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Ledebur, Adolf: Handbuch der Eisenhüttenkunde. Leipzig, 1884.

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Die Walzwerke.
durchmesser immerhin in einem gewissen Verhältnisse zu der Stärke
des Walzstückes stehen, wenn das letztere noch von den Walzen
ergriffen und zwischen ihnen hindurchgeführt werden soll. Es lässt
sich diese Thatsache durch folgende Betrachtung erklären.

An der Stelle, wo das Walzstück die Walzenoberfläche berührt,
wird ein radialer Druck P (Fig. 181) erzeugt, welcher in eine Hori-
zontalkraft Q und eine Verticalkraft R zerlegt gedacht werden kann.
Erstere strebt das Walzstück zurückzu-
stossen, letztere erzeugt Reibung und
vermöge derselben Fortbewegung des
Walzstückes. Je kleiner R ist, desto
grösser fällt Q aus; R verringert sich
aber, wie leicht zu ermessen ist, mit ab-
nehmendem Walzendurchmesser, sofern
der Walzenabstand von einander und die
Stärke des vor die Walzen gebrachten
Walzstückes unverändert bleibt. Es tritt
daher eine Grenze ein, wo die erzeugte
Reibung nicht mehr ausreichend ist, das
Zurückstossen des Walzstückes zu hin-
dern, wo dieses nicht mehr mitgenom-
men wird. Als Erfahrungsregel nimmt
man an, dass der Walzendurchmesser
mindestens 10 mal so gross sein müsse
als die Stärke des Walzstückes vor dem
Durchgange durch die Walzen, oder min-
destens 20 mal so gross als die Stärke
desselben nach dem Durchgange.

[Abbildung] Fig. 181.

Ueber die Vorgänge beim Walzen sind bereits zahlreiche Unter-
suchungen angestellt und Theorien entwickelt worden (vergl. Literatur),
ohne dass der Gegenstand bis jetzt völlig erschöpfend behandelt worden
wäre. Jedenfalls sind diese Vorgänge, insbesondere die Verschiebungen
der Theilchen beim Walzen, etwas anders, wenn das Metall, wie das
Eisen, heiss als wenn es, wie z. B. das Blei, kalt gewalzt wird. Im
ersteren Falle wird die von den kälteren Walzen berührte Aussenfläche
des Walzstückes abgekühlt, sie verliert dadurch an Geschmeidigkeit,
während der Kern weicher bleibt; beim Kaltwalzen fällt dieser Unter-
schied weg. Hieraus erklärt es sich, dass die Enden heiss gewalzter
Metalle einen convexen Rand, kalt gewalzter einen concaven Rand zu
besitzen pflegen. In der Mitte des Walzstückes aber sind in beiden
Fällen, man mag heiss oder kalt walzen, die stattfindenden Ver-
schiebungen im Wesentlichen dieselben; eine diesbezügliche Beobach-
tung lässt sich anstellen, wenn man in dem Walzstücke hindurch-
gehende Stiftchen in genau gleichen Abständen von einander befestigt,
welche rechtwinklig gegen die beiden Oberflächen stehen und genau
mit denselben abschneiden. 1) Der Stab wird dann, nachdem ein Theil

1) Hollenberg benutzte abgedrehte Stiftchen sehnigen Rundeisens 6--7 mm
stark, welche in genau ausgebohrte Löcher des erhitzten Eisenstabes eingetrieben
und somit beim Erkalten desselben fest eingepresst wurden. Der Abstand der Stifte
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Die Walzwerke.
durchmesser immerhin in einem gewissen Verhältnisse zu der Stärke
des Walzstückes stehen, wenn das letztere noch von den Walzen
ergriffen und zwischen ihnen hindurchgeführt werden soll. Es lässt
sich diese Thatsache durch folgende Betrachtung erklären.

An der Stelle, wo das Walzstück die Walzenoberfläche berührt,
wird ein radialer Druck P (Fig. 181) erzeugt, welcher in eine Hori-
zontalkraft Q und eine Verticalkraft R zerlegt gedacht werden kann.
Erstere strebt das Walzstück zurückzu-
stossen, letztere erzeugt Reibung und
vermöge derselben Fortbewegung des
Walzstückes. Je kleiner R ist, desto
grösser fällt Q aus; R verringert sich
aber, wie leicht zu ermessen ist, mit ab-
nehmendem Walzendurchmesser, sofern
der Walzenabstand von einander und die
Stärke des vor die Walzen gebrachten
Walzstückes unverändert bleibt. Es tritt
daher eine Grenze ein, wo die erzeugte
Reibung nicht mehr ausreichend ist, das
Zurückstossen des Walzstückes zu hin-
dern, wo dieses nicht mehr mitgenom-
men wird. Als Erfahrungsregel nimmt
man an, dass der Walzendurchmesser
mindestens 10 mal so gross sein müsse
als die Stärke des Walzstückes vor dem
Durchgange durch die Walzen, oder min-
destens 20 mal so gross als die Stärke
desselben nach dem Durchgange.

[Abbildung] Fig. 181.

Ueber die Vorgänge beim Walzen sind bereits zahlreiche Unter-
suchungen angestellt und Theorien entwickelt worden (vergl. Literatur),
ohne dass der Gegenstand bis jetzt völlig erschöpfend behandelt worden
wäre. Jedenfalls sind diese Vorgänge, insbesondere die Verschiebungen
der Theilchen beim Walzen, etwas anders, wenn das Metall, wie das
Eisen, heiss als wenn es, wie z. B. das Blei, kalt gewalzt wird. Im
ersteren Falle wird die von den kälteren Walzen berührte Aussenfläche
des Walzstückes abgekühlt, sie verliert dadurch an Geschmeidigkeit,
während der Kern weicher bleibt; beim Kaltwalzen fällt dieser Unter-
schied weg. Hieraus erklärt es sich, dass die Enden heiss gewalzter
Metalle einen convexen Rand, kalt gewalzter einen concaven Rand zu
besitzen pflegen. In der Mitte des Walzstückes aber sind in beiden
Fällen, man mag heiss oder kalt walzen, die stattfindenden Ver-
schiebungen im Wesentlichen dieselben; eine diesbezügliche Beobach-
tung lässt sich anstellen, wenn man in dem Walzstücke hindurch-
gehende Stiftchen in genau gleichen Abständen von einander befestigt,
welche rechtwinklig gegen die beiden Oberflächen stehen und genau
mit denselben abschneiden. 1) Der Stab wird dann, nachdem ein Theil

1) Hollenberg benutzte abgedrehte Stiftchen sehnigen Rundeisens 6—7 mm
stark, welche in genau ausgebohrte Löcher des erhitzten Eisenstabes eingetrieben
und somit beim Erkalten desselben fest eingepresst wurden. Der Abstand der Stifte
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[699/0769] Die Walzwerke. durchmesser immerhin in einem gewissen Verhältnisse zu der Stärke des Walzstückes stehen, wenn das letztere noch von den Walzen ergriffen und zwischen ihnen hindurchgeführt werden soll. Es lässt sich diese Thatsache durch folgende Betrachtung erklären. An der Stelle, wo das Walzstück die Walzenoberfläche berührt, wird ein radialer Druck P (Fig. 181) erzeugt, welcher in eine Hori- zontalkraft Q und eine Verticalkraft R zerlegt gedacht werden kann. Erstere strebt das Walzstück zurückzu- stossen, letztere erzeugt Reibung und vermöge derselben Fortbewegung des Walzstückes. Je kleiner R ist, desto grösser fällt Q aus; R verringert sich aber, wie leicht zu ermessen ist, mit ab- nehmendem Walzendurchmesser, sofern der Walzenabstand von einander und die Stärke des vor die Walzen gebrachten Walzstückes unverändert bleibt. Es tritt daher eine Grenze ein, wo die erzeugte Reibung nicht mehr ausreichend ist, das Zurückstossen des Walzstückes zu hin- dern, wo dieses nicht mehr mitgenom- men wird. Als Erfahrungsregel nimmt man an, dass der Walzendurchmesser mindestens 10 mal so gross sein müsse als die Stärke des Walzstückes vor dem Durchgange durch die Walzen, oder min- destens 20 mal so gross als die Stärke desselben nach dem Durchgange. [Abbildung Fig. 181.] Ueber die Vorgänge beim Walzen sind bereits zahlreiche Unter- suchungen angestellt und Theorien entwickelt worden (vergl. Literatur), ohne dass der Gegenstand bis jetzt völlig erschöpfend behandelt worden wäre. Jedenfalls sind diese Vorgänge, insbesondere die Verschiebungen der Theilchen beim Walzen, etwas anders, wenn das Metall, wie das Eisen, heiss als wenn es, wie z. B. das Blei, kalt gewalzt wird. Im ersteren Falle wird die von den kälteren Walzen berührte Aussenfläche des Walzstückes abgekühlt, sie verliert dadurch an Geschmeidigkeit, während der Kern weicher bleibt; beim Kaltwalzen fällt dieser Unter- schied weg. Hieraus erklärt es sich, dass die Enden heiss gewalzter Metalle einen convexen Rand, kalt gewalzter einen concaven Rand zu besitzen pflegen. In der Mitte des Walzstückes aber sind in beiden Fällen, man mag heiss oder kalt walzen, die stattfindenden Ver- schiebungen im Wesentlichen dieselben; eine diesbezügliche Beobach- tung lässt sich anstellen, wenn man in dem Walzstücke hindurch- gehende Stiftchen in genau gleichen Abständen von einander befestigt, welche rechtwinklig gegen die beiden Oberflächen stehen und genau mit denselben abschneiden. 1) Der Stab wird dann, nachdem ein Theil 1) Hollenberg benutzte abgedrehte Stiftchen sehnigen Rundeisens 6—7 mm stark, welche in genau ausgebohrte Löcher des erhitzten Eisenstabes eingetrieben und somit beim Erkalten desselben fest eingepresst wurden. Der Abstand der Stifte 45*

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Zitationshilfe: Ledebur, Adolf: Handbuch der Eisenhüttenkunde. Leipzig, 1884, S. 699. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ledebur_eisenhuettenkunde_1884/769>, abgerufen am 23.07.2024.