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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776.

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von Leuten gemeiner Extraktion.
Dritte Tafel.
Ehrlichkeit, Droitüre, Bonhomie.

Die beyden obern, Mann und Frau, Beyspiele ehrlicher, treuer Arbeitsamkeit, redlicher
Dienstfertigkeit, ohn' alle Feinheit, Kunst und Plan.

Der Sitz davon ist vornehmlich im Aug' und Munde. Jn der Offenheit, Heiterkeit und
den Nebenfalten des Auges; -- in der Mittellinie und in den etwas aufwärts gehenden Eckgen des
Mundes. Weder Mann noch Frau -- die wie Bruder und Schwester sich ähnlich sehen, sind
dumm. Wenigstens ist im ganzen äussern Gränzumrisse nichts dummes, nicht einmal fades. Höch-
stens etwas im Kinn der Frau.

Der Blick des Mannes hat etwas schwaches, das aber ganz als Staunen dienstbegieriger
Treuherzigkeit ausgelegt werden kann.

Man muß diesen Gesichtern gut seyn. Je mehr ich sie ansehe, desto wöhler (man erlaube
mir dieses Schweizerwort, das so wahr und einfältig ist) desto wöhler wird mir. Ha! wie möchte
man diesem wackern, freyen, reinlichen, ungezierten, treuherzigen, glücklichen Ehepaar in die Hand
schlagen.

Viel feiner, aber nicht weniger heiter, treu, redlich, zuverlässig, ergeben ist das untere schat-
tirte Profil von einem trefflichen Landmann unsers Cantons. Der äussere Umriß, obgleich er viel
verloren haben muß, ist eines würklich großen Mannes.

Der innere Theil der Nase ist auf eine mit dem äussern kontrastirende Weise verkleinert.

Jm Aug' ist heiterer, edler, hinzielender, aber freyer Sinn, berathschlagende Güte.

Die Wangen zu schlecht gezeichnet, um ein Urtheil darüber fällen zu dürfen.

Jn dem Munde, und um den Mund herum natürliche Heiterkeit und wohlwollende Gut-
herzigkeit ohn' alle schlaffe Weichlichkeit.

Auch gefällt mir der eckigte sichtbare Kiefer, wie er durch den Schatten in die Augen fällt;
er hilft den Eindruck des Verstandes mit bestätigen, obgleich er der männlichen Festigkeit nicht ganz
günstig ist.

Heitere, fröhliche, wohlgebaute, kräftige, selbständige Menschen ohne Schlaffheit und
Härte in ihrer Zeichnung -- verbreiten immer Zutrauen zu ihrer Ehrlichkeit.

Vierte
von Leuten gemeiner Extraktion.
Dritte Tafel.
Ehrlichkeit, Droituͤre, Bonhomie.

Die beyden obern, Mann und Frau, Beyſpiele ehrlicher, treuer Arbeitſamkeit, redlicher
Dienſtfertigkeit, ohn’ alle Feinheit, Kunſt und Plan.

Der Sitz davon iſt vornehmlich im Aug’ und Munde. Jn der Offenheit, Heiterkeit und
den Nebenfalten des Auges; — in der Mittellinie und in den etwas aufwaͤrts gehenden Eckgen des
Mundes. Weder Mann noch Frau — die wie Bruder und Schweſter ſich aͤhnlich ſehen, ſind
dumm. Wenigſtens iſt im ganzen aͤuſſern Graͤnzumriſſe nichts dummes, nicht einmal fades. Hoͤch-
ſtens etwas im Kinn der Frau.

Der Blick des Mannes hat etwas ſchwaches, das aber ganz als Staunen dienſtbegieriger
Treuherzigkeit ausgelegt werden kann.

Man muß dieſen Geſichtern gut ſeyn. Je mehr ich ſie anſehe, deſto woͤhler (man erlaube
mir dieſes Schweizerwort, das ſo wahr und einfaͤltig iſt) deſto woͤhler wird mir. Ha! wie moͤchte
man dieſem wackern, freyen, reinlichen, ungezierten, treuherzigen, gluͤcklichen Ehepaar in die Hand
ſchlagen.

Viel feiner, aber nicht weniger heiter, treu, redlich, zuverlaͤſſig, ergeben iſt das untere ſchat-
tirte Profil von einem trefflichen Landmann unſers Cantons. Der aͤuſſere Umriß, obgleich er viel
verloren haben muß, iſt eines wuͤrklich großen Mannes.

Der innere Theil der Naſe iſt auf eine mit dem aͤuſſern kontraſtirende Weiſe verkleinert.

Jm Aug’ iſt heiterer, edler, hinzielender, aber freyer Sinn, berathſchlagende Guͤte.

Die Wangen zu ſchlecht gezeichnet, um ein Urtheil daruͤber faͤllen zu duͤrfen.

Jn dem Munde, und um den Mund herum natuͤrliche Heiterkeit und wohlwollende Gut-
herzigkeit ohn’ alle ſchlaffe Weichlichkeit.

Auch gefaͤllt mir der eckigte ſichtbare Kiefer, wie er durch den Schatten in die Augen faͤllt;
er hilft den Eindruck des Verſtandes mit beſtaͤtigen, obgleich er der maͤnnlichen Feſtigkeit nicht ganz
guͤnſtig iſt.

Heitere, froͤhliche, wohlgebaute, kraͤftige, ſelbſtaͤndige Menſchen ohne Schlaffheit und
Haͤrte in ihrer Zeichnung — verbreiten immer Zutrauen zu ihrer Ehrlichkeit.

Vierte
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[215/0351] von Leuten gemeiner Extraktion. Dritte Tafel. Ehrlichkeit, Droituͤre, Bonhomie. Die beyden obern, Mann und Frau, Beyſpiele ehrlicher, treuer Arbeitſamkeit, redlicher Dienſtfertigkeit, ohn’ alle Feinheit, Kunſt und Plan. Der Sitz davon iſt vornehmlich im Aug’ und Munde. Jn der Offenheit, Heiterkeit und den Nebenfalten des Auges; — in der Mittellinie und in den etwas aufwaͤrts gehenden Eckgen des Mundes. Weder Mann noch Frau — die wie Bruder und Schweſter ſich aͤhnlich ſehen, ſind dumm. Wenigſtens iſt im ganzen aͤuſſern Graͤnzumriſſe nichts dummes, nicht einmal fades. Hoͤch- ſtens etwas im Kinn der Frau. Der Blick des Mannes hat etwas ſchwaches, das aber ganz als Staunen dienſtbegieriger Treuherzigkeit ausgelegt werden kann. Man muß dieſen Geſichtern gut ſeyn. Je mehr ich ſie anſehe, deſto woͤhler (man erlaube mir dieſes Schweizerwort, das ſo wahr und einfaͤltig iſt) deſto woͤhler wird mir. Ha! wie moͤchte man dieſem wackern, freyen, reinlichen, ungezierten, treuherzigen, gluͤcklichen Ehepaar in die Hand ſchlagen. Viel feiner, aber nicht weniger heiter, treu, redlich, zuverlaͤſſig, ergeben iſt das untere ſchat- tirte Profil von einem trefflichen Landmann unſers Cantons. Der aͤuſſere Umriß, obgleich er viel verloren haben muß, iſt eines wuͤrklich großen Mannes. Der innere Theil der Naſe iſt auf eine mit dem aͤuſſern kontraſtirende Weiſe verkleinert. Jm Aug’ iſt heiterer, edler, hinzielender, aber freyer Sinn, berathſchlagende Guͤte. Die Wangen zu ſchlecht gezeichnet, um ein Urtheil daruͤber faͤllen zu duͤrfen. Jn dem Munde, und um den Mund herum natuͤrliche Heiterkeit und wohlwollende Gut- herzigkeit ohn’ alle ſchlaffe Weichlichkeit. Auch gefaͤllt mir der eckigte ſichtbare Kiefer, wie er durch den Schatten in die Augen faͤllt; er hilft den Eindruck des Verſtandes mit beſtaͤtigen, obgleich er der maͤnnlichen Feſtigkeit nicht ganz guͤnſtig iſt. Heitere, froͤhliche, wohlgebaute, kraͤftige, ſelbſtaͤndige Menſchen ohne Schlaffheit und Haͤrte in ihrer Zeichnung — verbreiten immer Zutrauen zu ihrer Ehrlichkeit. Vierte

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente02_1776/351>, abgerufen am 22.11.2024.