Lehmann, Rudolf: Deutsche Poetik. München, 1908. ple_119.001 Dritter Teil. ple_119.002 Die Gattungen der Poesie. ple_119.003 11. Das Wesen der Lyrik. Was sich in unseren bisherigen Betrachtungen ple_119.004 1) ple_119.028
In seinem ebenso schönen wie lehrreichen Buche: Das Erlebnis und die Dichtung, ple_119.029 Leipzig 1906, S. 273. ple_119.001 Dritter Teil. ple_119.002 Die Gattungen der Poesie. ple_119.003 11. Das Wesen der Lyrik. Was sich in unseren bisherigen Betrachtungen ple_119.004 1) ple_119.028
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Dritter Teil. ple_119.002
Die Gattungen der Poesie.
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11. Das Wesen der Lyrik. Was sich in unseren bisherigen Betrachtungen ple_119.004
über das Wesen der Dichtkunst und ihr Verhältnis zur Sprache ple_119.005
ergeben hat, das zeigt sich am deutlichsten, weil in den einfachsten und ple_119.006
reinsten Linien, in der Lyrik. Poesie ist die Kunst, innere Erlebnisse ple_119.007
in Worten wiederzugeben, in Worten, die der unmittelbare Ausdruck eines ple_119.008
solchen Erlebnisses sind und den Hörer zwingen, dasselbe in sich zu ple_119.009
erneuern. Während es nun in der epischen und dramatischen Poesie ple_119.010
Gestalten und Vorgänge der Außenwelt sind, die in der Dichterphantasie ple_119.011
ein neues Leben empfangen, bleibt die Lyrik ganz und gar im subjektiven ple_119.012
Gefühlsleben des Dichters beschlossen, und nur dieses ist es, was in seinen ple_119.013
Versen zum Ausdruck kommt. Während Epiker und Dramatiker stets auf ple_119.014
Beobachtung und anschauliche Wiedergabe der Außenwelt angewiesen ist, ple_119.015
braucht der Lyriker nur in sein eigenes Inneres hineinzulauschen und auszusprechen, ple_119.016
was ihm da kund wird: die unmittelbare Umsetzung des Gefühlserlebnisses ple_119.017
in Worte ist sein einziges oder doch wesentliches Geschäft, ple_119.018
und die Gestaltungskraft des Dichters äußert sich nur in der schöpferischen ple_119.019
Herrschaft über die Sprache. „Den lyrischen Dichtern“, sagt Dilthey ple_119.020
treffend, 1) „ist gegeben, den stillen Ablauf innerer Zustände, der sonst ple_119.021
von dem Getriebe der äußeren Zwecke gestört und von dem Lärm des ple_119.022
Tages übertönt wird, in sich zu vernehmen, festzuhalten, zum Bewußtsein ple_119.023
zu erheben.“ Auch die Wirkung lyrischer Gedichte ist in einem ple_119.024
weit entschiedeneren Sinne subjektiv, als sie jene anderen Dichtungsgattungen ple_119.025
hervorbringen können: denn der Leser erlebt die dargestellten ple_119.026
Gefühle nicht als die des Dichters, sondern als seine eigenen. Er denkt ple_119.027
bei einem Liebesgedicht an seine Liebe, bei einer Klage über die Vergangenheit
1) ple_119.028
In seinem ebenso schönen wie lehrreichen Buche: Das Erlebnis und die Dichtung, ple_119.029
Leipzig 1906, S. 273.
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