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Ledermann, Frieda: Zur Geschichte der Frauenstimmrechtsbewegung. Berlin, 1918.

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weil vom Mittelalter bis zur Neuzeit die Gesetzgebung
dem Wortlaut nach an keiner Stelle die Frauen aus-
schloß. Erst 1832 wurde ihnen das Wahlrecht zum
Parlament direkt abgesprochen. Darauf hat diese
Frage seit dem Antrag Stuart Mills bis jetzt das
Parlament immer wieder beschäftigt. Man hat den
Frauen regelmäßig die Erfüllung ihrer Forderungen
versprochen und sie stets von neuem getäuscht. Das
Gesetz über die Zulassung der Frauen ist sechsmal
in zweiter Lesung angenommen worden, aber die
Vorlage wurde absichtlich verschleppt, und auch
hier opferten die Männer ohne Bedenken die Frauen-
forderungen, für die einzutreten sie sich verpflichtet
hatten, um zunächst das Männerwahlrecht zu ändern.
Die letzte Vorlage hatte bei zweimaliger Lesung eine
Majorität gefunden, die Regierung hatte einen Ter-
min zur endgültigen Beschlußfassung zur Verfügung
gestellt, und durch politische Intrigen einiger Partei-
führer wurde die Beratung hintertrieben. Diese Kette
von Enttäuschungen hat die jüngere seit 1902 be-
stehende Stimmrechtsvereinigung, die Women's Social
und Political Union, unter Mrs. Pankhurst schließ-
lich zu jenen unerhörten exzentrischen Missetaten ver-
anlaßt, die vor dem Kriege die Methode der Suffra-
getten bildeten. Leider ist die maßvolle größere und
ältere Stimmrechtsorganisation, die National Union
of Women's Suffrage Societies, seit 1867 unter dem
Vorsitz der 70jährigen Mrs. Fawcett bestehend,
im Auslande weniger bekannt. Dieser Verein hat
sich niemals ein ungesetzliches Vorgehen zuschulden
kommen lassen. 1916 zählte er 42 000 Mitglieder.
Seine Führerinnen haben die Organisation hervor-
ragend ausgebildet. Sie haben sich auch in diesem
Kriege, frei von Chauvinismus, durchaus menschlich
gezeigt, und sie haben mit dem Vorstande des Welt-
bundes für Frauenstimmrecht in London für hilfs-

weil vom Mittelalter bis zur Neuzeit die Gesetzgebung
dem Wortlaut nach an keiner Stelle die Frauen aus-
schloß. Erst 1832 wurde ihnen das Wahlrecht zum
Parlament direkt abgesprochen. Darauf hat diese
Frage seit dem Antrag Stuart Mills bis jetzt das
Parlament immer wieder beschäftigt. Man hat den
Frauen regelmäßig die Erfüllung ihrer Forderungen
versprochen und sie stets von neuem getäuscht. Das
Gesetz über die Zulassung der Frauen ist sechsmal
in zweiter Lesung angenommen worden, aber die
Vorlage wurde absichtlich verschleppt, und auch
hier opferten die Männer ohne Bedenken die Frauen-
forderungen, für die einzutreten sie sich verpflichtet
hatten, um zunächst das Männerwahlrecht zu ändern.
Die letzte Vorlage hatte bei zweimaliger Lesung eine
Majorität gefunden, die Regierung hatte einen Ter-
min zur endgültigen Beschlußfassung zur Verfügung
gestellt, und durch politische Intrigen einiger Partei-
führer wurde die Beratung hintertrieben. Diese Kette
von Enttäuschungen hat die jüngere seit 1902 be-
stehende Stimmrechtsvereinigung, die Women's Social
und Political Union, unter Mrs. Pankhurst schließ-
lich zu jenen unerhörten exzentrischen Missetaten ver-
anlaßt, die vor dem Kriege die Methode der Suffra-
getten bildeten. Leider ist die maßvolle größere und
ältere Stimmrechtsorganisation, die National Union
of Women's Suffrage Societies, seit 1867 unter dem
Vorsitz der 70jährigen Mrs. Fawcett bestehend,
im Auslande weniger bekannt. Dieser Verein hat
sich niemals ein ungesetzliches Vorgehen zuschulden
kommen lassen. 1916 zählte er 42 000 Mitglieder.
Seine Führerinnen haben die Organisation hervor-
ragend ausgebildet. Sie haben sich auch in diesem
Kriege, frei von Chauvinismus, durchaus menschlich
gezeigt, und sie haben mit dem Vorstande des Welt-
bundes für Frauenstimmrecht in London für hilfs-

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[33/0033] weil vom Mittelalter bis zur Neuzeit die Gesetzgebung dem Wortlaut nach an keiner Stelle die Frauen aus- schloß. Erst 1832 wurde ihnen das Wahlrecht zum Parlament direkt abgesprochen. Darauf hat diese Frage seit dem Antrag Stuart Mills bis jetzt das Parlament immer wieder beschäftigt. Man hat den Frauen regelmäßig die Erfüllung ihrer Forderungen versprochen und sie stets von neuem getäuscht. Das Gesetz über die Zulassung der Frauen ist sechsmal in zweiter Lesung angenommen worden, aber die Vorlage wurde absichtlich verschleppt, und auch hier opferten die Männer ohne Bedenken die Frauen- forderungen, für die einzutreten sie sich verpflichtet hatten, um zunächst das Männerwahlrecht zu ändern. Die letzte Vorlage hatte bei zweimaliger Lesung eine Majorität gefunden, die Regierung hatte einen Ter- min zur endgültigen Beschlußfassung zur Verfügung gestellt, und durch politische Intrigen einiger Partei- führer wurde die Beratung hintertrieben. Diese Kette von Enttäuschungen hat die jüngere seit 1902 be- stehende Stimmrechtsvereinigung, die Women's Social und Political Union, unter Mrs. Pankhurst schließ- lich zu jenen unerhörten exzentrischen Missetaten ver- anlaßt, die vor dem Kriege die Methode der Suffra- getten bildeten. Leider ist die maßvolle größere und ältere Stimmrechtsorganisation, die National Union of Women's Suffrage Societies, seit 1867 unter dem Vorsitz der 70jährigen Mrs. Fawcett bestehend, im Auslande weniger bekannt. Dieser Verein hat sich niemals ein ungesetzliches Vorgehen zuschulden kommen lassen. 1916 zählte er 42 000 Mitglieder. Seine Führerinnen haben die Organisation hervor- ragend ausgebildet. Sie haben sich auch in diesem Kriege, frei von Chauvinismus, durchaus menschlich gezeigt, und sie haben mit dem Vorstande des Welt- bundes für Frauenstimmrecht in London für hilfs-  

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2015-06-26T14:08:50Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-06-26T14:08:50Z)

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Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Ledermann, Frieda: Zur Geschichte der Frauenstimmrechtsbewegung. Berlin, 1918, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ledermann_frauenstimmrechtsbewegung_1918/33>, abgerufen am 28.03.2024.