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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Constantinopel.
Kaiserreich eilte unterdessen dem Verfalle entgegen, und Verbrechen,
Elend, Feuersbrünste und Hungersnoth, Bürgerkriege, theologische
Streitigkeiten und Metzeleien füllen bis zur Zeit der Kreuzzüge die
Intervalle zwischen den erbitterten Angriffen der Barbaren.

Nun marschirten die gewaltigen Heere der Kreuzfahrer durch
die Stadt, die kaum mehr sich selbst und dem von Fremden über-
fluteten sowie von den Bulgaren und anderen Nachbarn bedrängten
Reiche angehörte. In dieser Verfassung fällt Constantinopel im Jahre
1203 in die Gewalt des blinden Dogen Enrico Dandolo, eines erbit-
terten Feindes der Byzantiner. Von Dandolo wird erzählt, dass, als
er 30 Jahre vorher während eines Krieges als Gesandter den Audienz-
saal des Kaisers betrat, er durch einen Hohlspiegel, welcher die
Sonnenstrahlen scharf reflectirte, ruchlos geblendet worden sei.

Neun Monate hatte die Belagerung durch 40.000 Kreuzfahrer
und 300 venetianische Galeeren gewährt, worauf die eroberte Stadt
unter furchtbarem Gemetzel der Plünderung und Zerstörung anheim-
fiel. Die meisten Prachtwerke aus den Kunstepochen Constantin's,
Justinian's und anderer Kaiser wurden -- auch der Occident hatte
Barbaren -- dabei vernichtet.

Das nun begründete lateinische Kaiserthum hatte nur eine
Lebensdauer von 57 Jahren und endigte 1261 mit der Eroberung
Constantinopels durch den kühnen Handstreich der von Strategopulos
geführten Scharen des zu Nikäe thronenden Kaisers Michael Paläologos.

Bald sollte die steigende Macht der Osmanen, deren Sultane
seit 1360 in Adrianopel residirten, mit eiserner Gewalt in das Schicksal
Constantinopels greifen. Nach einer erfolglosen Belagerung durch
Murad II. im Jahre 1422 erschien 1453 sein Sohn, der ruhmsüch-
tige Mohammed II., mit seinem ganzen Heere und starker Flotte vor
der Stadt, die nur von 8000 Mann vertheidigt war. Zuvor hatte der
Sultan die Feste Rumili Hissar am europäischen Ufer des Bosporus
erbaut, wodurch er letzteren beherrschte.

Während der 50tägigen heldenmüthigen Vertheidigung liess der
Sultan, weil der Eingang zum goldenen Horn und in das Marmara-
Meer durch eine schwere Kette gesperrt und nicht zu erzwingen war,
seine Galeeren auf einer Schleifbahn vom heutigen Top-hane über
den jetzigen Stadttheil Kassim-Pascha in das goldene Horn ziehen
und winden. Am 29. Mai fand der Hauptsturm gegen das Charisius-
Thor -- dort wo der Lykus-Bach (19) die Mauern der Stadt durch-
schneidet -- statt. Trotz des Muthes der Verzweiflung unterlagen die
Christen gegenüber der Tapferkeit der Janitscharen. Constantin, der

Constantinopel.
Kaiserreich eilte unterdessen dem Verfalle entgegen, und Verbrechen,
Elend, Feuersbrünste und Hungersnoth, Bürgerkriege, theologische
Streitigkeiten und Metzeleien füllen bis zur Zeit der Kreuzzüge die
Intervalle zwischen den erbitterten Angriffen der Barbaren.

Nun marschirten die gewaltigen Heere der Kreuzfahrer durch
die Stadt, die kaum mehr sich selbst und dem von Fremden über-
fluteten sowie von den Bulgaren und anderen Nachbarn bedrängten
Reiche angehörte. In dieser Verfassung fällt Constantinopel im Jahre
1203 in die Gewalt des blinden Dogen Enrico Dandolo, eines erbit-
terten Feindes der Byzantiner. Von Dandolo wird erzählt, dass, als
er 30 Jahre vorher während eines Krieges als Gesandter den Audienz-
saal des Kaisers betrat, er durch einen Hohlspiegel, welcher die
Sonnenstrahlen scharf reflectirte, ruchlos geblendet worden sei.

Neun Monate hatte die Belagerung durch 40.000 Kreuzfahrer
und 300 venetianische Galeeren gewährt, worauf die eroberte Stadt
unter furchtbarem Gemetzel der Plünderung und Zerstörung anheim-
fiel. Die meisten Prachtwerke aus den Kunstepochen Constantin’s,
Justinian’s und anderer Kaiser wurden — auch der Occident hatte
Barbaren — dabei vernichtet.

Das nun begründete lateinische Kaiserthum hatte nur eine
Lebensdauer von 57 Jahren und endigte 1261 mit der Eroberung
Constantinopels durch den kühnen Handstreich der von Strategopulos
geführten Scharen des zu Nikäe thronenden Kaisers Michael Paläologos.

Bald sollte die steigende Macht der Osmanen, deren Sultane
seit 1360 in Adrianopel residirten, mit eiserner Gewalt in das Schicksal
Constantinopels greifen. Nach einer erfolglosen Belagerung durch
Murad II. im Jahre 1422 erschien 1453 sein Sohn, der ruhmsüch-
tige Mohammed II., mit seinem ganzen Heere und starker Flotte vor
der Stadt, die nur von 8000 Mann vertheidigt war. Zuvor hatte der
Sultan die Feste Rumili Hissar am europäischen Ufer des Bosporus
erbaut, wodurch er letzteren beherrschte.

Während der 50tägigen heldenmüthigen Vertheidigung liess der
Sultan, weil der Eingang zum goldenen Horn und in das Marmara-
Meer durch eine schwere Kette gesperrt und nicht zu erzwingen war,
seine Galeeren auf einer Schleifbahn vom heutigen Top-hane über
den jetzigen Stadttheil Kassim-Pascha in das goldene Horn ziehen
und winden. Am 29. Mai fand der Hauptsturm gegen das Charisius-
Thor — dort wo der Lykus-Bach (19) die Mauern der Stadt durch-
schneidet — statt. Trotz des Muthes der Verzweiflung unterlagen die
Christen gegenüber der Tapferkeit der Janitscharen. Constantin, der

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[111/0131] Constantinopel. Kaiserreich eilte unterdessen dem Verfalle entgegen, und Verbrechen, Elend, Feuersbrünste und Hungersnoth, Bürgerkriege, theologische Streitigkeiten und Metzeleien füllen bis zur Zeit der Kreuzzüge die Intervalle zwischen den erbitterten Angriffen der Barbaren. Nun marschirten die gewaltigen Heere der Kreuzfahrer durch die Stadt, die kaum mehr sich selbst und dem von Fremden über- fluteten sowie von den Bulgaren und anderen Nachbarn bedrängten Reiche angehörte. In dieser Verfassung fällt Constantinopel im Jahre 1203 in die Gewalt des blinden Dogen Enrico Dandolo, eines erbit- terten Feindes der Byzantiner. Von Dandolo wird erzählt, dass, als er 30 Jahre vorher während eines Krieges als Gesandter den Audienz- saal des Kaisers betrat, er durch einen Hohlspiegel, welcher die Sonnenstrahlen scharf reflectirte, ruchlos geblendet worden sei. Neun Monate hatte die Belagerung durch 40.000 Kreuzfahrer und 300 venetianische Galeeren gewährt, worauf die eroberte Stadt unter furchtbarem Gemetzel der Plünderung und Zerstörung anheim- fiel. Die meisten Prachtwerke aus den Kunstepochen Constantin’s, Justinian’s und anderer Kaiser wurden — auch der Occident hatte Barbaren — dabei vernichtet. Das nun begründete lateinische Kaiserthum hatte nur eine Lebensdauer von 57 Jahren und endigte 1261 mit der Eroberung Constantinopels durch den kühnen Handstreich der von Strategopulos geführten Scharen des zu Nikäe thronenden Kaisers Michael Paläologos. Bald sollte die steigende Macht der Osmanen, deren Sultane seit 1360 in Adrianopel residirten, mit eiserner Gewalt in das Schicksal Constantinopels greifen. Nach einer erfolglosen Belagerung durch Murad II. im Jahre 1422 erschien 1453 sein Sohn, der ruhmsüch- tige Mohammed II., mit seinem ganzen Heere und starker Flotte vor der Stadt, die nur von 8000 Mann vertheidigt war. Zuvor hatte der Sultan die Feste Rumili Hissar am europäischen Ufer des Bosporus erbaut, wodurch er letzteren beherrschte. Während der 50tägigen heldenmüthigen Vertheidigung liess der Sultan, weil der Eingang zum goldenen Horn und in das Marmara- Meer durch eine schwere Kette gesperrt und nicht zu erzwingen war, seine Galeeren auf einer Schleifbahn vom heutigen Top-hane über den jetzigen Stadttheil Kassim-Pascha in das goldene Horn ziehen und winden. Am 29. Mai fand der Hauptsturm gegen das Charisius- Thor — dort wo der Lykus-Bach (19) die Mauern der Stadt durch- schneidet — statt. Trotz des Muthes der Verzweiflung unterlagen die Christen gegenüber der Tapferkeit der Janitscharen. Constantin, der

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/131>, abgerufen am 26.11.2024.