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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

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Anmerkungen zu einer physiognomischen Abhandlung.
suchter Kopf -- da hingegen Dorfnarren und Nichtdenkende nicht eben ausgesucht werden dürfen.
Also wäre dadurch schon das Verhältniß sehr ungleich. -- Doch, dieß auf die Seite gesetzt -- man
suche sie aus -- man bringe sie uns; man setze Gesichter gegen Gesichter, und Umrisse gegen Um-
risse -- und vergesse dabey nicht, was wir schon zehn und zwanzigmal gesagt haben -- Man unter-
scheide -- man sehe auf ihre festen Theile, die ihnen die Natur gab -- und auf ihre weichen Theile,
die ihnen Zufall, oder Krankheit, oder Schicksal, oder mißglückte Liebe mißbildete! -- Man un-
terscheide -- wie waren sie, bevor sie Narren wurden! -- Man unterscheide -- natürliche Nar-
ren,
und gewordene Narren.

"Bedlam, sagt unser Verfasser Seite 23. wird von Leuten bewohnet, die, wenn sie nicht
"wie versteinert vor sich hinstarrten, oder bey parallelen Augen mit den Sternen lächelten, oder auf
"den Gesang der Engel horchten, oder mit untergesteckten Armen schaudernd zusammenführen, Re-
"spekt einflößen würden;" -- -- und die hiemit in ihrer festern Bildung etwas Respekteinflößen-
des haben? und die hiemit nicht als Narren aus der Hand der Natur gekommen? und die hiemit erst
durch nachherige Zufälle geworden, was sie vorher nicht waren -- und solche Beyspiele haben wir
besonders im zweyten Theile selbst angeführt -- Wie erbärmlich ist der Schluß aus diesem Da-
tum -- "Die Physiognomik ist äußerst trüglich." -- Wie?

"Aeußerst trüglich?" -- Wenn sich ihre vorige Anlage und Verstandeskraft noch
zeigt? -- denn so was muß sich doch noch zeigen, "wenn sie noch etwas Respekteinflößendes ha-
"ben" -- Trüglich, wenn auch der aufgepfropfte Zustand, die zufällige Narrheit sichtbar
ist? -- Lieber Gegner! hat's nicht das Ansehen -- daß Sie scherzen? Wahrlich! mir raunt's
oft bey solchen Widersprüchen -- die sich allenthalben finden -- Zeigen Sie mir natürliche Nar-
rengesichter, die aussehen wie natürliche Verstandesgesichter -- Zeigen Sie mir einen Thoren,
der's von Geburt ist, ohne gewaltsamen Zufall, und der Neutons -- oder Jhr Gesicht, Jhre
Gesichtsform hat. --



Sollen wir fortfahren? -- Nur noch einige Stellen -- (Seite 4.) "Unsere Sinnen zeigen
"uns nur die Oberflächen, und alles andre sind Schlüsse daraus. Besonders Tröstliches folgt hier-

aus
D 2

Anmerkungen zu einer phyſiognomiſchen Abhandlung.
ſuchter Kopf — da hingegen Dorfnarren und Nichtdenkende nicht eben ausgeſucht werden duͤrfen.
Alſo waͤre dadurch ſchon das Verhaͤltniß ſehr ungleich. — Doch, dieß auf die Seite geſetzt — man
ſuche ſie aus — man bringe ſie uns; man ſetze Geſichter gegen Geſichter, und Umriſſe gegen Um-
riſſe — und vergeſſe dabey nicht, was wir ſchon zehn und zwanzigmal geſagt haben — Man unter-
ſcheide — man ſehe auf ihre feſten Theile, die ihnen die Natur gab — und auf ihre weichen Theile,
die ihnen Zufall, oder Krankheit, oder Schickſal, oder mißgluͤckte Liebe mißbildete! — Man un-
terſcheide — wie waren ſie, bevor ſie Narren wurden! — Man unterſcheide — natuͤrliche Nar-
ren,
und gewordene Narren.

„Bedlam, ſagt unſer Verfaſſer Seite 23. wird von Leuten bewohnet, die, wenn ſie nicht
„wie verſteinert vor ſich hinſtarrten, oder bey parallelen Augen mit den Sternen laͤchelten, oder auf
„den Geſang der Engel horchten, oder mit untergeſteckten Armen ſchaudernd zuſammenfuͤhren, Re-
„ſpekt einfloͤßen wuͤrden;“ — — und die hiemit in ihrer feſtern Bildung etwas Reſpekteinfloͤßen-
des haben? und die hiemit nicht als Narren aus der Hand der Natur gekommen? und die hiemit erſt
durch nachherige Zufaͤlle geworden, was ſie vorher nicht waren — und ſolche Beyſpiele haben wir
beſonders im zweyten Theile ſelbſt angefuͤhrt — Wie erbaͤrmlich iſt der Schluß aus dieſem Da-
tum — „Die Phyſiognomik iſt aͤußerſt truͤglich.“ — Wie?

„Aeußerſt truͤglich?“ — Wenn ſich ihre vorige Anlage und Verſtandeskraft noch
zeigt? — denn ſo was muß ſich doch noch zeigen, „wenn ſie noch etwas Reſpekteinfloͤßendes ha-
„ben“ — Truͤglich, wenn auch der aufgepfropfte Zuſtand, die zufaͤllige Narrheit ſichtbar
iſt? — Lieber Gegner! hat’s nicht das Anſehen — daß Sie ſcherzen? Wahrlich! mir raunt’s
oft bey ſolchen Widerſpruͤchen — die ſich allenthalben finden — Zeigen Sie mir natuͤrliche Nar-
rengeſichter, die ausſehen wie natuͤrliche Verſtandesgeſichter — Zeigen Sie mir einen Thoren,
der’s von Geburt iſt, ohne gewaltſamen Zufall, und der Neutons — oder Jhr Geſicht, Jhre
Geſichtsform hat. —



Sollen wir fortfahren? — Nur noch einige Stellen — (Seite 4.) „Unſere Sinnen zeigen
„uns nur die Oberflaͤchen, und alles andre ſind Schluͤſſe daraus. Beſonders Troͤſtliches folgt hier-

aus
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[27/0049] Anmerkungen zu einer phyſiognomiſchen Abhandlung. ſuchter Kopf — da hingegen Dorfnarren und Nichtdenkende nicht eben ausgeſucht werden duͤrfen. Alſo waͤre dadurch ſchon das Verhaͤltniß ſehr ungleich. — Doch, dieß auf die Seite geſetzt — man ſuche ſie aus — man bringe ſie uns; man ſetze Geſichter gegen Geſichter, und Umriſſe gegen Um- riſſe — und vergeſſe dabey nicht, was wir ſchon zehn und zwanzigmal geſagt haben — Man unter- ſcheide — man ſehe auf ihre feſten Theile, die ihnen die Natur gab — und auf ihre weichen Theile, die ihnen Zufall, oder Krankheit, oder Schickſal, oder mißgluͤckte Liebe mißbildete! — Man un- terſcheide — wie waren ſie, bevor ſie Narren wurden! — Man unterſcheide — natuͤrliche Nar- ren, und gewordene Narren. „Bedlam, ſagt unſer Verfaſſer Seite 23. wird von Leuten bewohnet, die, wenn ſie nicht „wie verſteinert vor ſich hinſtarrten, oder bey parallelen Augen mit den Sternen laͤchelten, oder auf „den Geſang der Engel horchten, oder mit untergeſteckten Armen ſchaudernd zuſammenfuͤhren, Re- „ſpekt einfloͤßen wuͤrden;“ — — und die hiemit in ihrer feſtern Bildung etwas Reſpekteinfloͤßen- des haben? und die hiemit nicht als Narren aus der Hand der Natur gekommen? und die hiemit erſt durch nachherige Zufaͤlle geworden, was ſie vorher nicht waren — und ſolche Beyſpiele haben wir beſonders im zweyten Theile ſelbſt angefuͤhrt — Wie erbaͤrmlich iſt der Schluß aus dieſem Da- tum — „Die Phyſiognomik iſt aͤußerſt truͤglich.“ — Wie? „Aeußerſt truͤglich?“ — Wenn ſich ihre vorige Anlage und Verſtandeskraft noch zeigt? — denn ſo was muß ſich doch noch zeigen, „wenn ſie noch etwas Reſpekteinfloͤßendes ha- „ben“ — Truͤglich, wenn auch der aufgepfropfte Zuſtand, die zufaͤllige Narrheit ſichtbar iſt? — Lieber Gegner! hat’s nicht das Anſehen — daß Sie ſcherzen? Wahrlich! mir raunt’s oft bey ſolchen Widerſpruͤchen — die ſich allenthalben finden — Zeigen Sie mir natuͤrliche Nar- rengeſichter, die ausſehen wie natuͤrliche Verſtandesgeſichter — Zeigen Sie mir einen Thoren, der’s von Geburt iſt, ohne gewaltſamen Zufall, und der Neutons — oder Jhr Geſicht, Jhre Geſichtsform hat. — Sollen wir fortfahren? — Nur noch einige Stellen — (Seite 4.) „Unſere Sinnen zeigen „uns nur die Oberflaͤchen, und alles andre ſind Schluͤſſe daraus. Beſonders Troͤſtliches folgt hier- aus D 2

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/49>, abgerufen am 22.11.2024.