Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.

Bild:
<< vorherige Seite
Religiose.

So wahr diese Nase nicht unähnlich ist, nicht unähnlich seyn kann, und so wahr Borro-
mäus
kein gemeiner unbedeutender Mann war -- So eine Nase wirst du nicht an einem einzi-
gen gemeinen, unwürksamen, drang- und thatenlosen Menschen finden. Weniger religios -- und noch
zehnmal kraftreicher, ständiger, erhabner, aber dann auch bis zur Furchtbarkeit und Erdrückung er-
haben -- wäre diese Physiognomie, wenn die höchste Wölbung der Nase nicht beynah auf die Mit-
te, sondern höher hinauf käme, oder, wenn vom höchsten Punkte dieser Wölbung die Linie des Um-
risses beynah ohne Höhlung fortgienge -- welches aber bey dieser gebognen, zartgewölbten, scharf
sich rundenden Stirne nicht möglich wäre -- Das Ohr will ich mir wohl merken. Diese schöne
Bestimmtheit, diese schlanke Schweifung, diese Freyheit!

Auch ist sichtbar in diesem großen und herrlichen Gesichte das italiänische Nationale --
wie -- überdämmert mit der redlichsten, aber nicht lichthellesten Religion!

[Abbildung]

Zwölftes
L l 2
Religioſe.

So wahr dieſe Naſe nicht unaͤhnlich iſt, nicht unaͤhnlich ſeyn kann, und ſo wahr Borro-
maͤus
kein gemeiner unbedeutender Mann war — So eine Naſe wirſt du nicht an einem einzi-
gen gemeinen, unwuͤrkſamen, drang- und thatenloſen Menſchen finden. Weniger religios — und noch
zehnmal kraftreicher, ſtaͤndiger, erhabner, aber dann auch bis zur Furchtbarkeit und Erdruͤckung er-
haben — waͤre dieſe Phyſiognomie, wenn die hoͤchſte Woͤlbung der Naſe nicht beynah auf die Mit-
te, ſondern hoͤher hinauf kaͤme, oder, wenn vom hoͤchſten Punkte dieſer Woͤlbung die Linie des Um-
riſſes beynah ohne Hoͤhlung fortgienge — welches aber bey dieſer gebognen, zartgewoͤlbten, ſcharf
ſich rundenden Stirne nicht moͤglich waͤre — Das Ohr will ich mir wohl merken. Dieſe ſchoͤne
Beſtimmtheit, dieſe ſchlanke Schweifung, dieſe Freyheit!

Auch iſt ſichtbar in dieſem großen und herrlichen Geſichte das italiaͤniſche Nationale
wie — uͤberdaͤmmert mit der redlichſten, aber nicht lichthelleſten Religion!

[Abbildung]

Zwoͤlftes
L l 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0433" n="267"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Religio&#x017F;e.</hi> </hi> </fw><lb/>
          <p>So wahr die&#x017F;e Na&#x017F;e nicht una&#x0364;hnlich i&#x017F;t, nicht una&#x0364;hnlich &#x017F;eyn kann, und &#x017F;o wahr <hi rendition="#fr">Borro-<lb/>
ma&#x0364;us</hi> kein gemeiner unbedeutender Mann war &#x2014; So eine Na&#x017F;e wir&#x017F;t du nicht an einem einzi-<lb/>
gen gemeinen, unwu&#x0364;rk&#x017F;amen, drang- und thatenlo&#x017F;en Men&#x017F;chen finden. Weniger religios &#x2014; und noch<lb/>
zehnmal kraftreicher, &#x017F;ta&#x0364;ndiger, erhabner, aber dann auch bis zur Furchtbarkeit und Erdru&#x0364;ckung er-<lb/>
haben &#x2014; wa&#x0364;re die&#x017F;e Phy&#x017F;iognomie, wenn die ho&#x0364;ch&#x017F;te Wo&#x0364;lbung der Na&#x017F;e nicht beynah auf die Mit-<lb/>
te, &#x017F;ondern ho&#x0364;her hinauf ka&#x0364;me, oder, wenn vom ho&#x0364;ch&#x017F;ten Punkte die&#x017F;er Wo&#x0364;lbung die Linie des Um-<lb/>
ri&#x017F;&#x017F;es beynah ohne Ho&#x0364;hlung fortgienge &#x2014; welches aber bey die&#x017F;er gebognen, zartgewo&#x0364;lbten, &#x017F;charf<lb/>
&#x017F;ich rundenden Stirne nicht mo&#x0364;glich wa&#x0364;re &#x2014; Das Ohr will ich mir wohl merken. Die&#x017F;e &#x017F;cho&#x0364;ne<lb/>
Be&#x017F;timmtheit, die&#x017F;e &#x017F;chlanke Schweifung, die&#x017F;e Freyheit!</p><lb/>
          <p>Auch i&#x017F;t &#x017F;ichtbar in die&#x017F;em großen und herrlichen Ge&#x017F;ichte das italia&#x0364;ni&#x017F;che <hi rendition="#fr">Nationale</hi> &#x2014;<lb/>
wie &#x2014; u&#x0364;berda&#x0364;mmert mit der redlich&#x017F;ten, aber nicht lichthelle&#x017F;ten Religion!</p><lb/>
          <figure/>
        </div>
        <fw place="bottom" type="sig">L l 2</fw>
        <fw place="bottom" type="catch">Zwo&#x0364;lftes</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[267/0433] Religioſe. So wahr dieſe Naſe nicht unaͤhnlich iſt, nicht unaͤhnlich ſeyn kann, und ſo wahr Borro- maͤus kein gemeiner unbedeutender Mann war — So eine Naſe wirſt du nicht an einem einzi- gen gemeinen, unwuͤrkſamen, drang- und thatenloſen Menſchen finden. Weniger religios — und noch zehnmal kraftreicher, ſtaͤndiger, erhabner, aber dann auch bis zur Furchtbarkeit und Erdruͤckung er- haben — waͤre dieſe Phyſiognomie, wenn die hoͤchſte Woͤlbung der Naſe nicht beynah auf die Mit- te, ſondern hoͤher hinauf kaͤme, oder, wenn vom hoͤchſten Punkte dieſer Woͤlbung die Linie des Um- riſſes beynah ohne Hoͤhlung fortgienge — welches aber bey dieſer gebognen, zartgewoͤlbten, ſcharf ſich rundenden Stirne nicht moͤglich waͤre — Das Ohr will ich mir wohl merken. Dieſe ſchoͤne Beſtimmtheit, dieſe ſchlanke Schweifung, dieſe Freyheit! Auch iſt ſichtbar in dieſem großen und herrlichen Geſichte das italiaͤniſche Nationale — wie — uͤberdaͤmmert mit der redlichſten, aber nicht lichthelleſten Religion! [Abbildung] Zwoͤlftes L l 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/433
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/433>, abgerufen am 28.11.2024.