Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776.XXXVI. Fragment. Von neuem! Vater -- o wie fühl ich michErhaben über alles, was sichtbar ist, was itzt Die Erde zeigt, und alles was sie verschließt! Nenn' ich dich Vater -- dich -- unerforschter! Dich Erster! Einzigster! dich Kraft der Kräfte! Dich unerreichbar Ferner -- innnigst Naher! Und näher nie dem Menschen, sichtbarer nie, Als in dem Menschenangesicht, das Kraft Verkündigt und weise Güte. -- -- O du -- im Kleinen groß, unendlich Jn jedem Punkt -- und Einer doch Jn allen Himmeln, allen Ergießungen Der Schöpfungskräfte Einer, du -- in allem, Was Leben nennt der Lebenden zu todte Sprache, Was Leben nicht mehr nennt der Menschen Kurzsinn; O du -- wie hoch hinauf hast du schon itzt Wie über alle Sichtbarkeiten hoch erhöht Den Menschen, deinen Liebling! Gehüllt Jn Staubgestalt! wie Herrschertrieb Und Kraft, und Herrscherlust und Reich, zu walten Jhm gegeben -- und Ruhe nicht auf Erde -- Und Himmelsdurst ihm in die Brust gehaucht! Und auf die Stirn' ihm dein Bild geprägt! Und in sein Aug ihm eingegossen einen Tropfen Gott! deiner Menschenfreundlichkeit! [Spaltenumbruch] Und auf die Lippen Aushauch aller deiner Kräfte! O du -- der Menschheit Gott! der alles Nach seinem Willen schuf, doch nur den Men- schen Nach seinem Bilde -- dem Ersten, Einzigen, Den Christus Jesus nennt der Menschen Stammeln -- O du in allem Gott! Jm Menschen Vater! Verhüllt in jedem Punkt, enthüllt in jedem. O du -- deß' ist des Adlers Flügelschlag! Deß' ist sein Aug voll Mittagssonne! Der bildete des Straußes Eisenmund! Der Muth dem Löwen gab! Und Bleynatur, und Stumpfsinn dem unbeholf- nen Ai, Des Behemothes Hölle-Rachen höhltest du! Und gabst der Taube sanfte keusche Liebe! O du, du Stirnenwölber Des Thoren und des Weisen, wie Himmel du Hoch über Erd und Meere wölbtest! Des zarten Embryons Gestalter! Und der auf Cäsars Felsenstirn die Stufen eintrat! Und sponn aus Neutons hochgewölbter Mark- stirn Sein langes Seidenhaar -- der faltete Des
XXXVI. Fragment. Von neuem! Vater — o wie fuͤhl ich michErhaben uͤber alles, was ſichtbar iſt, was itzt Die Erde zeigt, und alles was ſie verſchließt! Nenn’ ich dich Vater — dich — unerforſchter! Dich Erſter! Einzigſter! dich Kraft der Kraͤfte! Dich unerreichbar Ferner — innnigſt Naher! Und naͤher nie dem Menſchen, ſichtbarer nie, Als in dem Menſchenangeſicht, das Kraft Verkuͤndigt und weiſe Guͤte. — — O du — im Kleinen groß, unendlich Jn jedem Punkt — und Einer doch Jn allen Himmeln, allen Ergießungen Der Schoͤpfungskraͤfte Einer, du — in allem, Was Leben nennt der Lebenden zu todte Sprache, Was Leben nicht mehr nennt der Menſchen Kurzſinn; O du — wie hoch hinauf haſt du ſchon itzt Wie uͤber alle Sichtbarkeiten hoch erhoͤht Den Menſchen, deinen Liebling! Gehuͤllt Jn Staubgeſtalt! wie Herrſchertrieb Und Kraft, und Herrſcherluſt und Reich, zu walten Jhm gegeben — und Ruhe nicht auf Erde — Und Himmelsdurſt ihm in die Bruſt gehaucht! Und auf die Stirn’ ihm dein Bild gepraͤgt! Und in ſein Aug ihm eingegoſſen einen Tropfen Gott! deiner Menſchenfreundlichkeit! [Spaltenumbruch] Und auf die Lippen Aushauch aller deiner Kraͤfte! O du — der Menſchheit Gott! der alles Nach ſeinem Willen ſchuf, doch nur den Men- ſchen Nach ſeinem Bilde — dem Erſten, Einzigen, Den Chriſtus Jeſus nennt der Menſchen Stammeln — O du in allem Gott! Jm Menſchen Vater! Verhuͤllt in jedem Punkt, enthuͤllt in jedem. O du — deß’ iſt des Adlers Fluͤgelſchlag! Deß’ iſt ſein Aug voll Mittagsſonne! Der bildete des Straußes Eiſenmund! Der Muth dem Loͤwen gab! Und Bleynatur, und Stumpfſinn dem unbeholf- nen Ai, Des Behemothes Hoͤlle-Rachen hoͤhlteſt du! Und gabſt der Taube ſanfte keuſche Liebe! O du, du Stirnenwoͤlber Des Thoren und des Weiſen, wie Himmel du Hoch uͤber Erd und Meere woͤlbteſt! Des zarten Embryons Geſtalter! Und der auf Caͤſars Felſenſtirn die Stufen eintrat! Und ſponn aus Neutons hochgewoͤlbter Mark- ſtirn Sein langes Seidenhaar — der faltete Des
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XXXVI. Fragment.
Von neuem! Vater — o wie fuͤhl ich mich
Erhaben uͤber alles, was ſichtbar iſt, was itzt
Die Erde zeigt, und alles was ſie verſchließt!
Nenn’ ich dich Vater — dich — unerforſchter!
Dich Erſter! Einzigſter! dich Kraft der Kraͤfte!
Dich unerreichbar Ferner — innnigſt Naher!
Und naͤher nie dem Menſchen, ſichtbarer nie,
Als in dem Menſchenangeſicht, das Kraft
Verkuͤndigt und weiſe Guͤte. — —
O du — im Kleinen groß, unendlich
Jn jedem Punkt — und Einer doch
Jn allen Himmeln, allen Ergießungen
Der Schoͤpfungskraͤfte Einer, du — in allem,
Was Leben nennt der Lebenden zu todte
Sprache,
Was Leben nicht mehr nennt der Menſchen
Kurzſinn;
O du — wie hoch hinauf haſt du ſchon itzt
Wie uͤber alle Sichtbarkeiten hoch erhoͤht
Den Menſchen, deinen Liebling! Gehuͤllt
Jn Staubgeſtalt! wie Herrſchertrieb
Und Kraft, und Herrſcherluſt und Reich, zu
walten
Jhm gegeben — und Ruhe nicht auf Erde —
Und Himmelsdurſt ihm in die Bruſt gehaucht!
Und auf die Stirn’ ihm dein Bild gepraͤgt!
Und in ſein Aug ihm eingegoſſen einen Tropfen
Gott! deiner Menſchenfreundlichkeit!
Und auf die Lippen Aushauch aller deiner
Kraͤfte!
O du — der Menſchheit Gott! der alles
Nach ſeinem Willen ſchuf, doch nur den Men-
ſchen
Nach ſeinem Bilde — dem Erſten, Einzigen,
Den Chriſtus Jeſus nennt der Menſchen
Stammeln —
O du in allem Gott! Jm Menſchen Vater!
Verhuͤllt in jedem Punkt, enthuͤllt in jedem.
O du — deß’ iſt des Adlers Fluͤgelſchlag!
Deß’ iſt ſein Aug voll Mittagsſonne!
Der bildete des Straußes Eiſenmund!
Der Muth dem Loͤwen gab!
Und Bleynatur, und Stumpfſinn dem unbeholf-
nen Ai,
Des Behemothes Hoͤlle-Rachen hoͤhlteſt du!
Und gabſt der Taube ſanfte keuſche Liebe!
O du, du Stirnenwoͤlber
Des Thoren und des Weiſen, wie Himmel du
Hoch uͤber Erd und Meere woͤlbteſt!
Des zarten Embryons Geſtalter!
Und der auf Caͤſars Felſenſtirn die Stufen
eintrat!
Und ſponn aus Neutons hochgewoͤlbter Mark-
ſtirn
Sein langes Seidenhaar — der faltete
Des
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