Lehmann, Rudolf: Deutsche Poetik. München, 1908.ple_242.001 ple_242.003 ple_242.017 ple_242.022 1) ple_242.041
estin oun tragodia mimesis praxeos spoudaias kai teleias ... di' eleou kai phobou ple_242.042 perainousa ten ton toiouton pathematon katharsin. Poet. c. 5. -- Vgl. auch oben S. 3 f. ple_242.001 ple_242.003 ple_242.017 ple_242.022 1) ple_242.041
ἔστιν οὖν τραγῳδία μίμησις πράξεως σπουδαίας καὶ τελείας ... δι' ἐλέου καὶ φόβου ple_242.042 περαίνουσα τὴν τῶν τοιούτων παθημάτων κάθαρσιν. Poet. c. 5. — Vgl. auch oben S. 3 f. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0256" n="242"/><lb n="ple_242.001"/> und Glücks. Wo das nicht der Fall ist, wo der Held im Kampf um seine <lb n="ple_242.002"/> Selbstbehauptung untergeht, da entsteht <hi rendition="#g">die Tragik.</hi></p> <p><lb n="ple_242.003"/> Wie kann nun ein solcher Vorgang ästhetische Lust erwecken? Das <lb n="ple_242.004"/> ist das Grundproblem für jede Theorie des Tragischen. Denn eben durch <lb n="ple_242.005"/> die ästhetische Lust, die es erregt, unterscheidet sich das Tragische von <lb n="ple_242.006"/> dem einfach Traurigen oder auch Empörenden. Daß Elemente der Unlust <lb n="ple_242.007"/> den ästhetischen Genuß, dem sie beigemischt sind, zu steigern vermögen, <lb n="ple_242.008"/> ja daß eine solche Beimischung jeder größeren dichterischen Schöpfung <lb n="ple_242.009"/> unentbehrlich ist, das ist uns schon in einem früheren Abschnitt (S. 110) <lb n="ple_242.010"/> entgegengetreten. Allein wenn wir Wertvolles zugrunde gehen sehen, <lb n="ple_242.011"/> wenn ein Held, der unser menschliches Interesse erregt, der unsere Sympathie <lb n="ple_242.012"/> oder Bewunderung erweckt, in Leiden und Kampf sich aufreibt, <lb n="ple_242.013"/> so müßte das so eindeutige, entschiedene Unlustempfindungen erregen, daß <lb n="ple_242.014"/> es zunächst unverständlich bleibt, wie aus ihnen irgendwelches Vergnügen <lb n="ple_242.015"/> hervorgehen kann. Was also, müssen wir mit Schiller fragen, ist der <lb n="ple_242.016"/> „<hi rendition="#g">Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen?</hi>“</p> <p><lb n="ple_242.017"/> Das Wesen des Tragischen ist eines der am meisten behandelten und <lb n="ple_242.018"/> umstrittenen Probleme der Ästhetik. Unendlich viel ist darüber geschrieben, <lb n="ple_242.019"/> aber die meisten und geschichtlich bedeutendsten Untersuchungen über <lb n="ple_242.020"/> den Gegenstand fassen die eben gestellten Grundfragen nicht scharf genug <lb n="ple_242.021"/> ins Auge oder halten sie doch nicht entschieden genug als Mittelpunkt fest.</p> <p><lb n="ple_242.022"/> Aristoteles hat sich in seiner berühmten Definition der Tragödie<note xml:id="ple_242_1" place="foot" n="1)"><lb n="ple_242.041"/> ἔστιν οὖν τραγῳδία μίμησις πράξεως σπουδαίας καὶ τελείας ... δι' ἐλέου καὶ φόβου <lb n="ple_242.042"/> περαίνουσα τὴν τῶν τοιούτων παθημάτων κάθαρσιν. Poet. c. 5. — Vgl. auch oben S. 3 f.</note> so <lb n="ple_242.023"/> ausschließlich an die psyschologischen Wirkungen gehalten, daß er den <lb n="ple_242.024"/> objektiven Inhalt der tragischen Dichtung überhaupt nicht berücksichtigt. <lb n="ple_242.025"/> Diese Wirkungen sind bei ihm Mitleid, Furcht und die durch beide hervorgebrachte <lb n="ple_242.026"/> Katharsis. Die letztere, lange Zeit ein rätselhafter und viel umstrittener <lb n="ple_242.027"/> Begriff, ist erst vor wenigen Jahrzehnten durch Bernays' kritische <lb n="ple_242.028"/> Untersuchungen einigermaßen geklärt: es ist ein medizinischer Terminus, <lb n="ple_242.029"/> der <hi rendition="#g">Entladung</hi> bedeutet. Durch die Erregung von Furcht und Mitleid <lb n="ple_242.030"/> wird eine Entladung von diesen Affekten hervorgebracht. Das ist auch jetzt <lb n="ple_242.031"/> noch nicht in allen Einzelheiten klar, aber so viel scheint sicher zu sein, <lb n="ple_242.032"/> daß Aristoteles die Unlustgefühle der Furcht und des Mitleids als die <lb n="ple_242.033"/> Grundlage ansieht, aus der das Lustgefühl der Erleichterung und Befreiung <lb n="ple_242.034"/> hervorgeht. Hiernach würde schon er das Problem in seiner Eigenart <lb n="ple_242.035"/> erfaßt und in seiner Weise zu lösen gesucht haben. Da aber seine Definition, <lb n="ple_242.036"/> wie gesagt, auf das objektive Wesen des Tragischen gar nicht eingeht, <lb n="ple_242.037"/> so ist sie, so paradox es klingen mag, für die Ästhetik nicht eben <lb n="ple_242.038"/> fruchtbar gewesen, oder doch nur, indem sie einen immer erneuten Streit <lb n="ple_242.039"/> der Meinungen angeregt und hierdurch das Nachdenken über das Problem <lb n="ple_242.040"/> gefördert hat. Als nämlich die französischen und deutschen Klassiker </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [242/0256]
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und Glücks. Wo das nicht der Fall ist, wo der Held im Kampf um seine ple_242.002
Selbstbehauptung untergeht, da entsteht die Tragik.
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Wie kann nun ein solcher Vorgang ästhetische Lust erwecken? Das ple_242.004
ist das Grundproblem für jede Theorie des Tragischen. Denn eben durch ple_242.005
die ästhetische Lust, die es erregt, unterscheidet sich das Tragische von ple_242.006
dem einfach Traurigen oder auch Empörenden. Daß Elemente der Unlust ple_242.007
den ästhetischen Genuß, dem sie beigemischt sind, zu steigern vermögen, ple_242.008
ja daß eine solche Beimischung jeder größeren dichterischen Schöpfung ple_242.009
unentbehrlich ist, das ist uns schon in einem früheren Abschnitt (S. 110) ple_242.010
entgegengetreten. Allein wenn wir Wertvolles zugrunde gehen sehen, ple_242.011
wenn ein Held, der unser menschliches Interesse erregt, der unsere Sympathie ple_242.012
oder Bewunderung erweckt, in Leiden und Kampf sich aufreibt, ple_242.013
so müßte das so eindeutige, entschiedene Unlustempfindungen erregen, daß ple_242.014
es zunächst unverständlich bleibt, wie aus ihnen irgendwelches Vergnügen ple_242.015
hervorgehen kann. Was also, müssen wir mit Schiller fragen, ist der ple_242.016
„Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen?“
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Das Wesen des Tragischen ist eines der am meisten behandelten und ple_242.018
umstrittenen Probleme der Ästhetik. Unendlich viel ist darüber geschrieben, ple_242.019
aber die meisten und geschichtlich bedeutendsten Untersuchungen über ple_242.020
den Gegenstand fassen die eben gestellten Grundfragen nicht scharf genug ple_242.021
ins Auge oder halten sie doch nicht entschieden genug als Mittelpunkt fest.
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Aristoteles hat sich in seiner berühmten Definition der Tragödie 1) so ple_242.023
ausschließlich an die psyschologischen Wirkungen gehalten, daß er den ple_242.024
objektiven Inhalt der tragischen Dichtung überhaupt nicht berücksichtigt. ple_242.025
Diese Wirkungen sind bei ihm Mitleid, Furcht und die durch beide hervorgebrachte ple_242.026
Katharsis. Die letztere, lange Zeit ein rätselhafter und viel umstrittener ple_242.027
Begriff, ist erst vor wenigen Jahrzehnten durch Bernays' kritische ple_242.028
Untersuchungen einigermaßen geklärt: es ist ein medizinischer Terminus, ple_242.029
der Entladung bedeutet. Durch die Erregung von Furcht und Mitleid ple_242.030
wird eine Entladung von diesen Affekten hervorgebracht. Das ist auch jetzt ple_242.031
noch nicht in allen Einzelheiten klar, aber so viel scheint sicher zu sein, ple_242.032
daß Aristoteles die Unlustgefühle der Furcht und des Mitleids als die ple_242.033
Grundlage ansieht, aus der das Lustgefühl der Erleichterung und Befreiung ple_242.034
hervorgeht. Hiernach würde schon er das Problem in seiner Eigenart ple_242.035
erfaßt und in seiner Weise zu lösen gesucht haben. Da aber seine Definition, ple_242.036
wie gesagt, auf das objektive Wesen des Tragischen gar nicht eingeht, ple_242.037
so ist sie, so paradox es klingen mag, für die Ästhetik nicht eben ple_242.038
fruchtbar gewesen, oder doch nur, indem sie einen immer erneuten Streit ple_242.039
der Meinungen angeregt und hierdurch das Nachdenken über das Problem ple_242.040
gefördert hat. Als nämlich die französischen und deutschen Klassiker
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ἔστιν οὖν τραγῳδία μίμησις πράξεως σπουδαίας καὶ τελείας ... δι' ἐλέου καὶ φόβου ple_242.042
περαίνουσα τὴν τῶν τοιούτων παθημάτων κάθαρσιν. Poet. c. 5. — Vgl. auch oben S. 3 f.
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