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Lehmann, Rudolf: Deutsche Poetik. München, 1908.

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Die Jahre kommen und gehen, ple_225.002
Geschlechter steigen ins Grab, ple_225.003
Doch nimmer vergeht die Liebe, ple_225.004
Die ich im Herzen hab'.
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Nur einmal noch möcht' ich dich sehen, ple_225.006
Und sinken vor dir aufs Knie, ple_225.007
Und sterbend zu dir sprechen: ple_225.008
"Madam, ich liebe Sie!"

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Die bisher geschilderten komischen Wirkungen beruhen nun zwar ple_225.010
auf dem überraschenden Gegensatz zwischen Erwartung und Erfüllung ple_225.011
und entsprechen somit der Kantschen Definition. Dennoch ist dies nicht ple_225.012
die notwendige Grundform, sondern nur eine, allerdings die wirksamste ple_225.013
Gestalt, in welcher die hier in Rede stehende Gattung des Komischen auftreten ple_225.014
kann. Schon das muß zu denken geben, daß auch hier, wie bei ple_225.015
der Situationskomik, der Zuschauer vor der Bühne keineswegs immer überrascht ple_225.016
zu werden braucht, um eine Wendung lächerlich zu finden. In ple_225.017
Kleists Meisterlustspiel Der zerbrochene Krug sehen wir die Entdeckung ple_225.018
des Sünders Adam lange vorher kommen, ehe die Personen auf der ple_225.019
Bühne sie gemacht haben, und doch tut das der erheiternden Wirkung ple_225.020
nicht den mindesten Eintrag. Wir werden vielmehr ganz allgemein sagen ple_225.021
müssen: überall, wo ein Hohes und Bedeutungsvolles in ein Nichtiges und ple_225.022
Kleines umschlägt oder sich als ein solches enthüllt, wirkt der Gegensatz ple_225.023
komisch.1) Die Überraschung erhöht freilich stets diese Wirkung, ist aber ple_225.024
keineswegs unbedingt nötig, um sie hervorzurufen. Auf den Kontrast ple_225.025
zwischen Hohem und Niedrigem ist fast die ganze Komik des Don Quichote ple_225.026
gestellt. Alles was der törichte Held für groß und bedeutungsvoll hält, ple_225.027
ist in Wahrheit nichtig und gewöhnlich, und der Dichter läßt uns von ple_225.028
vornherein darüber nicht im Zweifel. Gleichwohl versagt ihm die komische ple_225.029
Wirkung nicht. Man lese etwa das Kapitel (T. I, 31), wo Sancho Pansa ple_225.030
über seine Botschaft an Dulcinea von Toboso berichtet: "Du kamst an," ple_225.031
sagte Don Quichote, "womit beschäftigte sich denn die Königin der ple_225.032
Schönheit? Ohne Zweifel fandest du sie, wie sie Perlen aufreihte oder ple_225.033
für ihren gefangenen Ritter ein Sinnbild in Gold stickte?" "So fand ple_225.034
ich sie nicht," antwortete Sancho, "sondern sie worfelte gerade ein ple_225.035
paar Scheffel Weizen auf der Tenne ihres Hauses." "Aber sage mir ple_225.036
weiter, was machte sie mit meinem Brief, als du ihn übergabst? Küßte ple_225.037
sie ihn? Drückte sie ihn an ihre Stirn? Gab sie sonst durch irgend ple_225.038
eine Geberde zu erkennen, wie wert ihr der Brief war? Oder was tat ple_225.039
sie?" "Als ich ihr den Brief geben wollte," sagte Sancho, "stand sie eben ple_225.040
im dicksten Staube, den ein Haufen geworfelten Weizens verursacht hatte.

1) ple_225.041
Daher hat Lipps ganz recht, wenn er (Komik und Humor S. 137) die Kantische ple_225.042
Definition erweitert und den Begriff der Spannung in den der psychischen Disposition ple_225.043
umdeutet.

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Die Jahre kommen und gehen, ple_225.002
Geschlechter steigen ins Grab, ple_225.003
Doch nimmer vergeht die Liebe, ple_225.004
Die ich im Herzen hab'.
ple_225.005
Nur einmal noch möcht' ich dich sehen, ple_225.006
Und sinken vor dir aufs Knie, ple_225.007
Und sterbend zu dir sprechen: ple_225.008
„Madam, ich liebe Sie!“

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Die bisher geschilderten komischen Wirkungen beruhen nun zwar ple_225.010
auf dem überraschenden Gegensatz zwischen Erwartung und Erfüllung ple_225.011
und entsprechen somit der Kantschen Definition. Dennoch ist dies nicht ple_225.012
die notwendige Grundform, sondern nur eine, allerdings die wirksamste ple_225.013
Gestalt, in welcher die hier in Rede stehende Gattung des Komischen auftreten ple_225.014
kann. Schon das muß zu denken geben, daß auch hier, wie bei ple_225.015
der Situationskomik, der Zuschauer vor der Bühne keineswegs immer überrascht ple_225.016
zu werden braucht, um eine Wendung lächerlich zu finden. In ple_225.017
Kleists Meisterlustspiel Der zerbrochene Krug sehen wir die Entdeckung ple_225.018
des Sünders Adam lange vorher kommen, ehe die Personen auf der ple_225.019
Bühne sie gemacht haben, und doch tut das der erheiternden Wirkung ple_225.020
nicht den mindesten Eintrag. Wir werden vielmehr ganz allgemein sagen ple_225.021
müssen: überall, wo ein Hohes und Bedeutungsvolles in ein Nichtiges und ple_225.022
Kleines umschlägt oder sich als ein solches enthüllt, wirkt der Gegensatz ple_225.023
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keineswegs unbedingt nötig, um sie hervorzurufen. Auf den Kontrast ple_225.025
zwischen Hohem und Niedrigem ist fast die ganze Komik des Don Quichote ple_225.026
gestellt. Alles was der törichte Held für groß und bedeutungsvoll hält, ple_225.027
ist in Wahrheit nichtig und gewöhnlich, und der Dichter läßt uns von ple_225.028
vornherein darüber nicht im Zweifel. Gleichwohl versagt ihm die komische ple_225.029
Wirkung nicht. Man lese etwa das Kapitel (T. I, 31), wo Sancho Pansa ple_225.030
über seine Botschaft an Dulcinea von Toboso berichtet: „Du kamst an,“ ple_225.031
sagte Don Quichote, „womit beschäftigte sich denn die Königin der ple_225.032
Schönheit? Ohne Zweifel fandest du sie, wie sie Perlen aufreihte oder ple_225.033
für ihren gefangenen Ritter ein Sinnbild in Gold stickte?“ „So fand ple_225.034
ich sie nicht,“ antwortete Sancho, „sondern sie worfelte gerade ein ple_225.035
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sie ihn? Drückte sie ihn an ihre Stirn? Gab sie sonst durch irgend ple_225.038
eine Geberde zu erkennen, wie wert ihr der Brief war? Oder was tat ple_225.039
sie?“ „Als ich ihr den Brief geben wollte,“ sagte Sancho, „stand sie eben ple_225.040
im dicksten Staube, den ein Haufen geworfelten Weizens verursacht hatte.

1) ple_225.041
Daher hat Lipps ganz recht, wenn er (Komik und Humor S. 137) die Kantische ple_225.042
Definition erweitert und den Begriff der Spannung in den der psychischen Disposition ple_225.043
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Zitationshilfe: Lehmann, Rudolf: Deutsche Poetik. München, 1908, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehmann_poetik_1908/239>, abgerufen am 22.11.2024.