Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Sammlung einiger Gebete auf die wichtigsten Angelegenheiten des menschlichen Lebens. Leipzig, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

sem Ernste meiner Besserung noch immer so mannig-
faltig zu straucheln pflege: ach! so verwirf mich nicht!
Trage noch ferner Geduld mit mir Schwachen; leite
mich von einer Vollkommenheit zur andern, und
führe mich durch alle Versuchungen dieser im Argen
liegenden Welt glücklich dahin, wo ich von allen bösen
Wirkungen meiner vorigen Sünden auf ewig befreyt,
dir in unbefleckter Heiligkeit zu dienen fähig seyn
werde! Amen.

Jn Bekümmerniß über irgend eine
muthwillige Sünde.

Jch schäme mich, und scheue mich meine Augen
aufzuheben zu dir, o gerechter, allerheiligster
Gott! zürne nicht, daß ich in meiner Befleckung
mich unterwinde mit dir zu reden! Aber wo soll ich
aufangen die Größe meiner Schuld zu betrachten!
mit welchen Worten soll ich die Abscheulichkeit mei-
ner Missethat ausdrücken? Du hattest mir in deinem
Gesetz und durch die Vernunft deutlich gesagt, was
gut ist; durch die dringendsten Beweguugsgründe
mich aufgefordert, deinem Winke zu gehorchen; ich
wußte deinen Willen, und hab ihn nicht gethan.
Ja Vater! ich habe gesündiget im Himmel und vor
dir; ich bin nicht werth, daß ich dein Kind heiße.
Alle die unzählbaren Wohlthaten, womit du mich
von meiner Jugend an überschüttet hast, konnten mein
böses Herz nicht so ändern, daß es fest an dir geblie-
ben wäre. Die unerforschliche Liebe, nach welcher
du deinen Sohn für mich in den Tod gegeben hast;
seine mühselige Arbeiten für mein Heil, seine zärtli-
chen Vorstellungen, womit er mich suchte, seine
Thränen, die er über die Sünder, auch über
mich vergoß, sein Blut, daß er für mich in dem
schmählichsten Tode versprützte, alles dieß konnte

mein
E 3

ſem Ernſte meiner Beſſerung noch immer ſo mannig-
faltig zu ſtraucheln pflege: ach! ſo verwirf mich nicht!
Trage noch ferner Geduld mit mir Schwachen; leite
mich von einer Vollkommenheit zur andern, und
führe mich durch alle Verſuchungen dieſer im Argen
liegenden Welt glücklich dahin, wo ich von allen böſen
Wirkungen meiner vorigen Sünden auf ewig befreyt,
dir in unbefleckter Heiligkeit zu dienen fähig ſeyn
werde! Amen.

Jn Bekümmerniß über irgend eine
muthwillige Sünde.

Jch ſchäme mich, und ſcheue mich meine Augen
aufzuheben zu dir, o gerechter, allerheiligſter
Gott! zürne nicht, daß ich in meiner Befleckung
mich unterwinde mit dir zu reden! Aber wo ſoll ich
aufangen die Größe meiner Schuld zu betrachten!
mit welchen Worten ſoll ich die Abſcheulichkeit mei-
ner Miſſethat ausdrücken? Du hatteſt mir in deinem
Geſetz und durch die Vernunft deutlich geſagt, was
gut iſt; durch die dringendſten Beweguugsgründe
mich aufgefordert, deinem Winke zu gehorchen; ich
wußte deinen Willen, und hab ihn nicht gethan.
Ja Vater! ich habe geſündiget im Himmel und vor
dir; ich bin nicht werth, daß ich dein Kind heiße.
Alle die unzählbaren Wohlthaten, womit du mich
von meiner Jugend an überſchüttet haſt, konnten mein
böſes Herz nicht ſo ändern, daß es feſt an dir geblie-
ben wäre. Die unerforſchliche Liebe, nach welcher
du deinen Sohn für mich in den Tod gegeben haſt;
ſeine mühſelige Arbeiten für mein Heil, ſeine zärtli-
chen Vorſtellungen, womit er mich ſuchte, ſeine
Thränen, die er über die Sünder, auch über
mich vergoß, ſein Blut, daß er für mich in dem
ſchmählichſten Tode verſprützte, alles dieß konnte

mein
E 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0071" n="69"/>
&#x017F;em Ern&#x017F;te meiner Be&#x017F;&#x017F;erung noch immer &#x017F;o mannig-<lb/>
faltig zu &#x017F;traucheln pflege: ach! &#x017F;o verwirf mich nicht!<lb/>
Trage noch ferner Geduld mit mir Schwachen; leite<lb/>
mich von einer Vollkommenheit zur andern, und<lb/>
führe mich durch alle Ver&#x017F;uchungen die&#x017F;er im Argen<lb/>
liegenden Welt glücklich dahin, wo ich von allen bö&#x017F;en<lb/>
Wirkungen meiner vorigen Sünden auf ewig befreyt,<lb/>
dir in unbefleckter Heiligkeit zu dienen fähig &#x017F;eyn<lb/>
werde! Amen.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Jn Bekümmerniß über irgend eine<lb/>
muthwillige Sünde.</hi> </head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">J</hi>ch &#x017F;chäme mich, und &#x017F;cheue mich meine Augen<lb/>
aufzuheben zu dir, o gerechter, allerheilig&#x017F;ter<lb/>
Gott! zürne nicht, daß ich in meiner Befleckung<lb/>
mich unterwinde mit dir zu reden! Aber wo &#x017F;oll ich<lb/>
aufangen die Größe meiner Schuld zu betrachten!<lb/>
mit welchen Worten &#x017F;oll ich die Ab&#x017F;cheulichkeit mei-<lb/>
ner Mi&#x017F;&#x017F;ethat ausdrücken? Du hatte&#x017F;t mir in deinem<lb/>
Ge&#x017F;etz und durch die Vernunft deutlich ge&#x017F;agt, was<lb/>
gut i&#x017F;t; durch die dringend&#x017F;ten Beweguugsgründe<lb/>
mich aufgefordert, deinem Winke zu gehorchen; ich<lb/>
wußte deinen Willen, und hab ihn nicht gethan.<lb/>
Ja Vater! ich habe ge&#x017F;ündiget im Himmel und vor<lb/>
dir; ich bin nicht werth, daß ich dein Kind heiße.<lb/>
Alle die unzählbaren Wohlthaten, womit du mich<lb/>
von meiner Jugend an über&#x017F;chüttet ha&#x017F;t, konnten mein<lb/>&#x017F;es Herz nicht &#x017F;o ändern, daß es fe&#x017F;t an dir geblie-<lb/>
ben wäre. Die unerfor&#x017F;chliche Liebe, nach welcher<lb/>
du deinen Sohn für mich in den Tod gegeben ha&#x017F;t;<lb/>
&#x017F;eine müh&#x017F;elige Arbeiten für mein Heil, &#x017F;eine zärtli-<lb/>
chen Vor&#x017F;tellungen, womit er mich &#x017F;uchte, &#x017F;eine<lb/>
Thränen, die er über die Sünder, auch über<lb/>
mich vergoß, &#x017F;ein Blut, daß er für mich in dem<lb/>
&#x017F;chmählich&#x017F;ten Tode ver&#x017F;prützte, alles dieß konnte<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E 3</fw><fw place="bottom" type="catch">mein</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[69/0071] ſem Ernſte meiner Beſſerung noch immer ſo mannig- faltig zu ſtraucheln pflege: ach! ſo verwirf mich nicht! Trage noch ferner Geduld mit mir Schwachen; leite mich von einer Vollkommenheit zur andern, und führe mich durch alle Verſuchungen dieſer im Argen liegenden Welt glücklich dahin, wo ich von allen böſen Wirkungen meiner vorigen Sünden auf ewig befreyt, dir in unbefleckter Heiligkeit zu dienen fähig ſeyn werde! Amen. Jn Bekümmerniß über irgend eine muthwillige Sünde. Jch ſchäme mich, und ſcheue mich meine Augen aufzuheben zu dir, o gerechter, allerheiligſter Gott! zürne nicht, daß ich in meiner Befleckung mich unterwinde mit dir zu reden! Aber wo ſoll ich aufangen die Größe meiner Schuld zu betrachten! mit welchen Worten ſoll ich die Abſcheulichkeit mei- ner Miſſethat ausdrücken? Du hatteſt mir in deinem Geſetz und durch die Vernunft deutlich geſagt, was gut iſt; durch die dringendſten Beweguugsgründe mich aufgefordert, deinem Winke zu gehorchen; ich wußte deinen Willen, und hab ihn nicht gethan. Ja Vater! ich habe geſündiget im Himmel und vor dir; ich bin nicht werth, daß ich dein Kind heiße. Alle die unzählbaren Wohlthaten, womit du mich von meiner Jugend an überſchüttet haſt, konnten mein böſes Herz nicht ſo ändern, daß es feſt an dir geblie- ben wäre. Die unerforſchliche Liebe, nach welcher du deinen Sohn für mich in den Tod gegeben haſt; ſeine mühſelige Arbeiten für mein Heil, ſeine zärtli- chen Vorſtellungen, womit er mich ſuchte, ſeine Thränen, die er über die Sünder, auch über mich vergoß, ſein Blut, daß er für mich in dem ſchmählichſten Tode verſprützte, alles dieß konnte mein E 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_sammlung_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_sammlung_1778/71
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Sammlung einiger Gebete auf die wichtigsten Angelegenheiten des menschlichen Lebens. Leipzig, 1778, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_sammlung_1778/71>, abgerufen am 18.12.2024.