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Lehmann, Rudolf: Deutsche Poetik. München, 1908.

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wiewohl es an geistreichen Lichtern nicht fehlt, nur selten tief und führt ple_015.002
noch seltener zu einer zureichenden Erklärung der poetischen Schöpfungen.

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So ergibt es sich denn als eine innere Notwendigkeit, daß die wissenschaftliche ple_015.004
Poetik zu einem einwandfreieren Verfahren, einer reineren Methode ple_015.005
fortschreiten mußte. Und diese Methode konnte, nach allem vorhergehenden ple_015.006
ist das klar, nur eine im strengeren Sinne des Worts empirische ple_015.007
sein. Sie mußte auf einer unbefangenen, von Spekulation nicht getrübten ple_015.008
untersuchenden Betrachtung des Tatsächlichen beruhen.

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3. Die wissenschaftliche Poetik der Gegenwart.

Als die metaphysische ple_015.010
Spekulation allmählich in Mißkredit kam und an ihrer Stelle die ple_015.011
naturwissenschaftliche und geschichtliche Empirie immer entschiedener die ple_015.012
Herrschaft über das wissenschaftliche Denken antrat, da war es auch um die ple_015.013
Geltung der großen ästhetischen Systeme geschehen. An die Stelle der ple_015.014
"Ästhetik von oben" mußte die "Ästhetik von unten" treten, an die Stelle des ple_015.015
Dogmatismus und der Spekulation die Erfahrung, an die Stelle der Metaphysik ple_015.016
als Deuterin der ästhetischen Erscheinungen die Psychologie. Kunst ple_015.017
und Poesie werden nun, in ihrem allgemeinen Wesen wie in ihren einzelnen ple_015.018
Schöpfungen, nicht mehr durch ein begrifflich abgeleitetes Sollen bestimmt ple_015.019
und aus allgemeinen Zwecken ethischer Art abgeleitet; sie werden vielmehr ple_015.020
als Lebensäußerungen des menschlichen Geistes gefaßt, seinen empirisch ple_015.021
erkennbaren Anlagen und Bedürfnissen entsprungen und den Gesetzen ple_015.022
des Seelenlebens unterworfen, daher nur aus der Erkenntnis dieser ple_015.023
Gesetze, aus dem Einblick in die Kräfte und Vorgänge des Seelenlebens ple_015.024
verständlich. Wie alle künstlerischen, so sind auch die dichterischen Wirkungen ple_015.025
nicht aus absoluten und ein für allemal vorgeschriebenen Eigenschaften ple_015.026
des Kunstwerks an sich, sondern aus der Natur der menschlichen ple_015.027
Seele zu erklären. Die Gesetze der Kunst sind psychologische Gesetze, ple_015.028
die geschichtliche Entwicklung der Poesie beruht auf den Entwicklungsgesetzen ple_015.029
des menschlichen Geistes.

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Die Anfänge einer solchen Betrachtungsart der ästhetischen Vorgänge ple_015.031
liegen weit zurück: sie erscheinen zuerst um die Mitte des 18. Jahrhunderts ple_015.032
in England. Schon Hutcheson1) hatte auf einen "inneren Sinn" als die ple_015.033
Quelle unserer Ideen vom Schönen wie vom Guten hingewiesen, d. h. er ple_015.034
hatte einen psychischen Ursprung für diese Ideen festgestellt und dadurch ple_015.035
die Möglichkeit einer psychologischen Analyse angebahnt. Burke2) ple_015.036
nahm eine solche Analyse an den Grundbegriffen des Schönen und des ple_015.037
Erhabenen vor und führte beide auf bestimmte Seelenzustände des betrachtenden ple_015.038
Menschen zurück. Home endlich unternahm es, mit freilich ple_015.039
sehr unvollkommener Systematik, "den empfindenden Teil der Menschennatur ple_015.040
zu untersuchen und durch Erforschung der angenehmen und unangenehmen

1) ple_015.041
An Inquiry into the original of our ideas of beauty and virtue. London 1720.
2) ple_015.042
A philosophical inquiry into the origin of our ideas of the sublime and the ple_015.043
beautiful. London 1756.

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wiewohl es an geistreichen Lichtern nicht fehlt, nur selten tief und führt ple_015.002
noch seltener zu einer zureichenden Erklärung der poetischen Schöpfungen.

ple_015.003
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untersuchenden Betrachtung des Tatsächlichen beruhen.

ple_015.009
3. Die wissenschaftliche Poetik der Gegenwart.

Als die metaphysische ple_015.010
Spekulation allmählich in Mißkredit kam und an ihrer Stelle die ple_015.011
naturwissenschaftliche und geschichtliche Empirie immer entschiedener die ple_015.012
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Die Anfänge einer solchen Betrachtungsart der ästhetischen Vorgänge ple_015.031
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Zitationshilfe: Lehmann, Rudolf: Deutsche Poetik. München, 1908, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehmann_poetik_1908/29>, abgerufen am 23.11.2024.