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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.

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Physiognomik, Pfeiler der Freundschaft und Achtung.

Was that der Apostel? -- Er blickte in die Seele hinein -- er ahndete die schlummern-
den Kräfte -- erleuchtet vom Geiste der Wahrheit -- sah' er die Gabe, die schon in dem Men-
schen war -- wie der künftige Engel bereits in ihm ist -- und -- weckte sie nur durch Aufle-
gung seiner Hände
-- oder durch irgend ein anderes Zeichen, das dem Täufling, oder dem Chri-
sten versicherte -- "das lieg' in ihm! dazu sey er bestimmt!" Eigentlich gab er ihm nichts -- nur
in so fern gab er ihm, als er ihm den Schatz aufschloß, der in ihm lag. Ohne diesen Aufschluß
wäre der Schatz ihm nichts gewesen. Aber der Mann voll heiligen Geistes, und göttlichen Anse-
hens, der vor ihm stand -- den er mit Gottes Weisheit sprechen hörte, und mit Gotteskraft han-
deln sahe -- der verdiente seinen ganzen Glauben! Dieser Glaube -- lebendig gemacht durch die
Gegenwart und das feyerliche Händauflegen des Gottesmannes -- erweckte die Gottesgabe,
die in ihm war
-- das heißt: Er empfieng den heiligen Geist. Oder noch mit andern Wor-
ten: "Die Gottheit fieng an, auf eine neue Weise in dem Menschen sich zu regen, und zu wür-
"ken -- gemäß der Organisation und der Bestimmung desselben -- und, um nun gerade auf diese
"Weise
in ihm würken zu können -- waren einerseits präordinirte Anlagen, anderseits äus-
"serlich erweckende Umstände
nöthig -- wie zu allem, allem in der Welt -- was immer auf-
"leben und auf eine neue Weise würken soll" -- Denn alles, alles in der Welt steht unter
derselben Regel und Ordnung
-- das leiblichste, das geistlichste, das, was wir natürlich,
und was wir übernatürlich nennen.

Da half nun kein Bitten und Flehen um diese oder jene besondere Wundergabe -- so
wenig sich itzt aus einem kaltdenkenden Kopfe ein poetisches Genie umbitten oder umbilden läßt.
Es kam auf die ursprüngliche Organisation, aber auch nicht auf diese allein; sondern zugleich
auf äußere Veranlassung, Erweckung, Ausbildung an. Diese äußere Veranlassung und
Erweckung aber konnte sich schlechterdings nach nichts anderm, als nach der Anlage, nach der
Urfähigkeit des Objektes richten. So mit allem Lehren und Lernen in der Welt -- so mit den gött-
lichsten Geistesgaben. So -- mit der Freundschaft -- -- Der Physiognomist entdeckt Ver-
hältnisse
und Zusammenstimmungen -- zwischen Menschen und Menschen, zwischen Menschen
und sich -- die andere nicht so leicht, nicht so schnell, so bestimmt, so gewiß entdecken -- Diese
zeigt er an -- und schließt also, wie der handauflegende Apostel, nur auf, was verschlossen da ist.

Er
Phys. Fragm. III Versuch. E
Phyſiognomik, Pfeiler der Freundſchaft und Achtung.

Was that der Apoſtel? — Er blickte in die Seele hinein — er ahndete die ſchlummern-
den Kraͤfte — erleuchtet vom Geiſte der Wahrheit — ſah’ er die Gabe, die ſchon in dem Men-
ſchen war — wie der kuͤnftige Engel bereits in ihm iſt — und — weckte ſie nur durch Aufle-
gung ſeiner Haͤnde
— oder durch irgend ein anderes Zeichen, das dem Taͤufling, oder dem Chri-
ſten verſicherte — „das lieg’ in ihm! dazu ſey er beſtimmt!“ Eigentlich gab er ihm nichts — nur
in ſo fern gab er ihm, als er ihm den Schatz aufſchloß, der in ihm lag. Ohne dieſen Aufſchluß
waͤre der Schatz ihm nichts geweſen. Aber der Mann voll heiligen Geiſtes, und goͤttlichen Anſe-
hens, der vor ihm ſtand — den er mit Gottes Weisheit ſprechen hoͤrte, und mit Gotteskraft han-
deln ſahe — der verdiente ſeinen ganzen Glauben! Dieſer Glaube — lebendig gemacht durch die
Gegenwart und das feyerliche Haͤndauflegen des Gottesmannes — erweckte die Gottesgabe,
die in ihm war
— das heißt: Er empfieng den heiligen Geiſt. Oder noch mit andern Wor-
ten: „Die Gottheit fieng an, auf eine neue Weiſe in dem Menſchen ſich zu regen, und zu wuͤr-
„ken — gemaͤß der Organiſation und der Beſtimmung deſſelben — und, um nun gerade auf dieſe
„Weiſe
in ihm wuͤrken zu koͤnnen — waren einerſeits praͤordinirte Anlagen, anderſeits aͤuſ-
„ſerlich erweckende Umſtaͤnde
noͤthig — wie zu allem, allem in der Welt — was immer auf-
„leben und auf eine neue Weiſe wuͤrken ſoll“ — Denn alles, alles in der Welt ſteht unter
derſelben Regel und Ordnung
— das leiblichſte, das geiſtlichſte, das, was wir natuͤrlich,
und was wir uͤbernatuͤrlich nennen.

Da half nun kein Bitten und Flehen um dieſe oder jene beſondere Wundergabe — ſo
wenig ſich itzt aus einem kaltdenkenden Kopfe ein poetiſches Genie umbitten oder umbilden laͤßt.
Es kam auf die urſpruͤngliche Organiſation, aber auch nicht auf dieſe allein; ſondern zugleich
auf aͤußere Veranlaſſung, Erweckung, Ausbildung an. Dieſe aͤußere Veranlaſſung und
Erweckung aber konnte ſich ſchlechterdings nach nichts anderm, als nach der Anlage, nach der
Urfaͤhigkeit des Objektes richten. So mit allem Lehren und Lernen in der Welt — ſo mit den goͤtt-
lichſten Geiſtesgaben. So — mit der Freundſchaft — — Der Phyſiognomiſt entdeckt Ver-
haͤltniſſe
und Zuſammenſtimmungen — zwiſchen Menſchen und Menſchen, zwiſchen Menſchen
und ſich — die andere nicht ſo leicht, nicht ſo ſchnell, ſo beſtimmt, ſo gewiß entdecken — Dieſe
zeigt er an — und ſchließt alſo, wie der handauflegende Apoſtel, nur auf, was verſchloſſen da iſt.

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Phyſ. Fragm. III Verſuch. E
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[33/0049] Phyſiognomik, Pfeiler der Freundſchaft und Achtung. Was that der Apoſtel? — Er blickte in die Seele hinein — er ahndete die ſchlummern- den Kraͤfte — erleuchtet vom Geiſte der Wahrheit — ſah’ er die Gabe, die ſchon in dem Men- ſchen war — wie der kuͤnftige Engel bereits in ihm iſt — und — weckte ſie nur durch Aufle- gung ſeiner Haͤnde — oder durch irgend ein anderes Zeichen, das dem Taͤufling, oder dem Chri- ſten verſicherte — „das lieg’ in ihm! dazu ſey er beſtimmt!“ Eigentlich gab er ihm nichts — nur in ſo fern gab er ihm, als er ihm den Schatz aufſchloß, der in ihm lag. Ohne dieſen Aufſchluß waͤre der Schatz ihm nichts geweſen. Aber der Mann voll heiligen Geiſtes, und goͤttlichen Anſe- hens, der vor ihm ſtand — den er mit Gottes Weisheit ſprechen hoͤrte, und mit Gotteskraft han- deln ſahe — der verdiente ſeinen ganzen Glauben! Dieſer Glaube — lebendig gemacht durch die Gegenwart und das feyerliche Haͤndauflegen des Gottesmannes — erweckte die Gottesgabe, die in ihm war — das heißt: Er empfieng den heiligen Geiſt. Oder noch mit andern Wor- ten: „Die Gottheit fieng an, auf eine neue Weiſe in dem Menſchen ſich zu regen, und zu wuͤr- „ken — gemaͤß der Organiſation und der Beſtimmung deſſelben — und, um nun gerade auf dieſe „Weiſe in ihm wuͤrken zu koͤnnen — waren einerſeits praͤordinirte Anlagen, anderſeits aͤuſ- „ſerlich erweckende Umſtaͤnde noͤthig — wie zu allem, allem in der Welt — was immer auf- „leben und auf eine neue Weiſe wuͤrken ſoll“ — Denn alles, alles in der Welt ſteht unter derſelben Regel und Ordnung — das leiblichſte, das geiſtlichſte, das, was wir natuͤrlich, und was wir uͤbernatuͤrlich nennen. Da half nun kein Bitten und Flehen um dieſe oder jene beſondere Wundergabe — ſo wenig ſich itzt aus einem kaltdenkenden Kopfe ein poetiſches Genie umbitten oder umbilden laͤßt. Es kam auf die urſpruͤngliche Organiſation, aber auch nicht auf dieſe allein; ſondern zugleich auf aͤußere Veranlaſſung, Erweckung, Ausbildung an. Dieſe aͤußere Veranlaſſung und Erweckung aber konnte ſich ſchlechterdings nach nichts anderm, als nach der Anlage, nach der Urfaͤhigkeit des Objektes richten. So mit allem Lehren und Lernen in der Welt — ſo mit den goͤtt- lichſten Geiſtesgaben. So — mit der Freundſchaft — — Der Phyſiognomiſt entdeckt Ver- haͤltniſſe und Zuſammenſtimmungen — zwiſchen Menſchen und Menſchen, zwiſchen Menſchen und ſich — die andere nicht ſo leicht, nicht ſo ſchnell, ſo beſtimmt, ſo gewiß entdecken — Dieſe zeigt er an — und ſchließt alſo, wie der handauflegende Apoſtel, nur auf, was verſchloſſen da iſt. Er Phyſ. Fragm. III Verſuch. E

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/49>, abgerufen am 23.11.2024.