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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.

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Ueber die Hände.
mik -- und ein sehr bedeutsamer -- und vorzüglich bemerkenswerther Gegenstand -- wegen ihrer
Unverstellbarkeit sowohl, als wegen ihrer Beweglichkeit.

Jch sage wegen ihrer Unverstellbarkeit; denn der feinste Heuchler, und der schlaueste
Verstellungskünstler kann weder an dem Umrisse, noch an der Farbe, noch an der Muskulosi-
tät,
noch an der Länge, Kürze, Breite, Proportion der ganzen Hand, und ihrer einzelnen
Theile das allermindeste verändern, oder dem Beobachter, wenn sich nicht die ganze Hand zurück-
zieht, verdecken. Und wenn sie sich auch verstellen könnte? -- weil sie keine Augen hat -- so hätte
sie zur Verstellung weniger Versuchung.

Aber auch wegen ihrer Beweglichkeit. Kein beweglichers, artikulirteres Glied am
menschlichen Körper. Mehr als zwanzig Gelenke und Charniren machen sie auf verschiedene Weise
beweglich. Diese Beweglichkeit zeigt nicht nur den physiognomischen Charakter der Hand, mit-
hin auch des Körpers, von dem sie ein so unmittelbarer Theil ist, sondern auch den Temperaments-
charakter, und sehr viel von dem Charakter des Geistes und des Herzens.

Ruhend und bewegt spricht die Hand. Ruhend zeigt sie die natürlichen Anlagen --
Bewegt
mehr die Leidenschaften und Verrichtungen des Menschen.

Wie der ganze Körper, so die Hand! Wie die Bewegung des Körpers -- so die der
Hand!

Die Hand, Kleinod und Ehre der Menschheit -- Siegel seines hohen göttlichen Adels --
ist also auch Ausdruck der innern Menschheit.

Les Mains.

Montagne L. II. c. 12. p. 41.

Quoy des Mains? Nous requerons, nous promettons, appellons, congedions,
menacons, prions, supplions, nions, refusons, interrogeons, admirons, nombrons,
confessons, repentons, craignons, vergoignons, doubtons, instruisons, commandons,

incitons,
Phys. Fragm. III Versuch. O

Ueber die Haͤnde.
mik — und ein ſehr bedeutſamer — und vorzuͤglich bemerkenswerther Gegenſtand — wegen ihrer
Unverſtellbarkeit ſowohl, als wegen ihrer Beweglichkeit.

Jch ſage wegen ihrer Unverſtellbarkeit; denn der feinſte Heuchler, und der ſchlaueſte
Verſtellungskuͤnſtler kann weder an dem Umriſſe, noch an der Farbe, noch an der Muskuloſi-
taͤt,
noch an der Laͤnge, Kuͤrze, Breite, Proportion der ganzen Hand, und ihrer einzelnen
Theile das allermindeſte veraͤndern, oder dem Beobachter, wenn ſich nicht die ganze Hand zuruͤck-
zieht, verdecken. Und wenn ſie ſich auch verſtellen koͤnnte? — weil ſie keine Augen hat — ſo haͤtte
ſie zur Verſtellung weniger Verſuchung.

Aber auch wegen ihrer Beweglichkeit. Kein beweglichers, artikulirteres Glied am
menſchlichen Koͤrper. Mehr als zwanzig Gelenke und Charniren machen ſie auf verſchiedene Weiſe
beweglich. Dieſe Beweglichkeit zeigt nicht nur den phyſiognomiſchen Charakter der Hand, mit-
hin auch des Koͤrpers, von dem ſie ein ſo unmittelbarer Theil iſt, ſondern auch den Temperaments-
charakter, und ſehr viel von dem Charakter des Geiſtes und des Herzens.

Ruhend und bewegt ſpricht die Hand. Ruhend zeigt ſie die natuͤrlichen Anlagen —
Bewegt
mehr die Leidenſchaften und Verrichtungen des Menſchen.

Wie der ganze Koͤrper, ſo die Hand! Wie die Bewegung des Koͤrpers — ſo die der
Hand!

Die Hand, Kleinod und Ehre der Menſchheit — Siegel ſeines hohen goͤttlichen Adels —
iſt alſo auch Ausdruck der innern Menſchheit.

Les Mains.

Montagne L. II. c. 12. p. 41.

Quoy des Mains? Nous réquerons, nous promettons, appellons, congédions,
ménaçons, prions, ſupplions, nions, refuſons, interrogeons, admirons, nombrons,
confeſſons, répentons, craignons, vergoignons, doubtons, inſtruiſons, commandons,

incitons,
Phyſ. Fragm. III Verſuch. O
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[105/0155] Ueber die Haͤnde. mik — und ein ſehr bedeutſamer — und vorzuͤglich bemerkenswerther Gegenſtand — wegen ihrer Unverſtellbarkeit ſowohl, als wegen ihrer Beweglichkeit. Jch ſage wegen ihrer Unverſtellbarkeit; denn der feinſte Heuchler, und der ſchlaueſte Verſtellungskuͤnſtler kann weder an dem Umriſſe, noch an der Farbe, noch an der Muskuloſi- taͤt, noch an der Laͤnge, Kuͤrze, Breite, Proportion der ganzen Hand, und ihrer einzelnen Theile das allermindeſte veraͤndern, oder dem Beobachter, wenn ſich nicht die ganze Hand zuruͤck- zieht, verdecken. Und wenn ſie ſich auch verſtellen koͤnnte? — weil ſie keine Augen hat — ſo haͤtte ſie zur Verſtellung weniger Verſuchung. Aber auch wegen ihrer Beweglichkeit. Kein beweglichers, artikulirteres Glied am menſchlichen Koͤrper. Mehr als zwanzig Gelenke und Charniren machen ſie auf verſchiedene Weiſe beweglich. Dieſe Beweglichkeit zeigt nicht nur den phyſiognomiſchen Charakter der Hand, mit- hin auch des Koͤrpers, von dem ſie ein ſo unmittelbarer Theil iſt, ſondern auch den Temperaments- charakter, und ſehr viel von dem Charakter des Geiſtes und des Herzens. Ruhend und bewegt ſpricht die Hand. Ruhend zeigt ſie die natuͤrlichen Anlagen — Bewegt mehr die Leidenſchaften und Verrichtungen des Menſchen. Wie der ganze Koͤrper, ſo die Hand! Wie die Bewegung des Koͤrpers — ſo die der Hand! Die Hand, Kleinod und Ehre der Menſchheit — Siegel ſeines hohen goͤttlichen Adels — iſt alſo auch Ausdruck der innern Menſchheit. Les Mains. Montagne L. II. c. 12. p. 41. Quoy des Mains? Nous réquerons, nous promettons, appellons, congédions, ménaçons, prions, ſupplions, nions, refuſons, interrogeons, admirons, nombrons, confeſſons, répentons, craignons, vergoignons, doubtons, inſtruiſons, commandons, incitons, Phyſ. Fragm. III Verſuch. O

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/155>, abgerufen am 09.05.2024.