Nichts weniger, als leere, gewagte Einbildung und Vermuthung ist, was ich hier über die Handschriften sage. Mir ist's tägliche Erfahrungssache -- Wohl verstanden -- nicht den ganzen Charakter, nicht alle Charakter -- aber von manchen Charaktern viel -- von einigen aber wenig, läßt sich aus der bloßen Handschrift erkennen. Und ich will noch etwas beysetzen -- das dem Lächler Freude macht: Nichts demüthigt mich mehr, nichts deckt mir das schwache, un- ständige, gedehnte Wesen in mir so anschaubar auf -- als -- meine eigne Handschrift!
Um dieser Materie einiges Licht und Gewißheit, wenigstens einige Anschaubarkeit zu geben -- hab' ich einige Tafeln Handschriften genau nachstechen lassen -- Hier sind sie mit wenigen Anmerkungen.
Erste
IV. Abſchnitt. IV. Fragment.
Nichts weniger, als leere, gewagte Einbildung und Vermuthung iſt, was ich hier uͤber die Handſchriften ſage. Mir iſt’s taͤgliche Erfahrungsſache — Wohl verſtanden — nicht den ganzen Charakter, nicht alle Charakter — aber von manchen Charaktern viel — von einigen aber wenig, laͤßt ſich aus der bloßen Handſchrift erkennen. Und ich will noch etwas beyſetzen — das dem Laͤchler Freude macht: Nichts demuͤthigt mich mehr, nichts deckt mir das ſchwache, un- ſtaͤndige, gedehnte Weſen in mir ſo anſchaubar auf — als — meine eigne Handſchrift!
Um dieſer Materie einiges Licht und Gewißheit, wenigſtens einige Anſchaubarkeit zu geben — hab’ ich einige Tafeln Handſchriften genau nachſtechen laſſen — Hier ſind ſie mit wenigen Anmerkungen.
Erſte
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0168"n="114"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">IV.</hi> Abſchnitt. <hirendition="#aq">IV.</hi> Fragment.</hi></fw><lb/><p>Nichts weniger, als leere, gewagte Einbildung und Vermuthung iſt, was ich hier uͤber<lb/>
die Handſchriften ſage. Mir iſt’s taͤgliche Erfahrungsſache — Wohl verſtanden — nicht den<lb/><hirendition="#fr">ganzen</hi> Charakter, nicht <hirendition="#fr">alle</hi> Charakter — aber von <hirendition="#fr">manchen</hi> Charaktern <hirendition="#fr">viel</hi>— von <hirendition="#fr">einigen</hi><lb/>
aber <hirendition="#fr">wenig,</hi> laͤßt ſich aus der bloßen Handſchrift erkennen. Und ich will noch etwas beyſetzen —<lb/>
das dem Laͤchler Freude macht: Nichts demuͤthigt mich mehr, nichts deckt mir das ſchwache, un-<lb/>ſtaͤndige, gedehnte Weſen in mir ſo anſchaubar auf — als — meine eigne Handſchrift!</p><lb/><p>Um dieſer Materie einiges Licht und Gewißheit, wenigſtens einige Anſchaubarkeit zu<lb/>
geben — hab’ ich einige Tafeln Handſchriften genau nachſtechen laſſen — Hier ſind ſie mit<lb/>
wenigen Anmerkungen.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">Erſte</hi></fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[114/0168]
IV. Abſchnitt. IV. Fragment.
Nichts weniger, als leere, gewagte Einbildung und Vermuthung iſt, was ich hier uͤber
die Handſchriften ſage. Mir iſt’s taͤgliche Erfahrungsſache — Wohl verſtanden — nicht den
ganzen Charakter, nicht alle Charakter — aber von manchen Charaktern viel — von einigen
aber wenig, laͤßt ſich aus der bloßen Handſchrift erkennen. Und ich will noch etwas beyſetzen —
das dem Laͤchler Freude macht: Nichts demuͤthigt mich mehr, nichts deckt mir das ſchwache, un-
ſtaͤndige, gedehnte Weſen in mir ſo anſchaubar auf — als — meine eigne Handſchrift!
Um dieſer Materie einiges Licht und Gewißheit, wenigſtens einige Anſchaubarkeit zu
geben — hab’ ich einige Tafeln Handſchriften genau nachſtechen laſſen — Hier ſind ſie mit
wenigen Anmerkungen.
Erſte
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/168>, abgerufen am 09.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.