Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

X. Abschnitt. XVI. Fragment.
wenn sie Veranlassungen dazu haben. Sey dieß dem Bande der physiognomischen Linien
aufbehalten.

Ueberhaupt sind alle redliche Brüder und Schwestern -- fein und leichtfühlend! Nich
allgemeinfühlend; was sie fühlen, ganz fühlend, nur fühlend! Sehr beschränkt, und dann ganz in
dem beschränkten Kreise! Heiter, ruhig, zufrieden -- nur in ihrer Gemeine und dem Zauber ihrer
einfältigen Heilandsliebe leicht auf- und niederschwebend! Bienlein -- nicht schwärmend von Blume
zu Blume -- nur auf Einer, der Passionsblume, wohnend -- von da aus, dahin zurückfliegend!

Des III. Ban-
des LXXVIII.
Tafel. Z. N.

Die beyden männlichen Umrisse, die wir hier vor uns haben, haben bloß das Fleisch-
liche, und nicht das Geistige der Brüderphysiognomie -- besonders 1. ist nicht entfärbt
von der mindesten Prätension von Religiosität. 4. hingegen hat offenbar schon mehr in Augen-
braunen, Aug und Mund Religiossüßliches. Der Mund hat's freylich in einem Grade, der gewiß
am Urheber einer religiosen Parthey unmöglich -- oder kaum möglich ist, allenfalls nur von Schü-
lern und Nachahmern erwartet werden darf. Vermuthlich ist keiner von beyden wahr -- Die
Nase in 4. eben nicht viel, doch etwas verständiger, als die in 1. -- die in 1. gewiß wollüstiger und
planloser.

Von der Nitschmann müssen beyde Bilder ziemlich ähnlich seyn, obgleich beyde gewiß
von Geist und Jnnigkeit verloren haben. Jn beyden ist die Nase zuverläßig verständig und
wacker. Das 2. ist merklich religioser, als 3. Die Augen in 2. verständiger und frömmer,
als 3. Der Mund in 2. ist um etwas zu kleinlich, und 3. offenbar zu schief. Die Stirn ist,
so wie sie hier erscheint -- weder sonderbar männlich noch weiblich -- weder sehr verständig, noch
stüpide. Das Ganze hat etwas sehr gepreßtes, süßverschloßnes, einfach beschränktes.

Hier

X. Abſchnitt. XVI. Fragment.
wenn ſie Veranlaſſungen dazu haben. Sey dieß dem Bande der phyſiognomiſchen Linien
aufbehalten.

Ueberhaupt ſind alle redliche Bruͤder und Schweſtern — fein und leichtfuͤhlend! Nich
allgemeinfuͤhlend; was ſie fuͤhlen, ganz fuͤhlend, nur fuͤhlend! Sehr beſchraͤnkt, und dann ganz in
dem beſchraͤnkten Kreiſe! Heiter, ruhig, zufrieden — nur in ihrer Gemeine und dem Zauber ihrer
einfaͤltigen Heilandsliebe leicht auf- und niederſchwebend! Bienlein — nicht ſchwaͤrmend von Blume
zu Blume — nur auf Einer, der Paſſionsblume, wohnend — von da aus, dahin zuruͤckfliegend!

Des III. Ban-
des LXXVIII.
Tafel. Z. N.

Die beyden maͤnnlichen Umriſſe, die wir hier vor uns haben, haben bloß das Fleiſch-
liche, und nicht das Geiſtige der Bruͤderphyſiognomie — beſonders 1. iſt nicht entfaͤrbt
von der mindeſten Praͤtenſion von Religioſitaͤt. 4. hingegen hat offenbar ſchon mehr in Augen-
braunen, Aug und Mund Religiosſuͤßliches. Der Mund hat’s freylich in einem Grade, der gewiß
am Urheber einer religioſen Parthey unmoͤglich — oder kaum moͤglich iſt, allenfalls nur von Schuͤ-
lern und Nachahmern erwartet werden darf. Vermuthlich iſt keiner von beyden wahr — Die
Naſe in 4. eben nicht viel, doch etwas verſtaͤndiger, als die in 1. — die in 1. gewiß wolluͤſtiger und
planloſer.

Von der Nitſchmann muͤſſen beyde Bilder ziemlich aͤhnlich ſeyn, obgleich beyde gewiß
von Geiſt und Jnnigkeit verloren haben. Jn beyden iſt die Naſe zuverlaͤßig verſtaͤndig und
wacker. Das 2. iſt merklich religioſer, als 3. Die Augen in 2. verſtaͤndiger und froͤmmer,
als 3. Der Mund in 2. iſt um etwas zu kleinlich, und 3. offenbar zu ſchief. Die Stirn iſt,
ſo wie ſie hier erſcheint — weder ſonderbar maͤnnlich noch weiblich — weder ſehr verſtaͤndig, noch
ſtuͤpide. Das Ganze hat etwas ſehr gepreßtes, ſuͤßverſchloßnes, einfach beſchraͤnktes.

Hier
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0454" n="282"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">X.</hi> Ab&#x017F;chnitt. <hi rendition="#aq">XVI.</hi> Fragment.</hi></fw><lb/>
wenn &#x017F;ie Veranla&#x017F;&#x017F;ungen dazu haben. Sey dieß dem Bande der <hi rendition="#fr">phy&#x017F;iognomi&#x017F;chen Linien</hi><lb/>
aufbehalten.</p><lb/>
          <p>Ueberhaupt &#x017F;ind alle redliche <hi rendition="#fr">Bru&#x0364;der und Schwe&#x017F;tern</hi> &#x2014; fein und leichtfu&#x0364;hlend! Nich<lb/>
allgemeinfu&#x0364;hlend; was &#x017F;ie fu&#x0364;hlen, ganz fu&#x0364;hlend, nur fu&#x0364;hlend! Sehr be&#x017F;chra&#x0364;nkt, und dann ganz in<lb/>
dem be&#x017F;chra&#x0364;nkten Krei&#x017F;e! Heiter, ruhig, zufrieden &#x2014; nur in ihrer Gemeine und dem Zauber ihrer<lb/>
einfa&#x0364;ltigen Heilandsliebe leicht auf- und nieder&#x017F;chwebend! Bienlein &#x2014; nicht &#x017F;chwa&#x0364;rmend von Blume<lb/>
zu Blume &#x2014; nur auf Einer, der <hi rendition="#fr">Pa&#x017F;&#x017F;ionsblume,</hi> wohnend &#x2014; von da aus, dahin zuru&#x0364;ckfliegend!</p><lb/>
          <note place="left">Des <hi rendition="#aq">III.</hi> Ban-<lb/>
des <hi rendition="#aq">LXXVIII.</hi><lb/>
Tafel. <hi rendition="#aq">Z. N.</hi></note>
          <p>Die beyden ma&#x0364;nnlichen Umri&#x017F;&#x017F;e, die wir hier vor uns haben, haben bloß das Flei&#x017F;ch-<lb/>
liche, und nicht das Gei&#x017F;tige der Bru&#x0364;derphy&#x017F;iognomie &#x2014; be&#x017F;onders 1. i&#x017F;t nicht entfa&#x0364;rbt<lb/>
von der minde&#x017F;ten Pra&#x0364;ten&#x017F;ion von Religio&#x017F;ita&#x0364;t. 4. hingegen hat offenbar &#x017F;chon mehr in Augen-<lb/>
braunen, Aug und Mund Religios&#x017F;u&#x0364;ßliches. Der Mund hat&#x2019;s freylich in einem Grade, der gewiß<lb/>
am <hi rendition="#fr">Urheber</hi> einer religio&#x017F;en Parthey unmo&#x0364;glich &#x2014; oder kaum mo&#x0364;glich i&#x017F;t, allenfalls nur von Schu&#x0364;-<lb/>
lern und <hi rendition="#fr">Nachahmern</hi> erwartet werden darf. Vermuthlich i&#x017F;t keiner von beyden wahr &#x2014; Die<lb/>
Na&#x017F;e in 4. eben nicht viel, doch etwas ver&#x017F;ta&#x0364;ndiger, als die in 1. &#x2014; die in 1. gewiß wollu&#x0364;&#x017F;tiger und<lb/>
planlo&#x017F;er.</p><lb/>
          <p>Von der <hi rendition="#fr">Nit&#x017F;chmann</hi> mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en beyde Bilder ziemlich a&#x0364;hnlich &#x017F;eyn, obgleich beyde gewiß<lb/>
von Gei&#x017F;t und Jnnigkeit verloren haben. Jn beyden i&#x017F;t die Na&#x017F;e zuverla&#x0364;ßig ver&#x017F;ta&#x0364;ndig und<lb/>
wacker. Das 2. i&#x017F;t merklich religio&#x017F;er, als 3. Die Augen in 2. ver&#x017F;ta&#x0364;ndiger und fro&#x0364;mmer,<lb/>
als 3. Der Mund in 2. i&#x017F;t um etwas zu kleinlich, und 3. offenbar zu &#x017F;chief. Die Stirn i&#x017F;t,<lb/>
&#x017F;o wie &#x017F;ie hier er&#x017F;cheint &#x2014; weder &#x017F;onderbar ma&#x0364;nnlich noch weiblich &#x2014; weder &#x017F;ehr ver&#x017F;ta&#x0364;ndig, noch<lb/>
&#x017F;tu&#x0364;pide. Das Ganze hat etwas &#x017F;ehr gepreßtes, &#x017F;u&#x0364;ßver&#x017F;chloßnes, einfach be&#x017F;chra&#x0364;nktes.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Hier</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[282/0454] X. Abſchnitt. XVI. Fragment. wenn ſie Veranlaſſungen dazu haben. Sey dieß dem Bande der phyſiognomiſchen Linien aufbehalten. Ueberhaupt ſind alle redliche Bruͤder und Schweſtern — fein und leichtfuͤhlend! Nich allgemeinfuͤhlend; was ſie fuͤhlen, ganz fuͤhlend, nur fuͤhlend! Sehr beſchraͤnkt, und dann ganz in dem beſchraͤnkten Kreiſe! Heiter, ruhig, zufrieden — nur in ihrer Gemeine und dem Zauber ihrer einfaͤltigen Heilandsliebe leicht auf- und niederſchwebend! Bienlein — nicht ſchwaͤrmend von Blume zu Blume — nur auf Einer, der Paſſionsblume, wohnend — von da aus, dahin zuruͤckfliegend! Die beyden maͤnnlichen Umriſſe, die wir hier vor uns haben, haben bloß das Fleiſch- liche, und nicht das Geiſtige der Bruͤderphyſiognomie — beſonders 1. iſt nicht entfaͤrbt von der mindeſten Praͤtenſion von Religioſitaͤt. 4. hingegen hat offenbar ſchon mehr in Augen- braunen, Aug und Mund Religiosſuͤßliches. Der Mund hat’s freylich in einem Grade, der gewiß am Urheber einer religioſen Parthey unmoͤglich — oder kaum moͤglich iſt, allenfalls nur von Schuͤ- lern und Nachahmern erwartet werden darf. Vermuthlich iſt keiner von beyden wahr — Die Naſe in 4. eben nicht viel, doch etwas verſtaͤndiger, als die in 1. — die in 1. gewiß wolluͤſtiger und planloſer. Von der Nitſchmann muͤſſen beyde Bilder ziemlich aͤhnlich ſeyn, obgleich beyde gewiß von Geiſt und Jnnigkeit verloren haben. Jn beyden iſt die Naſe zuverlaͤßig verſtaͤndig und wacker. Das 2. iſt merklich religioſer, als 3. Die Augen in 2. verſtaͤndiger und froͤmmer, als 3. Der Mund in 2. iſt um etwas zu kleinlich, und 3. offenbar zu ſchief. Die Stirn iſt, ſo wie ſie hier erſcheint — weder ſonderbar maͤnnlich noch weiblich — weder ſehr verſtaͤndig, noch ſtuͤpide. Das Ganze hat etwas ſehr gepreßtes, ſuͤßverſchloßnes, einfach beſchraͤnktes. Hier

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/454
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/454>, abgerufen am 20.05.2024.