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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

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II. Abschnitt. III. Fragment.
seyn, die Ausdrücke sind zurückgehaltener Leidenschaften, die wie ein banger, schwüler Himmel Un-
gewitter verkündigen, die dennoch vielleicht nie losbrechen.

So ist ferner, glaube ich, kaum ein Mensch, weß Alters, Charakters, Zeitalters, aus welchem
Boden, welchen Winden der Erde er zusammengeformt sey, der nicht in einem Gesichte, wie nachste-
hendes, sogleich und ohne alle Rücksicht auf andere Gesichter, ohne alle Zergliederung und Ver-
gleichung -- Treue, Redlichkeit, Verschwiegenheit und eine zutrauungswürdige, unharte Festig-
keit ahnde.

[Abbildung]

Freylich nur der Beobachter wird schnell das Unhomogene der allzujungfräulichen Stirn
mit der etwas männlichern Nase und dem bestimmten Auge bemerken.

Unter allen Sterblichen, wer wird einem Gesichtgen, wie nachstehendes ist, seine Liebe ver-
sagen können? Diese Nase -- wo du sie findest, diese Ruhe des Auges, diese Stille der Lippen, diese

Proportion,

II. Abſchnitt. III. Fragment.
ſeyn, die Ausdruͤcke ſind zuruͤckgehaltener Leidenſchaften, die wie ein banger, ſchwuͤler Himmel Un-
gewitter verkuͤndigen, die dennoch vielleicht nie losbrechen.

So iſt ferner, glaube ich, kaum ein Menſch, weß Alters, Charakters, Zeitalters, aus welchem
Boden, welchen Winden der Erde er zuſammengeformt ſey, der nicht in einem Geſichte, wie nachſte-
hendes, ſogleich und ohne alle Ruͤckſicht auf andere Geſichter, ohne alle Zergliederung und Ver-
gleichung — Treue, Redlichkeit, Verſchwiegenheit und eine zutrauungswuͤrdige, unharte Feſtig-
keit ahnde.

[Abbildung]

Freylich nur der Beobachter wird ſchnell das Unhomogene der allzujungfraͤulichen Stirn
mit der etwas maͤnnlichern Naſe und dem beſtimmten Auge bemerken.

Unter allen Sterblichen, wer wird einem Geſichtgen, wie nachſtehendes iſt, ſeine Liebe ver-
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[124/0152] II. Abſchnitt. III. Fragment. ſeyn, die Ausdruͤcke ſind zuruͤckgehaltener Leidenſchaften, die wie ein banger, ſchwuͤler Himmel Un- gewitter verkuͤndigen, die dennoch vielleicht nie losbrechen. So iſt ferner, glaube ich, kaum ein Menſch, weß Alters, Charakters, Zeitalters, aus welchem Boden, welchen Winden der Erde er zuſammengeformt ſey, der nicht in einem Geſichte, wie nachſte- hendes, ſogleich und ohne alle Ruͤckſicht auf andere Geſichter, ohne alle Zergliederung und Ver- gleichung — Treue, Redlichkeit, Verſchwiegenheit und eine zutrauungswuͤrdige, unharte Feſtig- keit ahnde. [Abbildung] Freylich nur der Beobachter wird ſchnell das Unhomogene der allzujungfraͤulichen Stirn mit der etwas maͤnnlichern Naſe und dem beſtimmten Auge bemerken. Unter allen Sterblichen, wer wird einem Geſichtgen, wie nachſtehendes iſt, ſeine Liebe ver- ſagen koͤnnen? Dieſe Naſe — wo du ſie findeſt, dieſe Ruhe des Auges, dieſe Stille der Lippen, dieſe Proportion,

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/152>, abgerufen am 12.05.2024.