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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.

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X. Abschnitt. I. Fragment.
der tiefsten und beredtesten Weisen, sind nicht allein goldne und silberne Gefäße, sondern
auch eherne und hölzerne.

Nur dabey bleibt's: Niemand kann einen bessern Grund legen, außer dem, der
gelegt ist, welcher ist Jesus Christus .... Was aber ein jeder auf diesem Grunde
bauet; es sey Gold, Silber, Edelgesteine, Holz, Heu, Stoppeln -- eines jeden Werk
wird offenbar werden. Denn der Tag wird es klar machen, und das Feuer wird es
offenbaren. Was eines jeden Werk seyn wird, wird das Feuer bewähren. Wenn je-
mandes Werk, das er darauf gebaut hat, bleibt, so wird er den Lohn empfangen.
Wird jemandes Werk verbrennen, so wird er Schaden leiden -- Er selbst aber wird
selig werden, doch als durchs Feuer.
1. Cor. III. 11-15.

Jst je etwas tiefer philosophisches gesagt worden, als dieß?



So wie alle Menschen Augen haben; aber mahlerische Augen, scharfbeobachtende Augen,
nur wenige -- so alle Ohren zum Hören; aber musikalische Ohren wenige -- so alle Menschen
Sinn für Religion im weitesten Sinne; wenige -- das religiose Aug und Gehör -- wenige Sinn
für das Reinste, Geistigste, Erhabenste der Christusreligion: Es kann auch in diesem Sinne
richtig gesagt werden: Es sind viele Berufne, wenig Auserwählte. Die Virtuosen in al-
len Fächern sind selten.



Je mehr der innere Sinn für eine höhere Welt und den König dieser höhern Welt sich in
einem Menschen regt -- desto augenscheinlicher wird sich seine Gestalt verfeinern, werden sich sei-
ne Mienen veredeln.

Wo Glaube an hohe vortreffliche Unsichtbarkeiten in einem Menschen lebendig ist -- wie
Morgenröthe die Nacht auf hellt -- so dieser Glaube sein Angesicht.



Wie der Anbeter des Gottes Jsraels und des Gottes der Natur, als solcher, herrlicher
ist, als der Anbeter bloß des Gottes der Natur allein -- so der Anbeter Christus, als solcher,
herrlicher, als der bloß den Gott Jsraels kennt. Wem gegeben ist zu empfinden, daß des Menschen

innig-

X. Abſchnitt. I. Fragment.
der tiefſten und beredteſten Weiſen, ſind nicht allein goldne und ſilberne Gefaͤße, ſondern
auch eherne und hoͤlzerne.

Nur dabey bleibt’s: Niemand kann einen beſſern Grund legen, außer dem, der
gelegt iſt, welcher iſt Jeſus Chriſtus .... Was aber ein jeder auf dieſem Grunde
bauet; es ſey Gold, Silber, Edelgeſteine, Holz, Heu, Stoppeln — eines jeden Werk
wird offenbar werden. Denn der Tag wird es klar machen, und das Feuer wird es
offenbaren. Was eines jeden Werk ſeyn wird, wird das Feuer bewaͤhren. Wenn je-
mandes Werk, das er darauf gebaut hat, bleibt, ſo wird er den Lohn empfangen.
Wird jemandes Werk verbrennen, ſo wird er Schaden leiden — Er ſelbſt aber wird
ſelig werden, doch als durchs Feuer.
1. Cor. III. 11-15.

Jſt je etwas tiefer philoſophiſches geſagt worden, als dieß?



So wie alle Menſchen Augen haben; aber mahleriſche Augen, ſcharfbeobachtende Augen,
nur wenige — ſo alle Ohren zum Hoͤren; aber muſikaliſche Ohren wenige — ſo alle Menſchen
Sinn fuͤr Religion im weiteſten Sinne; wenige — das religioſe Aug und Gehoͤr — wenige Sinn
fuͤr das Reinſte, Geiſtigſte, Erhabenſte der Chriſtusreligion: Es kann auch in dieſem Sinne
richtig geſagt werden: Es ſind viele Berufne, wenig Auserwaͤhlte. Die Virtuoſen in al-
len Faͤchern ſind ſelten.



Je mehr der innere Sinn fuͤr eine hoͤhere Welt und den Koͤnig dieſer hoͤhern Welt ſich in
einem Menſchen regt — deſto augenſcheinlicher wird ſich ſeine Geſtalt verfeinern, werden ſich ſei-
ne Mienen veredeln.

Wo Glaube an hohe vortreffliche Unſichtbarkeiten in einem Menſchen lebendig iſt — wie
Morgenroͤthe die Nacht auf hellt — ſo dieſer Glaube ſein Angeſicht.



Wie der Anbeter des Gottes Jſraels und des Gottes der Natur, als ſolcher, herrlicher
iſt, als der Anbeter bloß des Gottes der Natur allein — ſo der Anbeter Chriſtus, als ſolcher,
herrlicher, als der bloß den Gott Jſraels kennt. Wem gegeben iſt zu empfinden, daß des Menſchen

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[242/0390] X. Abſchnitt. I. Fragment. der tiefſten und beredteſten Weiſen, ſind nicht allein goldne und ſilberne Gefaͤße, ſondern auch eherne und hoͤlzerne. Nur dabey bleibt’s: Niemand kann einen beſſern Grund legen, außer dem, der gelegt iſt, welcher iſt Jeſus Chriſtus .... Was aber ein jeder auf dieſem Grunde bauet; es ſey Gold, Silber, Edelgeſteine, Holz, Heu, Stoppeln — eines jeden Werk wird offenbar werden. Denn der Tag wird es klar machen, und das Feuer wird es offenbaren. Was eines jeden Werk ſeyn wird, wird das Feuer bewaͤhren. Wenn je- mandes Werk, das er darauf gebaut hat, bleibt, ſo wird er den Lohn empfangen. Wird jemandes Werk verbrennen, ſo wird er Schaden leiden — Er ſelbſt aber wird ſelig werden, doch als durchs Feuer. 1. Cor. III. 11-15. Jſt je etwas tiefer philoſophiſches geſagt worden, als dieß? So wie alle Menſchen Augen haben; aber mahleriſche Augen, ſcharfbeobachtende Augen, nur wenige — ſo alle Ohren zum Hoͤren; aber muſikaliſche Ohren wenige — ſo alle Menſchen Sinn fuͤr Religion im weiteſten Sinne; wenige — das religioſe Aug und Gehoͤr — wenige Sinn fuͤr das Reinſte, Geiſtigſte, Erhabenſte der Chriſtusreligion: Es kann auch in dieſem Sinne richtig geſagt werden: Es ſind viele Berufne, wenig Auserwaͤhlte. Die Virtuoſen in al- len Faͤchern ſind ſelten. Je mehr der innere Sinn fuͤr eine hoͤhere Welt und den Koͤnig dieſer hoͤhern Welt ſich in einem Menſchen regt — deſto augenſcheinlicher wird ſich ſeine Geſtalt verfeinern, werden ſich ſei- ne Mienen veredeln. Wo Glaube an hohe vortreffliche Unſichtbarkeiten in einem Menſchen lebendig iſt — wie Morgenroͤthe die Nacht auf hellt — ſo dieſer Glaube ſein Angeſicht. Wie der Anbeter des Gottes Jſraels und des Gottes der Natur, als ſolcher, herrlicher iſt, als der Anbeter bloß des Gottes der Natur allein — ſo der Anbeter Chriſtus, als ſolcher, herrlicher, als der bloß den Gott Jſraels kennt. Wem gegeben iſt zu empfinden, daß des Menſchen innig-

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/390>, abgerufen am 19.05.2024.