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Ledermann, Frieda: Zur Geschichte der Frauenstimmrechtsbewegung. Berlin, 1918.

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legung des Wortlautes gedacht worden ist, entzieht
sich der Beurteilung. Zweifellos hat man beim Ge-
setzentwurf nebst der Begründung zur preußischen
Wahlrechtsreform an der Prüfung der Frauenwahl-
rechtsfrage nicht vorübergehen können. Die Formu-
lierung des Gesetzes zeigt, daß man der Frauen nur
mit negativem Resultat gedacht hat, indem man die
tatsächlich beabsichtigte Ausschließung der Frauen
vom Wahlrecht nicht einmal erwähnt hat. Nach her-
gebrachter Auffassung wird noch immer "vom all-
gemeinen Wahlrecht", "von jedem Preußen", "vom
ganzen Volk" gesprochen, ohne die Frauen in diesen
Begriff einzubeziehen. Wer sich nicht auf diese rein
formale Tradition beschränkt, wer aufmerksam und
vorurteilslos den Inhalt der Osterbotschaft wie der
Begründung zur preußischen Wahlrechtsvorlage liest,
wird es begreiflich finden, daß die Frauenstimmrecht-
lerinnen daraus ihre überzeugendsten Argumente, ihre
feingeschliffensten Waffen im Kampf um die Neu-
orientierung mit Bezug auf politische Frauenrechte
entlehnen. Unter dem Eindruck dieser Nichtbeach-
tung der weiblichen Glieder des Volkes haben im
Zeichen des Burgfriedens die beiden bürgerlichen
Stimmrechtsorganisationen, der Deutsche Reichsver-
band für Frauenstimmrecht, der Deutsche Frauen-
stimmrechtsbund und die sozialdemokratischen Frauen
Deutschlands eine Protestresolution an den Reichs-
tag und alle Landesparlamente gesandt. In Ver-
sammlungen und Eingaben werden fortgesetzt in
allen Teilen Deutschlands Kundgebungen für die Ge-
währung politischer Frauenrechte veranstaltet. Nach
der ersten Verhandlung im Plenum steht die Wahl-
rechtsvorlage nunmehr in der Kommission des Ab-
geordnetenhauses zur Beratung. Die Stellungnahme
der Parteien zum Frauenwahlrecht zeigte bei den
Beratungen im Plenum im Dezember 1917 einige

legung des Wortlautes gedacht worden ist, entzieht
sich der Beurteilung. Zweifellos hat man beim Ge-
setzentwurf nebst der Begründung zur preußischen
Wahlrechtsreform an der Prüfung der Frauenwahl-
rechtsfrage nicht vorübergehen können. Die Formu-
lierung des Gesetzes zeigt, daß man der Frauen nur
mit negativem Resultat gedacht hat, indem man die
tatsächlich beabsichtigte Ausschließung der Frauen
vom Wahlrecht nicht einmal erwähnt hat. Nach her-
gebrachter Auffassung wird noch immer „vom all-
gemeinen Wahlrecht‟, „von jedem Preußen‟, „vom
ganzen Volk‟ gesprochen, ohne die Frauen in diesen
Begriff einzubeziehen. Wer sich nicht auf diese rein
formale Tradition beschränkt, wer aufmerksam und
vorurteilslos den Inhalt der Osterbotschaft wie der
Begründung zur preußischen Wahlrechtsvorlage liest,
wird es begreiflich finden, daß die Frauenstimmrecht-
lerinnen daraus ihre überzeugendsten Argumente, ihre
feingeschliffensten Waffen im Kampf um die Neu-
orientierung mit Bezug auf politische Frauenrechte
entlehnen. Unter dem Eindruck dieser Nichtbeach-
tung der weiblichen Glieder des Volkes haben im
Zeichen des Burgfriedens die beiden bürgerlichen
Stimmrechtsorganisationen, der Deutsche Reichsver-
band für Frauenstimmrecht, der Deutsche Frauen-
stimmrechtsbund und die sozialdemokratischen Frauen
Deutschlands eine Protestresolution an den Reichs-
tag und alle Landesparlamente gesandt. In Ver-
sammlungen und Eingaben werden fortgesetzt in
allen Teilen Deutschlands Kundgebungen für die Ge-
währung politischer Frauenrechte veranstaltet. Nach
der ersten Verhandlung im Plenum steht die Wahl-
rechtsvorlage nunmehr in der Kommission des Ab-
geordnetenhauses zur Beratung. Die Stellungnahme
der Parteien zum Frauenwahlrecht zeigte bei den
Beratungen im Plenum im Dezember 1917 einige

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[45/0045] legung des Wortlautes gedacht worden ist, entzieht sich der Beurteilung. Zweifellos hat man beim Ge- setzentwurf nebst der Begründung zur preußischen Wahlrechtsreform an der Prüfung der Frauenwahl- rechtsfrage nicht vorübergehen können. Die Formu- lierung des Gesetzes zeigt, daß man der Frauen nur mit negativem Resultat gedacht hat, indem man die tatsächlich beabsichtigte Ausschließung der Frauen vom Wahlrecht nicht einmal erwähnt hat. Nach her- gebrachter Auffassung wird noch immer „vom all- gemeinen Wahlrecht‟, „von jedem Preußen‟, „vom ganzen Volk‟ gesprochen, ohne die Frauen in diesen Begriff einzubeziehen. Wer sich nicht auf diese rein formale Tradition beschränkt, wer aufmerksam und vorurteilslos den Inhalt der Osterbotschaft wie der Begründung zur preußischen Wahlrechtsvorlage liest, wird es begreiflich finden, daß die Frauenstimmrecht- lerinnen daraus ihre überzeugendsten Argumente, ihre feingeschliffensten Waffen im Kampf um die Neu- orientierung mit Bezug auf politische Frauenrechte entlehnen. Unter dem Eindruck dieser Nichtbeach- tung der weiblichen Glieder des Volkes haben im Zeichen des Burgfriedens die beiden bürgerlichen Stimmrechtsorganisationen, der Deutsche Reichsver- band für Frauenstimmrecht, der Deutsche Frauen- stimmrechtsbund und die sozialdemokratischen Frauen Deutschlands eine Protestresolution an den Reichs- tag und alle Landesparlamente gesandt. In Ver- sammlungen und Eingaben werden fortgesetzt in allen Teilen Deutschlands Kundgebungen für die Ge- währung politischer Frauenrechte veranstaltet. Nach der ersten Verhandlung im Plenum steht die Wahl- rechtsvorlage nunmehr in der Kommission des Ab- geordnetenhauses zur Beratung. Die Stellungnahme der Parteien zum Frauenwahlrecht zeigte bei den Beratungen im Plenum im Dezember 1917 einige  

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Zitationshilfe: Ledermann, Frieda: Zur Geschichte der Frauenstimmrechtsbewegung. Berlin, 1918, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ledermann_frauenstimmrechtsbewegung_1918/45>, abgerufen am 25.11.2024.