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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

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IX. Abschnitt. III. Fragment.

Wie anders das nachstehende -- das einzelne große Züge hat, im Ganzen abscheulich ist.

[Abbildung]
L. Christus mit einem Kindlein nach West.
Des IV Ban-
des LXII. Ta-
fel. Solcher
ist das Reich
Gottes.

Mit Absonderung aller andern Expression wollte der Meister nur Einfalt und Kind-
lichkeit sichtbar machen. Diesen Charakter haben alle einzelne Theile des Gemähldes.
Diesen Charakter das Ganze. Stille Ruhe und ungezierte Einfalt verbreitet sich
über alles.

Es ist nirgends eine Spur von Verworrenheit und Geziertheit -- nichts lästiges, studier-
tes, hineingeflicktes. Es scheint, daß der Mahler immer bange gewesen, daß ihm ein Zug gemeiner,
uneinfältiger Menschlichkeit entwischen möchte. Ehrfurcht vor dem Bilde, das er sich schuf, führte
seinen Pinsel. Er wollte ihm lieber zu wenig geben, als etwas gemeines, unedles ihm ankleiben.
Der Christuskopf ist am wenigsten geendigt, und auch nicht vollkommen wahr kopiert; vielleicht
auch zur ganzen Statur ein wenig zu klein. Der Mahler suchte große Züge ohne alle Gewalt-
samkeit.

Die Mittellinie des sprechenden Mundes ist im Originale nicht so bestimmt. Jch glaube,
sie dürfte, unbeschadet des Ganzen, und nach der Harmonie mit dem Ganzen und mit der Unterlip-
pe, in der Mitte wenigstens etwas höher seyn; sonst ist der Mund voll edler Güte und besonders
einfaltvoller Treue.

Die
IX. Abſchnitt. III. Fragment.

Wie anders das nachſtehende — das einzelne große Zuͤge hat, im Ganzen abſcheulich iſt.

[Abbildung]
L. Chriſtus mit einem Kindlein nach Weſt.
Des IV Ban-
des LXII. Ta-
fel. Solcher
iſt das Reich
Gottes.

Mit Abſonderung aller andern Expreſſion wollte der Meiſter nur Einfalt und Kind-
lichkeit ſichtbar machen. Dieſen Charakter haben alle einzelne Theile des Gemaͤhldes.
Dieſen Charakter das Ganze. Stille Ruhe und ungezierte Einfalt verbreitet ſich
uͤber alles.

Es iſt nirgends eine Spur von Verworrenheit und Geziertheit — nichts laͤſtiges, ſtudier-
tes, hineingeflicktes. Es ſcheint, daß der Mahler immer bange geweſen, daß ihm ein Zug gemeiner,
uneinfaͤltiger Menſchlichkeit entwiſchen moͤchte. Ehrfurcht vor dem Bilde, das er ſich ſchuf, fuͤhrte
ſeinen Pinſel. Er wollte ihm lieber zu wenig geben, als etwas gemeines, unedles ihm ankleiben.
Der Chriſtuskopf iſt am wenigſten geendigt, und auch nicht vollkommen wahr kopiert; vielleicht
auch zur ganzen Statur ein wenig zu klein. Der Mahler ſuchte große Zuͤge ohne alle Gewalt-
ſamkeit.

Die Mittellinie des ſprechenden Mundes iſt im Originale nicht ſo beſtimmt. Jch glaube,
ſie duͤrfte, unbeſchadet des Ganzen, und nach der Harmonie mit dem Ganzen und mit der Unterlip-
pe, in der Mitte wenigſtens etwas hoͤher ſeyn; ſonſt iſt der Mund voll edler Guͤte und beſonders
einfaltvoller Treue.

Die
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[450/0588] IX. Abſchnitt. III. Fragment. Wie anders das nachſtehende — das einzelne große Zuͤge hat, im Ganzen abſcheulich iſt. [Abbildung] L. Chriſtus mit einem Kindlein nach Weſt. Mit Abſonderung aller andern Expreſſion wollte der Meiſter nur Einfalt und Kind- lichkeit ſichtbar machen. Dieſen Charakter haben alle einzelne Theile des Gemaͤhldes. Dieſen Charakter das Ganze. Stille Ruhe und ungezierte Einfalt verbreitet ſich uͤber alles. Es iſt nirgends eine Spur von Verworrenheit und Geziertheit — nichts laͤſtiges, ſtudier- tes, hineingeflicktes. Es ſcheint, daß der Mahler immer bange geweſen, daß ihm ein Zug gemeiner, uneinfaͤltiger Menſchlichkeit entwiſchen moͤchte. Ehrfurcht vor dem Bilde, das er ſich ſchuf, fuͤhrte ſeinen Pinſel. Er wollte ihm lieber zu wenig geben, als etwas gemeines, unedles ihm ankleiben. Der Chriſtuskopf iſt am wenigſten geendigt, und auch nicht vollkommen wahr kopiert; vielleicht auch zur ganzen Statur ein wenig zu klein. Der Mahler ſuchte große Zuͤge ohne alle Gewalt- ſamkeit. Die Mittellinie des ſprechenden Mundes iſt im Originale nicht ſo beſtimmt. Jch glaube, ſie duͤrfte, unbeſchadet des Ganzen, und nach der Harmonie mit dem Ganzen und mit der Unterlip- pe, in der Mitte wenigſtens etwas hoͤher ſeyn; ſonſt iſt der Mund voll edler Guͤte und beſonders einfaltvoller Treue. Die

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/588>, abgerufen am 30.11.2024.