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Lehmann, Rudolf: Deutsche Poetik. München, 1908.

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enthüllt sich dem schärferen Blick als wertvoll und bedeutsam. Im ersteren ple_231.002
Falle entsteht die Satire, im zweiten der Humor.1)

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Ethisches Empfinden als solches kann niemals lächerlich sein oder ple_231.004
erheiternd wirken. Je stärker mithin in beiden Gattungen das sittliche ple_231.005
Gefühl durch den Inhalt oder die Art der Darstellung erregt wird, desto ple_231.006
weniger bleibt von der komischen Wirkung übrig. Der sittliche Affekt ple_231.007
tilgt bisweilen das Gefühl des Komischen so völlig aus, daß nur geringe ple_231.008
Reste davon bemerkbar sind; nicht selten aber ist er verhältnismäßig ple_231.009
schwach, so daß er die komische Kontrastwirkung als solche nicht stört. ple_231.010
Hier liegt der Unterschied zwischen der ernsthaften (pathetischen) und ple_231.011
der scherzenden Satire, zwischen dem scherzhaften und dem ple_231.012
rührenden Humor. Nach dem Gesagten ist es klar, daß diese Unterschiede ple_231.013
graduell, nicht, wie Schiller meinte, absolut sind. Jede Art von ple_231.014
Humor enthält, wenn auch in ungleichen Mischungen, beide Elemente, ple_231.015
und zwischen der Satire, die über die moralischen Gebrechen der Menschen ple_231.016
lächelnd spottet, und derjenigen, die sie mit Skorpionen züchtigt, liegt ple_231.017
wenigstens eine große Reihe vermittelnder Zwischenstufen.

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Die Ästhetiker pflegen zwischen subjektiver und objektiver Komik zu ple_231.019
scheiden, je nachdem das Lächerliche als beabsichtigte Wirkung, mithin ple_231.020
als Witz, oder als ein unbeabsichtigtes Verhalten des Objektes erscheint. ple_231.021
Allein einen wesentlichen Unterschied macht das nicht, wenigstens für die ple_231.022
ästhetische Betrachtung nicht, und wir konnten daher diesen Gesichtspunkt ple_231.023
im vorigen Abschnitt einfach übergehen. Die Situationen, die der Lustspieldichter ple_231.024
schafft, erscheinen objektiv komisch, während sie doch seiner subjektiven ple_231.025
Absicht entspringen; er braucht nicht, aber er kann zugleich ple_231.026
witzige Personen einführen, die das subjektiv Komische als solches vertreten. ple_231.027
Bedeutsamer ist dieser Unterschied der Methode für den Humoristen ple_231.028
und den Satiriker. Die Wertung, von der beide ausgehen, gehört ple_231.029
stets dem Subjekt des Dichters an, sie muß ihm feststehen, bevor er ple_231.030
seine Dichtung schafft. Aber es ist ein wesentlicher Unterschied der ple_231.031
künstlerischen Methode, ob ein Dichter es vermag, diese Wertunterschiede ple_231.032
sich selbst objektiv darstellen und voneinander abheben zu lassen, oder ple_231.033
ob er es für nötig hält, persönlich hervorzutreten und mit seinen eigenen ple_231.034
Worten oder auch durch Reden, die er offensichtlich zu diesem Zweck den ple_231.035
Personen in den Mund legt, sein Werturteil zu verkünden. Viele Humoristen, ple_231.036
wie selbst Jean Paul und Wilhelm Raabe, neigen zu dem letzteren ple_231.037
Verfahren, das bequemer ist. Künstlerisch höher aber steht und ple_231.038
zwingender wirkt die objektive Art, wie sie Dickens und auch Fritz Reuter ple_231.039
eignet. Denn was uns die Betrachtung der epischen Poesie im allgemeinen

1) ple_231.040
Mit Recht sagt Lipps, Komik und Humor S. 163: "Die Komik erhält höhere Bedeutung ple_231.041
erst, wenn Werte, die auch außerhalb der Komik bestehen, in sie eingehen." Er ple_231.042
meint eben sittliche Werte, wendet aber den Gegensatz in dem Folgenden nur zur Erklärung ple_231.043
des Humors an, während ihm die parallele Stellung der Satire entgeht.

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enthüllt sich dem schärferen Blick als wertvoll und bedeutsam. Im ersteren ple_231.002
Falle entsteht die Satire, im zweiten der Humor.1)

ple_231.003
Ethisches Empfinden als solches kann niemals lächerlich sein oder ple_231.004
erheiternd wirken. Je stärker mithin in beiden Gattungen das sittliche ple_231.005
Gefühl durch den Inhalt oder die Art der Darstellung erregt wird, desto ple_231.006
weniger bleibt von der komischen Wirkung übrig. Der sittliche Affekt ple_231.007
tilgt bisweilen das Gefühl des Komischen so völlig aus, daß nur geringe ple_231.008
Reste davon bemerkbar sind; nicht selten aber ist er verhältnismäßig ple_231.009
schwach, so daß er die komische Kontrastwirkung als solche nicht stört. ple_231.010
Hier liegt der Unterschied zwischen der ernsthaften (pathetischen) und ple_231.011
der scherzenden Satire, zwischen dem scherzhaften und dem ple_231.012
rührenden Humor. Nach dem Gesagten ist es klar, daß diese Unterschiede ple_231.013
graduell, nicht, wie Schiller meinte, absolut sind. Jede Art von ple_231.014
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lächelnd spottet, und derjenigen, die sie mit Skorpionen züchtigt, liegt ple_231.017
wenigstens eine große Reihe vermittelnder Zwischenstufen.

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Die Ästhetiker pflegen zwischen subjektiver und objektiver Komik zu ple_231.019
scheiden, je nachdem das Lächerliche als beabsichtigte Wirkung, mithin ple_231.020
als Witz, oder als ein unbeabsichtigtes Verhalten des Objektes erscheint. ple_231.021
Allein einen wesentlichen Unterschied macht das nicht, wenigstens für die ple_231.022
ästhetische Betrachtung nicht, und wir konnten daher diesen Gesichtspunkt ple_231.023
im vorigen Abschnitt einfach übergehen. Die Situationen, die der Lustspieldichter ple_231.024
schafft, erscheinen objektiv komisch, während sie doch seiner subjektiven ple_231.025
Absicht entspringen; er braucht nicht, aber er kann zugleich ple_231.026
witzige Personen einführen, die das subjektiv Komische als solches vertreten. ple_231.027
Bedeutsamer ist dieser Unterschied der Methode für den Humoristen ple_231.028
und den Satiriker. Die Wertung, von der beide ausgehen, gehört ple_231.029
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seine Dichtung schafft. Aber es ist ein wesentlicher Unterschied der ple_231.031
künstlerischen Methode, ob ein Dichter es vermag, diese Wertunterschiede ple_231.032
sich selbst objektiv darstellen und voneinander abheben zu lassen, oder ple_231.033
ob er es für nötig hält, persönlich hervorzutreten und mit seinen eigenen ple_231.034
Worten oder auch durch Reden, die er offensichtlich zu diesem Zweck den ple_231.035
Personen in den Mund legt, sein Werturteil zu verkünden. Viele Humoristen, ple_231.036
wie selbst Jean Paul und Wilhelm Raabe, neigen zu dem letzteren ple_231.037
Verfahren, das bequemer ist. Künstlerisch höher aber steht und ple_231.038
zwingender wirkt die objektive Art, wie sie Dickens und auch Fritz Reuter ple_231.039
eignet. Denn was uns die Betrachtung der epischen Poesie im allgemeinen

1) ple_231.040
Mit Recht sagt Lipps, Komik und Humor S. 163: „Die Komik erhält höhere Bedeutung ple_231.041
erst, wenn Werte, die auch außerhalb der Komik bestehen, in sie eingehen.“ Er ple_231.042
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[231/0245] ple_231.001 enthüllt sich dem schärferen Blick als wertvoll und bedeutsam. Im ersteren ple_231.002 Falle entsteht die Satire, im zweiten der Humor. 1) ple_231.003 Ethisches Empfinden als solches kann niemals lächerlich sein oder ple_231.004 erheiternd wirken. Je stärker mithin in beiden Gattungen das sittliche ple_231.005 Gefühl durch den Inhalt oder die Art der Darstellung erregt wird, desto ple_231.006 weniger bleibt von der komischen Wirkung übrig. Der sittliche Affekt ple_231.007 tilgt bisweilen das Gefühl des Komischen so völlig aus, daß nur geringe ple_231.008 Reste davon bemerkbar sind; nicht selten aber ist er verhältnismäßig ple_231.009 schwach, so daß er die komische Kontrastwirkung als solche nicht stört. ple_231.010 Hier liegt der Unterschied zwischen der ernsthaften (pathetischen) und ple_231.011 der scherzenden Satire, zwischen dem scherzhaften und dem ple_231.012 rührenden Humor. Nach dem Gesagten ist es klar, daß diese Unterschiede ple_231.013 graduell, nicht, wie Schiller meinte, absolut sind. Jede Art von ple_231.014 Humor enthält, wenn auch in ungleichen Mischungen, beide Elemente, ple_231.015 und zwischen der Satire, die über die moralischen Gebrechen der Menschen ple_231.016 lächelnd spottet, und derjenigen, die sie mit Skorpionen züchtigt, liegt ple_231.017 wenigstens eine große Reihe vermittelnder Zwischenstufen. ple_231.018 Die Ästhetiker pflegen zwischen subjektiver und objektiver Komik zu ple_231.019 scheiden, je nachdem das Lächerliche als beabsichtigte Wirkung, mithin ple_231.020 als Witz, oder als ein unbeabsichtigtes Verhalten des Objektes erscheint. ple_231.021 Allein einen wesentlichen Unterschied macht das nicht, wenigstens für die ple_231.022 ästhetische Betrachtung nicht, und wir konnten daher diesen Gesichtspunkt ple_231.023 im vorigen Abschnitt einfach übergehen. Die Situationen, die der Lustspieldichter ple_231.024 schafft, erscheinen objektiv komisch, während sie doch seiner subjektiven ple_231.025 Absicht entspringen; er braucht nicht, aber er kann zugleich ple_231.026 witzige Personen einführen, die das subjektiv Komische als solches vertreten. ple_231.027 Bedeutsamer ist dieser Unterschied der Methode für den Humoristen ple_231.028 und den Satiriker. Die Wertung, von der beide ausgehen, gehört ple_231.029 stets dem Subjekt des Dichters an, sie muß ihm feststehen, bevor er ple_231.030 seine Dichtung schafft. Aber es ist ein wesentlicher Unterschied der ple_231.031 künstlerischen Methode, ob ein Dichter es vermag, diese Wertunterschiede ple_231.032 sich selbst objektiv darstellen und voneinander abheben zu lassen, oder ple_231.033 ob er es für nötig hält, persönlich hervorzutreten und mit seinen eigenen ple_231.034 Worten oder auch durch Reden, die er offensichtlich zu diesem Zweck den ple_231.035 Personen in den Mund legt, sein Werturteil zu verkünden. Viele Humoristen, ple_231.036 wie selbst Jean Paul und Wilhelm Raabe, neigen zu dem letzteren ple_231.037 Verfahren, das bequemer ist. Künstlerisch höher aber steht und ple_231.038 zwingender wirkt die objektive Art, wie sie Dickens und auch Fritz Reuter ple_231.039 eignet. Denn was uns die Betrachtung der epischen Poesie im allgemeinen 1) ple_231.040 Mit Recht sagt Lipps, Komik und Humor S. 163: „Die Komik erhält höhere Bedeutung ple_231.041 erst, wenn Werte, die auch außerhalb der Komik bestehen, in sie eingehen.“ Er ple_231.042 meint eben sittliche Werte, wendet aber den Gegensatz in dem Folgenden nur zur Erklärung ple_231.043 des Humors an, während ihm die parallele Stellung der Satire entgeht.

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Zitationshilfe: Lehmann, Rudolf: Deutsche Poetik. München, 1908, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehmann_poetik_1908/245>, abgerufen am 25.11.2024.