

Die Moschee von Ejub ist für den Mohammedaner die heiligste
Stätte von Stambul, denn sie deckt das Grab des Abu Ejub Khalid-
Ansari, eines Gefährten des Propheten Mohammed. Dort wird bei jeder
Thronbesteigung der Sultan mit dem Schwerte Osmans umgürtet.

Wir haben bisher von der asiatischen Küste des Bosporus nicht
gesprochen. Auch dort umsäumen dicht aneinander gereihte Ortschaften
den von malerisch bewegten Höhenzügen begleiteten Strand.

Skutari oder Üsküdar (Schild), das alte Chrysopolis (Goldstadt),
ist die bedeutendste Vorstadt Constantinopels mit ungefähr 50.000,
fast ausschliesslich mohammedanischen Einwohnern. Mit ihren zahl-
reichen Minareten, den grossartigen Militärbauten am Strande und den
amphitheatralisch am Abhange der Bulgurlu-Höhe aufgebauten Häuser-
massen bietet Skutari einen fesselnden Anblick. Die Stadt hat präch-
tige Moscheen, unter welchen die Büjük Dschami (R) mit einer
schönen Fontaine, die Yeni Dschami (der Sultanin Valide) (S), welche
durch zwei Minarets mit Doppelgallerien auffällt, sehenswerth sind.

Im Süden der Stadt, in welcher das Erhabene mit dem Dürf-
tigen um den Vorrang streitet, liegt in einem ausgedehnten Cypressen-
walde der grossartige Friedhof von Skutari, der grösste des Orients,
mit zahllosen Grabsteinen, deren Alter weit bis in die byzantische
Zeit zurückreicht. Sultan Mahmud wagte es, in dieser Nekropole ein
Grabmal für sein Lieblingspferd zu errichten. Eines der interessante-
sten, der Stadt Skutari vorgelagerten Objecte ist der auf einer kleinen
Felsenklippe erbaute Leander-Thurm (Kis Kalessi, Mädchenthurm),
der gegenwärtig ein Leuchtfeuer trägt und als Signalstation ver-
wendet wird.

Der Name Leander ist von den Franken willkürlich gewählt worden, da ja
der Schauplatz der Sage von Hero und Leander am Hellespont zwischen Sectos
und Abydos gelegen war. Der Thurm hat eine uralte Geschichte. Im Alterthume
hiess die Klippe Damalis, ein althellenischer Name, der an die zu Skutari ver-
storbene Gemahlin des gegen Philipp von Makedonien entsendeten athenischen Feld-
herrn Chares erinnert. Dieser errichtete seiner Gemahlin auf der Klippe ein Mauso-
leum. Die Byzantiner schmückten dasselbe mit einer hohen Säule, die auf Damalis
(Kalb) anspielend das Bildniss einer jungen Kuh trug. Das Denkmal sollte gleich-

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[116/0136] Mittelmeerbecken. Im Westen ist an Pera die Vorstadt Kassim Pascha und an diese Ters-hane angeschlossen. Zu letzterer gehört das am goldenen Horn gelegene weitläufige See-Arsenal (E) und die Marine-Schule der türkischen Flotte. Weiter nordwärts sind die Quartiere von Piri- Pascha, Hasskiöi und Kalidschi Oglu. Gegenüber der letztgenannten breiten sich auf der Stambul-Seite die Vorstädte Ejub und Ortak- schilar aus. Die Moschee von Ejub ist für den Mohammedaner die heiligste Stätte von Stambul, denn sie deckt das Grab des Abu Ejub Khalid- Ansari, eines Gefährten des Propheten Mohammed. Dort wird bei jeder Thronbesteigung der Sultan mit dem Schwerte Osmans umgürtet. Wir haben bisher von der asiatischen Küste des Bosporus nicht gesprochen. Auch dort umsäumen dicht aneinander gereihte Ortschaften den von malerisch bewegten Höhenzügen begleiteten Strand. Skutari oder Üsküdar (Schild), das alte Chrysopolis (Goldstadt), ist die bedeutendste Vorstadt Constantinopels mit ungefähr 50.000, fast ausschliesslich mohammedanischen Einwohnern. Mit ihren zahl- reichen Minareten, den grossartigen Militärbauten am Strande und den amphitheatralisch am Abhange der Bulgurlu-Höhe aufgebauten Häuser- massen bietet Skutari einen fesselnden Anblick. Die Stadt hat präch- tige Moscheen, unter welchen die Büjük Dschami (R) mit einer schönen Fontaine, die Yeni Dschami (der Sultanin Valide) (S), welche durch zwei Minarets mit Doppelgallerien auffällt, sehenswerth sind. Im Süden der Stadt, in welcher das Erhabene mit dem Dürf- tigen um den Vorrang streitet, liegt in einem ausgedehnten Cypressen- walde der grossartige Friedhof von Skutari, der grösste des Orients, mit zahllosen Grabsteinen, deren Alter weit bis in die byzantische Zeit zurückreicht. Sultan Mahmud wagte es, in dieser Nekropole ein Grabmal für sein Lieblingspferd zu errichten. Eines der interessante- sten, der Stadt Skutari vorgelagerten Objecte ist der auf einer kleinen Felsenklippe erbaute Leander-Thurm (Kis Kalessi, Mädchenthurm), der gegenwärtig ein Leuchtfeuer trägt und als Signalstation ver- wendet wird. Der Name Leander ist von den Franken willkürlich gewählt worden, da ja der Schauplatz der Sage von Hero und Leander am Hellespont zwischen Sectos und Abydos gelegen war. Der Thurm hat eine uralte Geschichte. Im Alterthume hiess die Klippe Damalis, ein althellenischer Name, der an die zu Skutari ver- storbene Gemahlin des gegen Philipp von Makedonien entsendeten athenischen Feld- herrn Chares erinnert. Dieser errichtete seiner Gemahlin auf der Klippe ein Mauso- leum. Die Byzantiner schmückten dasselbe mit einer hohen Säule, die auf Damalis (Kalb) anspielend das Bildniss einer jungen Kuh trug. Das Denkmal sollte gleich-

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/136>, abgerufen am 05.05.2024.