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Ledebur, Adolf: Handbuch der Eisenhüttenkunde. Leipzig, 1884.

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Der Bessemer- und der Thomasprocess.
Das Bad geräth für kurze Zeit ins Kochen, eine lebhafte Flamme
schlägt aus dem Halse hervor. In einzelnen Fällen ist eine heftige
Explosion durch die plötzliche Gasentwickelung hervorgerufen worden.

Die chemische Einwirkung des Zusatzes wurde schon mehrfach
besprochen. Gelöstes Eisenoxydul wird durch den Mangan- und theil-
weise auch durch den Kohlenstoffgehalt des Zusatzes zerstört, der Rest
dieser Körper bleibt im Bade zurück. Silicium kann aus dem Birnen-
futter durch den Mangangehalt des Eisens reducirt werden.

Gewöhnlich kippt man die Birne nach beendigtem Zusatze auf
und bläst noch einige Secunden hindurch, um die Mischung zu be-
fördern. Alsdann wird die zuvor über einem Koksfeuer (auf einigen
Werken über einer Gasflammenfeuerung) zur Rothgluth erhitzte Giess-
pfanne unter die Birne gebracht, worauf die Entleerung der letzteren
durch Kippen erfolgt. Das Ausgiessen des Metalles aus der Pfanne in
die Gussformen erfolgt in der schon bei Besprechung dieser Apparate
erörterten Art und Weise.

2. Das soeben beschriebene Verfahren, in den sechziger Jahren
sehr verbreitet, ist jetzt in seiner ursprünglichen Form selten geworden.
Ein ähnlicher Erfolg aber, wie ihn ein hoher Siliciumgehalt hervorruft,
lässt sich herbeiführen, wenn man das Roheisen beim Schmelzen
stärker überhitzt; der Mehrverbrauch an Koks hierbei wird durch die
geringeren Kosten des siliciumärmeren Roheisens oft reichlich aus-
geglichen.

Häufig hat man das Ziel im Auge, ein silicium- und mangan-
haltiges Enderzeugniss zu erlangen, insbesondere dann, wenn man
gezwungen ist, etwas phosphorhaltige Roheisensorten (0.10--0.15 Proc.
Phosphor) auf schmiedbares Eisen von vorgeschriebener Festigkeit und
Härte zu verarbeiten. Der Phosphorgehalt wirkt dann weniger nach-
theilig auf die Zähigkeit und Elasticität des Eisens ein, wenn man jene
Eigenschaften durch Einführung eines gewissen Silicium- und Mangan-
gehaltes bei niedrigerem Kohlenstoffgehalte als wenn man sie lediglich
durch einen entsprechend hohen Kohlenstoffgehalt im übrigens reinen
Eisen hervorruft (S. 247, 255). Durch Anwendung eines sehr silicium-
und manganreichen Roheisens würde sich dieses Ziel erreichen lassen;
billiger aber gelangt man gewöhnlich zum Zwecke, wenn man ein
weniger siliciumreiches Roheisen von vorn herein so stark überhitzt
(nach Müller auf 1400 Grad C., vermuthlich jedoch liegt in den meisten
Fällen die Temperatur noch etwas höher), dass die Verbrennung des
Kohlenstoffes schon sofort neben derjenigen des Siliciums beginnt.

Man hat diesen Process den deutschen Bessemerprocess
genannt1), obgleich nicht in Abrede zu stellen ist, dass derselbe auch
ausserhalb Deutschlands bereits durch die Praxis ausgebildet war, noch
ehe man die Grundbedingungen desselben vollständig klar erkannt hatte.

Die Eigenthümlichkeiten dieses Verfahrens sind folgende. Ein Roh-
eisen mit etwa 1.3--2 Proc. Silicium und gewöhnlich 1--3 Proc.
Mangan, mitunter weniger, selten mehr, wird im überhitzten Zustande

1) Vergl. unter Literatur: F. C. G. Müller, Untersuchungen über den deut-
schen Bessemerprocess.
Ledebur, Handbuch. 58

Der Bessemer- und der Thomasprocess.
Das Bad geräth für kurze Zeit ins Kochen, eine lebhafte Flamme
schlägt aus dem Halse hervor. In einzelnen Fällen ist eine heftige
Explosion durch die plötzliche Gasentwickelung hervorgerufen worden.

Die chemische Einwirkung des Zusatzes wurde schon mehrfach
besprochen. Gelöstes Eisenoxydul wird durch den Mangan- und theil-
weise auch durch den Kohlenstoffgehalt des Zusatzes zerstört, der Rest
dieser Körper bleibt im Bade zurück. Silicium kann aus dem Birnen-
futter durch den Mangangehalt des Eisens reducirt werden.

Gewöhnlich kippt man die Birne nach beendigtem Zusatze auf
und bläst noch einige Secunden hindurch, um die Mischung zu be-
fördern. Alsdann wird die zuvor über einem Koksfeuer (auf einigen
Werken über einer Gasflammenfeuerung) zur Rothgluth erhitzte Giess-
pfanne unter die Birne gebracht, worauf die Entleerung der letzteren
durch Kippen erfolgt. Das Ausgiessen des Metalles aus der Pfanne in
die Gussformen erfolgt in der schon bei Besprechung dieser Apparate
erörterten Art und Weise.

2. Das soeben beschriebene Verfahren, in den sechziger Jahren
sehr verbreitet, ist jetzt in seiner ursprünglichen Form selten geworden.
Ein ähnlicher Erfolg aber, wie ihn ein hoher Siliciumgehalt hervorruft,
lässt sich herbeiführen, wenn man das Roheisen beim Schmelzen
stärker überhitzt; der Mehrverbrauch an Koks hierbei wird durch die
geringeren Kosten des siliciumärmeren Roheisens oft reichlich aus-
geglichen.

Häufig hat man das Ziel im Auge, ein silicium- und mangan-
haltiges Enderzeugniss zu erlangen, insbesondere dann, wenn man
gezwungen ist, etwas phosphorhaltige Roheisensorten (0.10—0.15 Proc.
Phosphor) auf schmiedbares Eisen von vorgeschriebener Festigkeit und
Härte zu verarbeiten. Der Phosphorgehalt wirkt dann weniger nach-
theilig auf die Zähigkeit und Elasticität des Eisens ein, wenn man jene
Eigenschaften durch Einführung eines gewissen Silicium- und Mangan-
gehaltes bei niedrigerem Kohlenstoffgehalte als wenn man sie lediglich
durch einen entsprechend hohen Kohlenstoffgehalt im übrigens reinen
Eisen hervorruft (S. 247, 255). Durch Anwendung eines sehr silicium-
und manganreichen Roheisens würde sich dieses Ziel erreichen lassen;
billiger aber gelangt man gewöhnlich zum Zwecke, wenn man ein
weniger siliciumreiches Roheisen von vorn herein so stark überhitzt
(nach Müller auf 1400 Grad C., vermuthlich jedoch liegt in den meisten
Fällen die Temperatur noch etwas höher), dass die Verbrennung des
Kohlenstoffes schon sofort neben derjenigen des Siliciums beginnt.

Man hat diesen Process den deutschen Bessemerprocess
genannt1), obgleich nicht in Abrede zu stellen ist, dass derselbe auch
ausserhalb Deutschlands bereits durch die Praxis ausgebildet war, noch
ehe man die Grundbedingungen desselben vollständig klar erkannt hatte.

Die Eigenthümlichkeiten dieses Verfahrens sind folgende. Ein Roh-
eisen mit etwa 1.3—2 Proc. Silicium und gewöhnlich 1—3 Proc.
Mangan, mitunter weniger, selten mehr, wird im überhitzten Zustande

1) Vergl. unter Literatur: F. C. G. Müller, Untersuchungen über den deut-
schen Bessemerprocess.
Ledebur, Handbuch. 58
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[905/0993] Der Bessemer- und der Thomasprocess. Das Bad geräth für kurze Zeit ins Kochen, eine lebhafte Flamme schlägt aus dem Halse hervor. In einzelnen Fällen ist eine heftige Explosion durch die plötzliche Gasentwickelung hervorgerufen worden. Die chemische Einwirkung des Zusatzes wurde schon mehrfach besprochen. Gelöstes Eisenoxydul wird durch den Mangan- und theil- weise auch durch den Kohlenstoffgehalt des Zusatzes zerstört, der Rest dieser Körper bleibt im Bade zurück. Silicium kann aus dem Birnen- futter durch den Mangangehalt des Eisens reducirt werden. Gewöhnlich kippt man die Birne nach beendigtem Zusatze auf und bläst noch einige Secunden hindurch, um die Mischung zu be- fördern. Alsdann wird die zuvor über einem Koksfeuer (auf einigen Werken über einer Gasflammenfeuerung) zur Rothgluth erhitzte Giess- pfanne unter die Birne gebracht, worauf die Entleerung der letzteren durch Kippen erfolgt. Das Ausgiessen des Metalles aus der Pfanne in die Gussformen erfolgt in der schon bei Besprechung dieser Apparate erörterten Art und Weise. 2. Das soeben beschriebene Verfahren, in den sechziger Jahren sehr verbreitet, ist jetzt in seiner ursprünglichen Form selten geworden. Ein ähnlicher Erfolg aber, wie ihn ein hoher Siliciumgehalt hervorruft, lässt sich herbeiführen, wenn man das Roheisen beim Schmelzen stärker überhitzt; der Mehrverbrauch an Koks hierbei wird durch die geringeren Kosten des siliciumärmeren Roheisens oft reichlich aus- geglichen. Häufig hat man das Ziel im Auge, ein silicium- und mangan- haltiges Enderzeugniss zu erlangen, insbesondere dann, wenn man gezwungen ist, etwas phosphorhaltige Roheisensorten (0.10—0.15 Proc. Phosphor) auf schmiedbares Eisen von vorgeschriebener Festigkeit und Härte zu verarbeiten. Der Phosphorgehalt wirkt dann weniger nach- theilig auf die Zähigkeit und Elasticität des Eisens ein, wenn man jene Eigenschaften durch Einführung eines gewissen Silicium- und Mangan- gehaltes bei niedrigerem Kohlenstoffgehalte als wenn man sie lediglich durch einen entsprechend hohen Kohlenstoffgehalt im übrigens reinen Eisen hervorruft (S. 247, 255). Durch Anwendung eines sehr silicium- und manganreichen Roheisens würde sich dieses Ziel erreichen lassen; billiger aber gelangt man gewöhnlich zum Zwecke, wenn man ein weniger siliciumreiches Roheisen von vorn herein so stark überhitzt (nach Müller auf 1400 Grad C., vermuthlich jedoch liegt in den meisten Fällen die Temperatur noch etwas höher), dass die Verbrennung des Kohlenstoffes schon sofort neben derjenigen des Siliciums beginnt. Man hat diesen Process den deutschen Bessemerprocess genannt 1), obgleich nicht in Abrede zu stellen ist, dass derselbe auch ausserhalb Deutschlands bereits durch die Praxis ausgebildet war, noch ehe man die Grundbedingungen desselben vollständig klar erkannt hatte. Die Eigenthümlichkeiten dieses Verfahrens sind folgende. Ein Roh- eisen mit etwa 1.3—2 Proc. Silicium und gewöhnlich 1—3 Proc. Mangan, mitunter weniger, selten mehr, wird im überhitzten Zustande 1) Vergl. unter Literatur: F. C. G. Müller, Untersuchungen über den deut- schen Bessemerprocess. Ledebur, Handbuch. 58

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Zitationshilfe: Ledebur, Adolf: Handbuch der Eisenhüttenkunde. Leipzig, 1884, S. 905. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ledebur_eisenhuettenkunde_1884/993>, abgerufen am 24.05.2024.