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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

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X. Abschnitt. V. Fragment.
10.

Der erste und letzte Gedanke, den ich unter allen Gedanken dieses Werkes meinen Lesern allen unver-
geßlich machen möchte, ist: Es ist kein Menschengesicht so häßlich, in dem nicht noch Züge des göttli-
chen Ebenbildes übrig sind.
Ganz augenscheinliche Mißgeburten ausgenommen, ist jedes Menschengesicht
einer unglaublichen Vervollkommnung fähig, wenn nicht auf seine Unvollkommenheiten, "sondern unmittelbar
"auf seine Vollkommenheiten, seine gesunden Theile gewirkt wird. Laß immer die kranken Theile unberührt --
"sie verbessern sich nie anders, als durch Verbesserung der gesunden. Findest du den guten Punkt eines Ge-
"sichtes,
so wirke auf diejenige Eigenschaft, die er ausdrückt; von diesem Punkt aus geht Gesundheit und Le-
"ben auf alles übrige."

Weisheit zeigt dir, wohin deine Wirkung zielen soll. Güte giebt dir Kraft, dorthin zu wirken.

Fünftes Fragment.
Allerley Mangelndes, Wünschenwürdiges.

Unter unzähligen Dingen, die meinen Fragmenten mangeln, und die ich, nebst denen hin und wieder ange-
zeigten, von einer andern Hand geleistet wünschte -- will ich einige nennen.

1) Jch wünschte ein physiognomisches Wörterbuch -- wo alle Gesichter und Gesichtszüge und Ge-
sichtsformen und Fleisch- und Nervenarten bezeichnende Wörter vorkämen, und genau bestimmt würden -- alle
übersetzbare physiognomische Wörter aus andern Sprachen gesammelt und übersetzt -- alle unübersetzbare na-
tionalisirt würden. Besonders gehörten dahin die Menge idiotische, größtentheils pöbelhafte Schweizerwörter,
von so treffender specieller Bedeutung, desgleichen alle physiognomische Sprüchwörter aus allen Zungen und
Völkern.
2) Eine ausführliche Abhandlung vom Lachen, Weinen, von der Stimme, vom Gesang.
3) Eine umständliche Widerlegung des Helvetius von der natürlichen Gleichgeschicklichkeit aller Men-
schen, zu allen Sitten, Fertigkeiten, Künsten.
4) Eine National-Physiognomik.
5) Eine Familien-Physiognomik.
6) Eine für Fürsten besonders. Eine für Richter und Verhörer.
7) Zeichnungen und Charakterisirung allerley Arten von Melancholikern, Angefochtenen,
Schwärmern.
8) Eine
X. Abſchnitt. V. Fragment.
10.

Der erſte und letzte Gedanke, den ich unter allen Gedanken dieſes Werkes meinen Leſern allen unver-
geßlich machen moͤchte, iſt: Es iſt kein Menſchengeſicht ſo haͤßlich, in dem nicht noch Zuͤge des goͤttli-
chen Ebenbildes uͤbrig ſind.
Ganz augenſcheinliche Mißgeburten ausgenommen, iſt jedes Menſchengeſicht
einer unglaublichen Vervollkommnung faͤhig, wenn nicht auf ſeine Unvollkommenheiten, „ſondern unmittelbar
„auf ſeine Vollkommenheiten, ſeine geſunden Theile gewirkt wird. Laß immer die kranken Theile unberuͤhrt —
„ſie verbeſſern ſich nie anders, als durch Verbeſſerung der geſunden. Findeſt du den guten Punkt eines Ge-
„ſichtes,
ſo wirke auf diejenige Eigenſchaft, die er ausdruͤckt; von dieſem Punkt aus geht Geſundheit und Le-
„ben auf alles uͤbrige.“

Weisheit zeigt dir, wohin deine Wirkung zielen ſoll. Guͤte giebt dir Kraft, dorthin zu wirken.

Fuͤnftes Fragment.
Allerley Mangelndes, Wuͤnſchenwuͤrdiges.

Unter unzaͤhligen Dingen, die meinen Fragmenten mangeln, und die ich, nebſt denen hin und wieder ange-
zeigten, von einer andern Hand geleiſtet wuͤnſchte — will ich einige nennen.

1) Jch wuͤnſchte ein phyſiognomiſches Woͤrterbuch — wo alle Geſichter und Geſichtszuͤge und Ge-
ſichtsformen und Fleiſch- und Nervenarten bezeichnende Woͤrter vorkaͤmen, und genau beſtimmt wuͤrden — alle
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tionaliſirt wuͤrden. Beſonders gehoͤrten dahin die Menge idiotiſche, groͤßtentheils poͤbelhafte Schweizerwoͤrter,
von ſo treffender ſpecieller Bedeutung, desgleichen alle phyſiognomiſche Spruͤchwoͤrter aus allen Zungen und
Voͤlkern.
2) Eine ausfuͤhrliche Abhandlung vom Lachen, Weinen, von der Stimme, vom Geſang.
3) Eine umſtaͤndliche Widerlegung des Helvetius von der natuͤrlichen Gleichgeſchicklichkeit aller Men-
ſchen, zu allen Sitten, Fertigkeiten, Kuͤnſten.
4) Eine National-Phyſiognomik.
5) Eine Familien-Phyſiognomik.
6) Eine fuͤr Fuͤrſten beſonders. Eine fuͤr Richter und Verhoͤrer.
7) Zeichnungen und Charakteriſirung allerley Arten von Melancholikern, Angefochtenen,
Schwaͤrmern.
8) Eine
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[482/0626] X. Abſchnitt. V. Fragment. 10. Der erſte und letzte Gedanke, den ich unter allen Gedanken dieſes Werkes meinen Leſern allen unver- geßlich machen moͤchte, iſt: Es iſt kein Menſchengeſicht ſo haͤßlich, in dem nicht noch Zuͤge des goͤttli- chen Ebenbildes uͤbrig ſind. Ganz augenſcheinliche Mißgeburten ausgenommen, iſt jedes Menſchengeſicht einer unglaublichen Vervollkommnung faͤhig, wenn nicht auf ſeine Unvollkommenheiten, „ſondern unmittelbar „auf ſeine Vollkommenheiten, ſeine geſunden Theile gewirkt wird. Laß immer die kranken Theile unberuͤhrt — „ſie verbeſſern ſich nie anders, als durch Verbeſſerung der geſunden. Findeſt du den guten Punkt eines Ge- „ſichtes, ſo wirke auf diejenige Eigenſchaft, die er ausdruͤckt; von dieſem Punkt aus geht Geſundheit und Le- „ben auf alles uͤbrige.“ Weisheit zeigt dir, wohin deine Wirkung zielen ſoll. Guͤte giebt dir Kraft, dorthin zu wirken. Fuͤnftes Fragment. Allerley Mangelndes, Wuͤnſchenwuͤrdiges. Unter unzaͤhligen Dingen, die meinen Fragmenten mangeln, und die ich, nebſt denen hin und wieder ange- zeigten, von einer andern Hand geleiſtet wuͤnſchte — will ich einige nennen. 1) Jch wuͤnſchte ein phyſiognomiſches Woͤrterbuch — wo alle Geſichter und Geſichtszuͤge und Ge- ſichtsformen und Fleiſch- und Nervenarten bezeichnende Woͤrter vorkaͤmen, und genau beſtimmt wuͤrden — alle uͤberſetzbare phyſiognomiſche Woͤrter aus andern Sprachen geſammelt und uͤberſetzt — alle unuͤberſetzbare na- tionaliſirt wuͤrden. Beſonders gehoͤrten dahin die Menge idiotiſche, groͤßtentheils poͤbelhafte Schweizerwoͤrter, von ſo treffender ſpecieller Bedeutung, desgleichen alle phyſiognomiſche Spruͤchwoͤrter aus allen Zungen und Voͤlkern. 2) Eine ausfuͤhrliche Abhandlung vom Lachen, Weinen, von der Stimme, vom Geſang. 3) Eine umſtaͤndliche Widerlegung des Helvetius von der natuͤrlichen Gleichgeſchicklichkeit aller Men- ſchen, zu allen Sitten, Fertigkeiten, Kuͤnſten. 4) Eine National-Phyſiognomik. 5) Eine Familien-Phyſiognomik. 6) Eine fuͤr Fuͤrſten beſonders. Eine fuͤr Richter und Verhoͤrer. 7) Zeichnungen und Charakteriſirung allerley Arten von Melancholikern, Angefochtenen, Schwaͤrmern. 8) Eine

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/626>, abgerufen am 24.11.2024.