Endlich krönte Gott die sinnliche Offenbarung seiner Herrlichkeit durch das Meisterstück des Menschen. Er schuf den Menschen in göttlicher Gestalt -- zum Bilde Gottes schuf er ihn. Dieser Schluß des Urhebers löset die verwickeltsten Knoten der menschlichen Natur und ihrer Bestimmung auf. Blinde Heiden haben die Unsichtbarkeit erkannt, die der Mensch mit Gott gemein hat. Die verhüllte Figur des Leibes, das Antlitz des Hauptes; das Aeußerste der Arme sind das sichtbare Schema, in dem wir einhergehen. Doch eigentlich nichts als ein Zeige- finger des verborgenen Menschen in uns.Exemplum Dei quisque est in imagine parva. Herz! sey ein stilles Meer! höre den Rath: Laßt uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sey, die da herrschen! -- Siehe die That -- und Gott der Herr machte den Men- schen aus einem Erdenkloß. Vergleiche Rath und That -- Bete den kräftigen Sprecher*) mit dem Psalmisten -- den vermeynten Gärtner **) mit der Evangelistinn der Jünger; und den freyen Töpfer mit dem Apostel hellenischer Weltweisen und talmudischer Schriftgelehrten an.
8.
Die Analogie des Menschen zum Schöpfer ertheilt allen Kreaturen ihr Gehalt und ihr Gepräge, von dem Treue und Glauben in der ganzen Natur abhängt. Je lebhafter diese Jdee, das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, in unserm Gemüthe ist; desto fähiger sind wir, seine Leut- seligkeit in den Geschöpfen zu sehen und zu schmecken, zu beschauen und mit Händen zu grei- fen. Jeder Eindruck der Natur in dem Menschen ist nicht nur ein Andenken, sondern ein Unter- pfand der Grundwahrheit: Wer der Herr ist. Jede Gegenwirkung des Menschen in die Krea- tur ist Brief und Siegel von unserm Antheil an der göttlichen Natur, und daß wir seines Ge- schlechtes sind.
Der dieses schrieb -- verachtet und zertreten von allen Pharisäern und Sadduzäern sei- ner und meiner Zeit -- ist in meinen Augen -- ein Genie ohne seines gleichen! Und damit auch die Welt in seinem Unsinn Sinn vermuthe, sey noch zum Beschlusse dieses seltsamen Fragmentes, das mir theurer seyn soll, als alle meine Fragmente -- eine Stelle des Philosophen Bakons, citirt
von
*) Psalm XXXIII. 9.
**) Joh. XX. 15. 17.
I. Abſchnitt. X. Fragment. Genie. II. Zugabe.
7.
Endlich kroͤnte Gott die ſinnliche Offenbarung ſeiner Herrlichkeit durch das Meiſterſtuͤck des Menſchen. Er ſchuf den Menſchen in goͤttlicher Geſtalt — zum Bilde Gottes ſchuf er ihn. Dieſer Schluß des Urhebers loͤſet die verwickeltſten Knoten der menſchlichen Natur und ihrer Beſtimmung auf. Blinde Heiden haben die Unſichtbarkeit erkannt, die der Menſch mit Gott gemein hat. Die verhuͤllte Figur des Leibes, das Antlitz des Hauptes; das Aeußerſte der Arme ſind das ſichtbare Schema, in dem wir einhergehen. Doch eigentlich nichts als ein Zeige- finger des verborgenen Menſchen in uns.Exemplum Dei quisque eſt in imagine parva. Herz! ſey ein ſtilles Meer! hoͤre den Rath: Laßt uns Menſchen machen, ein Bild, das uns gleich ſey, die da herrſchen! — Siehe die That — und Gott der Herr machte den Men- ſchen aus einem Erdenkloß. Vergleiche Rath und That — Bete den kraͤftigen Sprecher*) mit dem Pſalmiſten — den vermeynten Gaͤrtner **) mit der Evangeliſtinn der Juͤnger; und den freyen Toͤpfer mit dem Apoſtel helleniſcher Weltweiſen und talmudiſcher Schriftgelehrten an.
8.
Die Analogie des Menſchen zum Schoͤpfer ertheilt allen Kreaturen ihr Gehalt und ihr Gepraͤge, von dem Treue und Glauben in der ganzen Natur abhaͤngt. Je lebhafter dieſe Jdee, das Ebenbild des unſichtbaren Gottes, in unſerm Gemuͤthe iſt; deſto faͤhiger ſind wir, ſeine Leut- ſeligkeit in den Geſchoͤpfen zu ſehen und zu ſchmecken, zu beſchauen und mit Haͤnden zu grei- fen. Jeder Eindruck der Natur in dem Menſchen iſt nicht nur ein Andenken, ſondern ein Unter- pfand der Grundwahrheit: Wer der Herr iſt. Jede Gegenwirkung des Menſchen in die Krea- tur iſt Brief und Siegel von unſerm Antheil an der goͤttlichen Natur, und daß wir ſeines Ge- ſchlechtes ſind.
Der dieſes ſchrieb — verachtet und zertreten von allen Phariſaͤern und Sadduzaͤern ſei- ner und meiner Zeit — iſt in meinen Augen — ein Genie ohne ſeines gleichen! Und damit auch die Welt in ſeinem Unſinn Sinn vermuthe, ſey noch zum Beſchluſſe dieſes ſeltſamen Fragmentes, das mir theurer ſeyn ſoll, als alle meine Fragmente — eine Stelle des Philoſophen Bakons, citirt
von
*) Pſalm XXXIII. 9.
**) Joh. XX. 15. 17.
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7.
Endlich kroͤnte Gott die ſinnliche Offenbarung ſeiner Herrlichkeit durch das Meiſterſtuͤck
des Menſchen. Er ſchuf den Menſchen in goͤttlicher Geſtalt — zum Bilde Gottes ſchuf
er ihn. Dieſer Schluß des Urhebers loͤſet die verwickeltſten Knoten der menſchlichen Natur und
ihrer Beſtimmung auf. Blinde Heiden haben die Unſichtbarkeit erkannt, die der Menſch mit
Gott gemein hat. Die verhuͤllte Figur des Leibes, das Antlitz des Hauptes; das Aeußerſte der
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finger des verborgenen Menſchen in uns. Exemplum Dei quisque eſt in imagine parva.
Herz! ſey ein ſtilles Meer! hoͤre den Rath: Laßt uns Menſchen machen, ein Bild, das uns
gleich ſey, die da herrſchen! — Siehe die That — und Gott der Herr machte den Men-
ſchen aus einem Erdenkloß. Vergleiche Rath und That — Bete den kraͤftigen Sprecher *)
mit dem Pſalmiſten — den vermeynten Gaͤrtner **) mit der Evangeliſtinn der Juͤnger; und den
freyen Toͤpfer mit dem Apoſtel helleniſcher Weltweiſen und talmudiſcher Schriftgelehrten an.
8.
Die Analogie des Menſchen zum Schoͤpfer ertheilt allen Kreaturen ihr Gehalt und ihr
Gepraͤge, von dem Treue und Glauben in der ganzen Natur abhaͤngt. Je lebhafter dieſe Jdee,
das Ebenbild des unſichtbaren Gottes, in unſerm Gemuͤthe iſt; deſto faͤhiger ſind wir, ſeine Leut-
ſeligkeit in den Geſchoͤpfen zu ſehen und zu ſchmecken, zu beſchauen und mit Haͤnden zu grei-
fen. Jeder Eindruck der Natur in dem Menſchen iſt nicht nur ein Andenken, ſondern ein Unter-
pfand der Grundwahrheit: Wer der Herr iſt. Jede Gegenwirkung des Menſchen in die Krea-
tur iſt Brief und Siegel von unſerm Antheil an der goͤttlichen Natur, und daß wir ſeines Ge-
ſchlechtes ſind.
Der dieſes ſchrieb — verachtet und zertreten von allen Phariſaͤern und Sadduzaͤern ſei-
ner und meiner Zeit — iſt in meinen Augen — ein Genie ohne ſeines gleichen! Und damit auch die
Welt in ſeinem Unſinn Sinn vermuthe, ſey noch zum Beſchluſſe dieſes ſeltſamen Fragmentes, das
mir theurer ſeyn ſoll, als alle meine Fragmente — eine Stelle des Philoſophen Bakons, citirt
von
*) Pſalm XXXIII. 9.
**) Joh. XX. 15. 17.
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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/126>, abgerufen am 24.11.2024.
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